Selbstmordgedanken – Suizidalität erkennen + Anzeichen & Tipps

Selbstmordgedanken sind nicht so einfach zu entlarven. Es gibt nämlich nicht nur die aktiven Suizidgedanken, sondern auch die passive, latente Suizidalität, die kaum jemand richtig einschätzt. Weder Betroffene selbst noch Außenstehende.


ACHTUNG: Triggerwarnung!

Selbstmordgedanken – Suizidalität erkennen

Wann besteht Selbstmordgefahr?

Es gibt aktive und passive Formen von Selbstmordgedanken: Aber wie lässt sich Suizidalität erkennen? Es gibt verschiedene Anzeichen, von denen Du wissen solltest, wenn Du selbst oder jemand anderer Gedanken an den Tod hat.

 

Inhaltsverzeichnis: Selbstmordgedanken

  • Habe ich Suizidgedanken

  • Selbstmord-Rate in Deutschland ist hoch

  • Selbstmordgedanken bei Depressionen

  • Was sind Selbstmordgedanken?

  • Selbstmordgedanken als Suche nach Auswegen

  • Wie entstehen Suizidgedanken?

  • Selbstmordgedanken Bullshit-Bingo – Irrtümer über suizidale Menschen

  • Aktive Selbstmordgedanken erkennen

  • Passive Selbstmordgedanken erkennen

  • Ich habe Selbstmordgedanken – bitte sprich mit jemandem!

  • Selbstmordgedanken bei Angehörigen, Freunden, Partnern – Trau Dich und frage nach!

  • Was tun bei akuter Suizidgefahr?

  • Versteckte Anzeichen für akute & passive Selbstmordgedanken

  • Rede darüber! Selbstmordgedanken offen kommunizieren


 

Habe ich Suizidgedanken?

Es gibt die offensichtlichen Selbstmordgedanken wie „Ich will nicht mehr Leben.“ oder „Ich kann nicht mehr weiterleben.“ So stellte ich mir Suizidgefahr vor, lange bevor ich überhaupt daran dachte zum Arzt zu gehen und mir helfen zu lassen.

Daneben gibt es aber auch die unterschwelligen suizidalen Gedanken, die Du als Betroffene*r selbst nicht erkennst. Und wenn Du anderen nichts davon sagst, versteht sowieso keiner, in welcher Gefahr Du schwebst und wie krank Du bist.

 

Selbstmord-Rate in Deutschland ist hoch

Fakt ist, jährlich sterben allein in Deutschland viel mehr Menschen durch den Freitod als durch Unfälle, Drogen oder HIV in der Summe. In Zahlen bedeutet das (1):

  • 9.396 haben im Jahr 2018 Selbstmord begangen

  • 3.275 sind wegen Verkehrsunfällen verstorben

  • 1.276 durch Drogen zugrunde gegangen

  • 294 haben ihr Leben durch Mord oder AIDS verloren

 

Jedes Jahr treibt es also ca. 10.000 Personen in den Suizid!

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Das musst Du erst mal sacken lassen – die Relation zu den anderen Todesursachen ist wirklich heftig.

Insbesondere, wenn Du bedenkst, dass sich laut Experten die Suizidrate um 50 % reduziert hat (seit 1980). Früher waren es also doppelt so viele Menschen, die keinen Ausweg mehr sahen und Selbstmord begingen.

2019 hat sich die Zahl kaum verändert: immer noch 9041 Menschen verstarben durch Selbstmord (4). Und das alles sind jetzt nur die Fälle, von denen wir wissen.

Die Zahl der Suizidversuche schätzt die Stiftung Deutsche Depressionshilfe gute 15-20 Mal höher:

Das wären dann mindestens 135.615 Menschen, die jedes Jahr versuchen, sich das Leben zu nehmen.

 

Selbstmordgedanken bei Depressionen

Wie viele von diesen Suiziden sind jetzt mit Depressionen verbunden? Leider so einige. Ungefähr 90 % der Menschen, die Selbstmord begangen haben, litt an einer psychiatrischen Erkrankung.

Die Depression ist dabei mit über 50 % vertreten, dahinter kommt Schizophrenie.

