Bahnfahren in den USA

Joe Biden will das Comeback

23:24 Minuten
Wartende vor einem Amtrak-Zug auf einem Bahnsteig in Orlando
Reisende auf einem Bahnsteig in Orlando: Seit seiner Gründung im Jahr 1971 überlebt Amtrak nur mittels staatlicher Subventionen. © picture alliance / NurPhoto / Paul Hennessy
Von Rebecca Hillauer · 07.06.2022
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Die US-Regierung will 66 Milliarden Dollar in den Schienenverkehr investieren. Eine Herzenssache von Präsident Joe Biden, der als Abgeordneter und noch als Vize 36 Jahre lang mit dem Zug pendelte. Auch gestiegene Spritpreise könnten der Bahn helfen.
Gute drei Stunden dauert die Fahrt von New York City nach Washington D.C. - der Wagon ist fast voll. Eine der wenigen Strecken, auf denen die Amerikaner statt Flugzeug oder Auto oft die Bahn nutzen.
Damit künftig mehr Amerikaner die Bahn nehmen, will die Regierung von Präsident Joe Biden 66 Milliarden US-Dollar investieren. In die Verbesserung und den Ausbau des schienengebundenen Personenverkehrsnetzes, wie es im verabschiedeten Infrastrukturpaket heißt.
Dabei dürfte man Joe Biden durchaus als Überzeugungstäter bezeichnen: 36 Jahre lang pendelte er als Abgeordneter und sogar als Vize-Präsident selbst mit dem Zug von seinem Wohnort in Wilmington, Delaware, in die Hauptstadt. 90 Minuten hin und 90 Minuten zurück. Über diese Zeit erzählt Joe Biden seit Jahren die gleiche Anekdote.
„Viele Leute bei Amtrak wurden meine Familie. Kein Witz. Gerade war verkündet worden, dass ich mehr als eine Million Meilen mit der Air Force geflogen wäre. Da kam der Zugschaffner Angelo Negri zu mir und sagte: ‚Wollen Sie wissen, wie viele Meilen Sie mit Amtrak gefahren sind? Wir haben es ausgerechnet: Es sind mehr als zwei Millionen! Ich möchte nichts mehr über die Air Force hören.‘“

"Amtrak Joe" und seine Vision 2035

Ob die Geschichte wahr ist oder nicht – auf jeden Fall brachte seine Treue zum Zugfahren Joe Biden den Spitznamen "Amtrak Joe" ein. Amtrak heißt das halbstaatliche Unternehmen, das den Großteil des schienengebunden Personenfernverkehrs innerhalb der USA betreibt. Und "Vision 2035" heißt der Plan, mit dem Amtrak seinen Service bis zum Jahr 2035 für die Zukunft fit machen will. Mindestens 30 neue Strecken und 160 neue Städteanbindungen sind vorgesehen, zudem eine höhere Taktfrequenz.
Joe Biden (vorn) 2009 noch als Vizepräsident anlässlich der Bekanntgabe der Unterstützung für Amtrak aus dem staatlichen Konjunkturpaket in Washington
Joe Biden (vorn) 2009 noch als Vizepräsident: Seine Treue zum Zugfahren brachte ihm den Spitznamen "Amtrak Joe" ein.© imago/UPI Photo
Ein ehrgeiziger Plan. Die Hürden sind hoch, weiß der ehemalige Amtrak-Manager Anthony Rizos: „Amtrak bedient zwei sehr unterschiedliche Kundenmärkte. Einmal ist da der sogenannte Nordost-Korridor: Das ist die Strecke „Boston. New York, Washington D.C.“. Da gibt es Hochgeschwindigkeitszüge in stündlichem Rhythmus. Politiker, Berater, Geschäftsleute, Börsenmakler benutzen sie. Und dann gibt es die Fernreisezüge im übrigen Land. Amtrak muss beide bedienen.“
Seit Anthony Rizos 2016 zur Fluggesellschaft Delta gewechselt ist, verfolgt er die Entwicklung von Amtrak aus privatem Interesse weiter. Eines habe sich in all der Zeit nicht geändert, meint er: Die Züge im Nordost-Korridor machen Profit, die Fernreisezüge im übrigen Land nur rote Zahlen.

