Schurken und Schergen als Lachnummer

Lucy Prebble: Extrem teures Gift

Theater:Theater Trier, Premiere:23.09.2023 (DSE)Regie:Manfred Langner

Das Theater Trier zeigt die Deutsche Erstaufführung von „Extrem teures Gift“. Eine politische Komödie über den realen Mord an dem russischen Dissidenten Alexander Litwinenko.

Alexander Walterowitsch Litwinenko, bis 2000 Geheimdienstoffizier des KGB und dessen Nachfolger FSB, hatte sein Todesurteil 1998 unterschrieben. Nachdem er seine Arbeitgeber bei einer Pressekonferenz in Moskau der Anstiftung zum Mord beschuldigte: Er und seine Kollegen hätten den Auftrag bekommen, Boris Beresowski, unter Boris Jelzin in verschiedenen politischen Ämtern tätig, zu ermorden. Sowohl Beresowski als auch Litwinenko setzten sich nach Großbritannien ab. Litwinenko arbeitete beim britischen Auslandsgeheimdienst MI6 und wurde als Buchautor und Journalist von Beresowski unterstützt. Am 1. November 2006 wurde Litwinenko in einem Londoner Hotel -höchstwahrscheinlich – von zwei ehemaligen Kollegen mit Polonium-haltigen Tee vergiftet. Dies ist ein radioaktives Element und „extrem teures Gift“.

Genreübergreifend zwischen Burlesk und auch Music-Hall-Tradition. Foto: Benjamin Westhoff

So lautet auch der Titel des Stücks von Lucy Prebble, das die britische Dramatikerin nach einem Buch des „Guardian“-Journalisten Luke Harding und nach zahlreichen Gesprächen mit Litwinenkos Witwe Marina geschrieben hat. Es wurde 2019 im Londoner „Old Vic“ uraufgeführt und für den Laurence-Olivier-Preis nominiert. Die deutschsprachige Uraufführung fand 2022 am Wiener Burgtheater statt. Die deutsche Erstaufführung hat sich das Theater Trier gesichert. Intendant Manfred Langner saß selbst am Regiepult. Er hat sich bei seiner Inszenierung sämtlicher dramatischer Gattungen bedient, die das Theater hergibt.

Dramatische Mischung an Genres

Da sind zunächst die Elemente des dokumentarischen Theaters, Lehrstück und Vorlesung mit direkter Ansprache ans Publikum. Es wird über die russische Lebenswirklichkeit aus Sicht Marina Litwinenkos (zwischen Resignation und Aufbegehren: Carolin Freund) informiert. Burlesk überdreht wird es, wenn Litwinenkos Mörder (tollpatschig bis zur Karikatur: Giovanni Rupp und Stephan Vanecek) beim ersten Anschlag vollständig versagen und beim zweiten Versuch ein veritables Chaos anrichten. Und eine Prise britischer Music-Hall-Tradition ist auch im Spiel: Michael Hiller wirbelt als Litwinenkis Freund (und später ebenfalls Opfer) Boris Beresowski singend und tanzend inklusive Chorusline über die Bühne. Steven Koop steuert viel russisches Ambiente bei.

Eine Komödie über einen politischen Mord, befohlen vom derzeit meist gehassten und geächteten Diktator und Kriegsherrn. Die ebenso furchterregende wie groteske Rattenhaftigkeit hat Friederike Majerczyk, grau gewandet und fest frisiert (Kostüme: Yvonne Wallitzer) punktgenau dem Original abgeschaut? Genau das habe der Witwe des Ermordeten, Marina Litwinenko, vorgeschwebt, versichert der Regisseur, der ihr diesen Wunsch erfüllt hat: die Schurken und Schergen als Lachnummern zu desavouieren. Ihnen wird zumindest auf der Bühne die Aura der Gefährlichkeit genommen. Dass die britischen Behörden (im Stück sachlich-kühl und nicht ohne Misstrauen den Verdächtigungen gegenüber: Barbara Ullmann, Klaus Michael Nix und Raphael Christoph Grosch) überhaupt die Ermittlungen in diesem Mordfall aufgenommen haben, ist der Hartnäckigkeit der Witwe zu verdanken. Großbritannien wollte seinerzeit das – kurzfristig – „gute“ Verhältnis zu Russland nicht durch eine vermeintlich private Tragödie belasten.

„Extrem teures Gift“ beachtet weder Zeit- noch Landesgrenzen, so dass Marina und „Sascha“ die letzten Jahre und Tage ihres Lebens wie in einem Zeitraffer erleben. Und so verlässt Alexander Litwinenko das Sterbebett, auf dem er zu Beginn der Handlung gelegen hat und ficht seinen Kampf noch einmal. Begleitet wird er von den Kommentaren seiner Frau und seinen Freunde. Thomas Jansen ist dieser Agent von der traurigen Gestalt, der engagiert und wütend aus Liebe zu seinem Vaterland die Korrupten in der Regierung entlarven will. Ein Candide und Don Quijote, der freilich, weil er sich nicht vorstellen mochte, dass die Kirschen, die er mit dem Teufel aß, vergiftet sein konnten. Für einen rechten Gänsehaut-Moment sorgt er ganz am Schluss: als er, wie der wahre Alexander Litwinenko im blassgrünen Kittel tot im Bett liegt.

Der zweite Gänsehaut-Moment des Abends: Marina Litwinenko, die zur Premiere an die Mosel gereist war, verbeugt sich, zu Tränen gerührt, mit dem Ensemble beim Schlussapplaus.