Depressionen gelten damit als Hauptursache von Selbstmorden in Deutschland (3).

Wer also denkt, Selbstmordgedanken wären bei Depressionen die Ausnahme, der irrt sich. Im Gegenteil, sehr viele Betroffene leiden unter suizidalen Gedanken, denn die sind ein Symptom der Krankheit.

 

Was sind Selbstmordgedanken?

Suizidales Denken und Verhalten umfasst alle Gedanken & Handlungen, die sich damit beschäftigen, sich selbst das Leben zu nehmen. Daher auch das Wort: aus dem Lateinischen sui = selbst und caedere = töten.

 

Selbstmord, Selbsttötung oder Freitod

Welcher Begriff ist der Richtige?

Es gibt seit vielen Jahren eine Debatte darüber, ob der Begriff Selbstmord, Freitod oder Selbsttötung angemessen ist. Ich will das hier kurz mal anreißen:

  • Ich persönlich finde die Bezeichnung ungünstig: sie suggeriert, Suizid wäre eine Entscheidungsfreiheit. Bei Depressionen und psychischen Krankheiten bist Du aber nicht frei, sondern gefangen in Deinen pathologischen Gedanken. Der Begriff geht übrigens auf Nietzsches “Also sprach Zarathustra” zurück.

  • Selbstmord wird in der Umgangssprache genutzt, nicht von Fachkreisen. Denn die stoßen sich an dem Wortteil “Mord”, weil darin der juristische Sinn von Straftat & niedrigsten Beweggründen mitschwingen soll (10).

    Mord war aber ursprünglich kein wertender Begriff, by the way sprach man im Mittelalter von “Selbst-Entleibung” (was den heroischen Märtyrer-Tod ebenso einschießt wie andere Motive).

    Erst Luther hat das Wort Selbstmord im kirchlichen Kontext eingebracht und mit ihm eine scharfe Verurteilung (11), in Anlehnung an die frühen Kirchenväter.

  • Auch dieses Synonym wird oft angeprangert, weil es die negative Bedeutung von Selbstmord verstärken soll (12).

    Das Wort wird in der Amtssprache genutzt, wobei vorsätzlich und fahrlässig mitschwingt. Also wieder eine subtile Verurteilung.

  • Ich persönlich finde es falsch, den Begriff Selbstmord auf seine juristische Bedeutung zu verengen. Die starke Differenzierung ist in der Umgangssprache einfach nicht gegeben. Nur die wenigsten Menschen werden sich so korrekt mit der Bezeichnung auseinandersetzen. Betroffene selbst tun es oft nur, weil ihr Therapeut sie darauf hinweist.

    In der deutschen Sprache ist Selbstmord der häufigste Begriff für ein Sich-Selbst-Töten.

    Wirklich jeder, egal ob Putzfrau, Bauarbeiter oder Professor, weiß, was damit gemeint ist.

    Selbstmord drückt umgangssprachlich keine Straftat aus, sondern Gewalt gegenüber der eigenen Person. Und das ist Suizid meiner Meinung nach auch: Eine brutale und tödliche Handlung gegen sich selbst.

  • Keine Frage, wenn Du eine andere Meinung dazu hast, dann ist das zu respektieren. Aber bitte mach Dir bewusst, mit wem Du sprichst und was Dein Anliegen ist: Willst Du verstanden werden? Oder eine wissenschaftliche Debatte über Begriffsverwendungen führen?

    Mein Text hat den Anspruch, allgemein von jedem verstanden zu werden, Stigmatisierung psychisch Kranker abzubauen und Dich zu Gesprächen über Selbstmord zu motivieren. Das kann er aber nur, wenn ich verständliche Synonyme nutze und mich der Alltagssprache bediene.

 

Selbstmordgedanken als Suche nach Auswegen

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Die Basis für suizidale Gedanken bildet immer ein immenser Leidensdruck, der Dich über längere Zeit hinweg quält. Kommen dann noch Krisensituationen, traumatische Erlebnisse oder schwere Verluste hinzu, können Selbstmordgedanken entstehen.