USA waren Eisenbahnland im 19. Jahrhundert

Seit seiner Gründung im Jahr 1971 überlebt Amtrak nur mittels staatlicher Subventionen. Wie in vielen anderen Ländern auch. Aber die USA galten im 19. Jahrhundert als Pioniere – als Zugfahrerland. Die Eisenbahn half den „Wilden Westen“ zu erschließen. Damals, vor rund 150 Jahren, hatte die Bahn noch Privilegien.
„Als die Eisenbahngesellschaften ihre Trassen Richtung Westen verlegen wollten, hat die damalige Regierung ihnen die Landrechte großzügig überschrieben. In den Augen der Politiker damals war im Westen nichts außer eingeborene Indianer.“
Robert Tabern arbeitet für ein Zugtourismusunternehmen in Wisconsin. Mit seiner Frau hat er mehr als ein Dutzend Zugreiseführer geschrieben.
„Die Regierung hielt es für ein großartiges Geschäft, mit dem sie zum Ausbau der Infrastruktur im Land beitrug. Die Eisenbahngesellschaften mussten ihre Bahntrassen finanzieren und erhielten dafür das Beförderungsrecht für Güter und Personen. Beide Seiten profitierten. Das ging auch 50, 60, 70 Jahre gut.“

Flugzeug und Auto verdrängten die Bahn

Mit dem Aufkommen des Automobils in den 1930er-Jahren begann die Nachfrage nach Zugreisen nachzulassen. Der Zweite Weltkrieg verschaffte den Eisenbahnen noch eine Gnadenfrist: Mit den Zügen wurden Truppen und Kriegsmaterial befördert. Doch dann ging es Schlag auf Schlag, erzählt der 80-jährige Tom Bedwell aus Kentucky, der die Zeit selbst miterlebte.
„Als das Reisen mit dem Flugzeug immer beliebter wurde, und in den 1950er-Jahren die Interstate-Autobahnen gebaut wurden und später noch ausgebaut wurden, bedeutete das das Aus für den Personenzugverkehr damals.“
Die Eisenbahngesellschaften hätten viele Reisezüge nur noch betrieben, weil sie vertraglich dazu verpflichtet waren. Aber Gewinne fuhren sie nicht mehr ein, erzählt der ehemalige Amtrak-Manager Anthony Rizos.
“Personenzüge waren kein lukratives Geschäft mehr für die privaten Betreiber. Ende der 60er-Jahre waren ihre Züge wenig gepflegt, der Service war schlecht. Sie investierten nicht mehr in das Produkt. Der US-Kongress hielt einen guten Personenzugverkehr aber für wichtig und entschied dann, dieses Zugsegment in staatliche Regie zu überführen.”

Amtrak als "Rohrkreppierer" gegründet

Der damalige US-Präsident Richard Nixon unterzeichnete schließlich das Gesetz, durch das am 1. Mai 1971 die National Railroad Passenger Corporation entstand. Griffiger „Amtrak“ genannt. Die privaten Eisenbahngesellschaften konnten sich fortan auf den immer noch lukrativen Güterzugverkehr konzentrieren. Laut Vertrag blieben die Bahnschienen ihr Eigentum, Amtrak erhielt jedoch die Streckennutzungsrechte. Die müssen bis heute teuer erkauft werden.
So waren die Aussichten schon beim Start bescheiden, meint Robert Tabern – der Zugtourismuskenner aus Wisconsin: “Amtrak wurde gegründet in der Hoffnung, ein Rohrkreppierer zu sein.”
Viele hätten damals in den 1970er-Jahren gehofft, dass die lästigen Subventionen sich bald erübrigen würden, weil sowieso immer weniger Leute mit dem Zug fahren würden - und so auch das Ende des halbstaatlichen Bahnunternehmens gekommen wäre. Doch dann sei etwas passiert, mit dem niemand gerechnet hätte.
„Es kam die Ölpreiskrise der 70er-Jahre. Der Benzinpreis stieg in den USA um das drei- und vierfache. Die Leute entdeckten das Zugfahren wieder für sich, weil es sie billiger kam als mit dem Auto zu fahren. Bis in die frühen 80er-Jahre hinein begann die Zahl der Zugreisenden tatsächlich wieder zu steigen. Das hat Amtrak gerettet.“         

"Der Nordost-Korridor" ist das Rückgrat

Und an der US-Ostküste wird Amtrak bis heute rege genutzt. Wie hier in der Moynihan Train Hall in New York City. Die Bahnhofshalle ist eine Erweiterung der altehrwürdigen Pennsylvania Station, kurz Penn Station – der wichtigste Pendlerbahnhof der Stadt.
Reisende in einer Warteschlange in der Moynihan Train Hall in der Penn Station in New York
Im Januar 2021 eingeweiht: die Moynihan Train Hall in der Penn Station in New York.© picture alliance / ZUMA Press Wire / Edna Leshowitz
Eingeweiht wurde die Moynihan Hall am 1. Januar 2021. Ihre Eröffnung läutete das 50. Jahr von Amtrak ein. Das Unternehmen ist zwar als privatrechtliche Aktiengesellschaft organisiert. Der Amtrak-Verwaltungsrat wird jedoch vom Präsidenten der Vereinigten Staaten ernannt und vom US-Senat bestätigt. Der Verwaltungsrat ernennt dann den Vorstandsvorsitzenden.
Welche Partei im Weißen Haus jeweils am Schalthebel sitzt, beeinflusst also sowohl die Unternehmenspolitik von Amtrak als auch die Höhe der Subventionen, erklärt Ex-Amtrak-Manager Anthony Rizos.
„Niemand im Nordosten, auch nicht die Republikaner, will den Nordost-Korridor gefährden, weil sie ihn alle benutzen. Er ist das Rückgrat zwischen den großen Städten dort. Flugzeuge und Autos könnten die vielen Menschen, die mit dem Zug dort fahren, nie befördern. Der Nordost-Korridor ist für die Wirtschaft und die Politik unersetzlich. All die anderen Strecken im Land interessieren nicht. Deshalb kam immer wieder die Überlegung auf: Warum trennen wir den lukrativen Nordost-Korridor nicht vom restlichen Amtrak-Netz ab?“

Viele Regionen vom Amtrak-Netz abgekoppelt

Faktisch sind auch schon jetzt viele Regionen und große Städte vom Amtrak-Netz abgekoppelt. Das hat auch mit einem Gesetz zu tun, dass 2007 unter dem Republikanischen Präsidenten George W. Bush in Kraft trat: Danach subventioniert die US-Regierung neue Bahnstrecken nur noch, wenn sie mindestens 750 Meilen lang sind. Kürzere Strecken müssen die Bundesstaaten aus eigener Tasche finanzieren. Das Resultat war ein weitgehender Ausbau-Stopp.
Zudem wurden etliche Zugverbindungen ganz gestrichen. Ballungsgebiete wie Las Vegas, Phoenix und Nashville haben überhaupt keine Zuganbindung. Und in Großstädten wie Houston, Atlanta und Cincinnati fahren Züge nur einmal am Tag in jede Richtung. Oft mitten in der Nacht und mit stundenlanger Verspätung.
Das sei früher anders gewesen, erinnert sich der 80-jährige Bahnfan Tom Bedwell: „Ich kann mich an Zugfahrten erinnern, sogar in den 40er- und 50er-Jahren – nach diesen Zügen konnte man die Uhr stellen, so pünktlich waren sie. Chicago war damals ein Zugknotenpunkt. Es gab fünf oder sechs Passagierbahnhöfe. Sie hatten sogar so etwas wie Shuttle-Taxis, die Fahrgäste kostenlos von einem Bahnhof zum anderen brachten.“