An sich sind Suizidgedanken aber kein Ausdruck von realen Todeswünschen, sondern eine Verzerrung: Du willst gar nicht sterben, Du suchst verzweifelt nach einem Ausweg und einer Entlastung, um endlich den ersehnten Seelenfrieden zu finden.

 

Das Sterben wird hier also aus einer komplett anderen Perspektive gesehen.

Du füllst das Wort mit einer anderen Bedeutung: Tod oder Sterben hat dann den Sinn von

  • Ausweg aus der Enge Deines Leids

  • Erlösung von Deinen schrecklichen Gedanken

  • Abwerfen all des seelischen und körperlichen Ballasts

  • Befreiung aus der unverständlichen Schwere

 

Wie entstehen Suizidgedanken?

Selbstmordgedanken als Krankheitssymptom

Suizidale Gedanken entstehen in Folge der kranken Psyche. Selbstmordgedanken musst Du daher als Krankheitszeichen verstehen, die den Ernst der Lage widerspiegeln.

Wenn ein Mensch seinen Lebenswillen verliert, dann ist das ein schrecklicher, quälender Zustand, der nicht der Natur des Menschen entspricht und kaum zu ertragen ist.

Hinzu kommt, dass Depressionen & andere psychische Erkrankungen alle bestehenden Probleme des Lebens, die es immer gibt, in den Mittelpunkt rücken und gigantisch vergrößern.

Zusammen mit der gnadenlosen Hoffnungslosigkeit, die Dich vereinnahmt, gibt es keine Aussicht auf Rettung. Wirklich gar keine, außer Deinen Tod…

 

Selbstmordgedanken Bullshit-Bingo

Irrtümer über suizidale Menschen

Leider gibt es noch viele Vorurteile & falsche Vorstellungen über Suizidalität. Das Bullshit-Bingo Suizid zeigt Dir pointiert, was für Irrtümer allgemein verbreitet sind und nichts mit der Realität zu tun haben:

Selbstmordgedanken Bullshit-Bingo

In Kooperation & zur Verfügung gestellt von Stigma Psyche – herzlichen Dank dafür!

 

Aktive Selbstmordgedanken erkennen

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  • Du hast konkrete Gedanken, wie „Ich kann nicht mehr“, „Ich will nicht mehr leben“

  • Der Tod ist die einzige Option, die Du noch siehst

  • Du hinterfragst den Sinn & Wert Deiner Existenz

  • Du äußerst Selbstmordabsichten gegenüber Dir selbst oder anderen

  • Du suchst & informierst Dich über mögliche Sterbemethoden

  • Du planst Deinen Tod bzw. entwirfst verschiedene Szenarien, wie Du vorgehen könntest

  • Du bereitest Deinen Selbstmord tatsächlich im Detail vor

  • Du verfasst ein Testament oder denkst intensiv über Dein Erbe nach

  • Du schreibst einen Abschiedsbrief oder ähnliches (alles ins Reine bringen)

  • Du verletzt Deinen Körper

  • Du verspürst plötzlich, ohne Vorwarnung einen übermächtigen Drang bzw. Wunsch, allem ein Ende zu setzen
    (Es braucht also nicht immer eine lange Planungsphase)


Beispiel für aktive Suizidgedanken

Erfahrungsbericht auf therapie.de: „Immer mehr habe ich mich in die eigene Abwärtsspirale begeben, deren negativer Sog immer stärker wurde (…) Als ich mal an einem See im Südwesten von Berlin stand, es war trübes Wetter und trotz Großstadt keiner da, dachte ich: Da gehst Du jetzt rein und machst dem Drama ein Ende. (…)

Ich saß da lange, es wurde kalt und irgendwann bin ich aufs Fahrrad gestiegen und doch nach Hause gefahren.

Und dann dachte ich mir: Anna, Du brauchst Hilfe. Du hast in jedem Schwierigkeitsgrad immer gern gelebt bis zu dieser Aufhäufung von Desastern.