Güterzüge blockieren Personenzüge

Und heute? Dass es auf den weiten Strecken in den USA oft zu Verspätungen kommt, liegt einerseits an den langen Strecken von teilweise über 2000 Meilen auf denen dann bei Schneefall oder Unwetter eine Pause den ganzen Fahrplan durcheinander bringt. Ein anderer Grund ist hausgemacht: Eigentlich müssten laut Gesetz die Güterzugbetreiber auf ihren Gleisen den Amtrak-Zügen die Vorfahrt lassen. Das passiert aber nicht so pauschal. Stattdessen erhalten die Amtrak-Züge ein Zeitfenster von einer Stunde zur Durchfahrt. Wenn sie später kommen, müssen sie die Güterzüge vorbei lassen. Und das kann dauern. Denn manche Güterzüge sind bis zu fünf Kilometer lang.
Ich erlebe das auf der Fahrt von New Orleans nach Tucson Arizona. Knapp 36 Stunden sieht der Fahrplan dafür vor. Drei Mal muss der Zug für eine ganze Stunde pausieren, weil jeweils ein Güterzug Vorfahrt bekommt. Das letzte Mal deshalb, weil unser Zug drei Kühe auf dem Gleis erfasst hat. Wir kommen mit moderaten drei Stunden Verspätung an.
Statt von solchen negativen Erfahrungen spricht der 80-jährige Tom Bedwell lieber über seine schönsten Zugerlebnisse. Zum Beispiel, wie er als junger Soldat von Denver nach Chicago fuhr.

Früher war Bahnfahren luxuriöser

Damals gab es noch die sogenannten Dome Cars: Waggons mit einem gewölbten Glasdach, durch das man die Landschaft und den Himmel betrachten konnte.
„Einer der Aussichtswagen war gleichzeitig auch ein Speisewagen. Ich bin zum Abendessen gegangen. Draußen war es dunkel und es begann zu schneien. Es war kurz vor Weihnachten, ich fuhr nach Hause. Und dann habe ich dort das beste Steak meines Lebens gegessen. Und dabei saß ich in diesem Aussichtswagen und sah die Prärie draußen vorbeiziehen. Schneeflocken fielen gegen die Fenster. Und ich dachte: Besser als jetzt geht es nicht mehr.“
Die Dome Cars sind inzwischen einer abgespeckten Form von Aussichtswagen gewichen. In den Speisewagen gibt es kein Silberbesteck und auf den Bahnhöfen keine Gepäckträger mehr. Die Amtrak-Loks und Waggons sind teils mehr als 40 Jahre alt und höchstens die Sitzpolster erneuert worden. Der Kostendruck ist enorm.
Trotzdem sieht Robert Tabern, der Zugbuch-Autor, eine Zukunft für Amtrak.
„Viele Orte entlang dieser Bahnstrecken sind sehr ländlich. Hasting und McCook, Nebraska, zum Beispiel: Ohne Zuganbindung müssten die Leute mit dem Auto fünf, sechs Stunden bis zum nächsten Flughafen fahren. Und in den Städten wie Chicago ist man mit dem Zug in 25 Minuten aus dem Stadtzentrum, mit dem Auto braucht man zwei Stunden.“

Kleines Comeback auf einigen Strecken

Auf den lukrativen Strecken gibt es inzwischen sogar Konkurrenz auf der Schiene: In Florida hat das erste private Personenzugunternehmen Nordamerikas erfolgreich eine Intercity-Verbindung gestartet.
Und in Kalifornien soll zwischen den Stadtzentren von San Francisco und Los Angeles bald ein Hochgeschwindigkeitszug fahren.
Seit Corona sorgen auch die Schlafwagen von Amtrak für Profite, weil die Leute lieber nachts im Einzelabteil liegen als im Waggon den ganzen Tag eine Maske zu tragen. Die Bahn erlebt also mal wieder ein kleines Comeback in den USA. Das könnte noch größer werden, auch durch die jüngere, umweltbewusstere Generation, meint Ex-Amtrak-Manager Anthony Rizos, denn...
„Amtrak ist nicht nur eine Eisenbahn. Es ist ein nationaler Schatz. Es hat eine öffentliche Aufgabe und ist nicht nur ein Verkehrsunternehmen. Die Menschen sind stolz darauf, Amtrak in ihrer Gemeinde zu haben.Sie begreifen, dass Züge, die das Land verbinden, wichtig sind. Nicht nur aus nostalgischen Gründen.“

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