Deine Eltern lieben Dich, auch wenn Du weit weg wohnst. Wenn Du jetzt einfach gehst, sind die fertig mit der Welt.“(8)


 

Passive Suizidgedanken erkennen

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  • Du machst Dir Gedanken über den eigenen Tod, ohne den Wunsch zu sterben

  • Du willst nicht leben, aber auch nicht sterben

  • Du hast keine Angst vor dem Tod, begegnest ihm gleichgültig (Wenn ich jetzt durch einen Unfall sterben würde, wäre das nicht schlimm)

  • Du verweigerst oder vereitelst lebenserhaltende Maßnahmen, wie Arztbesuche oder Medizin


Beispiel für passive Selbstmordgedanken

In meiner schwersten Depressions-Phase 2017 durchwachte ich die Nächte im Bett, mit voll angespanntem Körper und düsteren, depressiven Bildern im Kopf.

Schlafen konnte ich schon seit gut einem Jahr nicht mehr richtig, seit Monaten hatte ich Panikattacken und war psychisch und körperlich an der Grenze zum Zusammenbruch. Das alles erkannte ich damals aber nicht.

Obwohl immer öfter seltsame Filme in meinem Kopf entstanden: Was wäre, wenn ich jetzt in die Küche gehe – mein Mann schläft tief und fest, der würde nichts mitbekommen – ein Messer aus der Schublade nehme und …

 
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Wie würde es sich anfühlen…

Die Vorstellung war faszinierend und erweckte gleichzeitig Angst in mir.

Angst vor mir selbst und dem Entsetzen, dass ich zu solchen Phantasien (oder sogar Handlungen?!) imstande war.

Ich hatte nicht den Wunsch zu sterben.

Überhaupt nicht. Kein einziges Mal dachte ich „Ich will nicht mehr“. Ich habe lediglich die Möglichkeit in Betracht gezogen – immer wieder diese schmerzhafte Erleichterung im Kopf durchgespielt.

Hätte mein Partner mich damals nicht zum Arzt geschleppt, wären diese Gedanken evtl. Wirklichkeit geworden. Damals wusste ich allerdings nicht, dass ich passive Suizidgedanken hatte.

Daher verneinte ich die Frage auch selbstsicher, wenn mich Ärzte danach fragten. Allerdings wurde meine Depression dadurch unterschätzt und meine Behandlungen wären vielleicht effektiver ausgefallen, wenn ich damals schon von diesen Gedanken erzählt hätte.

 

Ich habe Selbstmordgedanken

– Bitte rede darüber!

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Wenn Du solche Gedanken hast, dann ist es nicht mehr weit bis zu aktiven Selbstmordgefahr, wenn sie nicht bereits akut ist.

Genau jetzt hilft es, wenn Du Dich einem lieben Menschen anvertraust.

Beschönige nichts, sage es offen, denn nur so erkennt Dein Gegenüber, dass es Dir ernst ist.

Selbst, wenn Du gerade kein akutes Gefühl hast, Dir das Leben zu nehmen…sprich darüber.

 

Hole Dir unbedingt ärztliche Hilfe

Du brauchst sie – und Du darfst sie in Anspruch nehmen, denn genau für Menschen wie Dich und mich sind diese Leute da.

Falls es Dir noch zu schwer fällt, dann wende Dich zumindest an die folgenden Telefonnummern. Die Menschen dort sind super einfühlsam und verständnisvoll:

  • Telefon-Seelsorge: 0800 111 0 111

  • Deutsche Depressionshilfe: 0800 33 44 533

  • ARCHE München & bundesweit: 089 33 40 41

 

Selbstmordgedanken: Was tun als Angehörige*r, Freund*in, Partner*in?

Als Angehörige*r, Freund*in oder Partner*in eines Menschen mit Selbstmordgedanken, ist es wichtig, dass Du aktiv wirkst.

Sprich bitte die Person darauf an. Direkt und ohne Scheu.

„Hast Du Selbstmordgedanken?

Warum hast Du den Wunsch zu sterben?

Wie kommst Du zu Gedanken über den Tod?“

Wie kann ich Dir helfen?

Im Gegensatz zum verbreiteten Glauben, treibst Du den anderen dadurch nicht in den Suizid: Nein, oft ist es für Betroffene erleichternd darüber sprechen zu dürfen.

Du rettest den anderen also!

 
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Zuhören & nicht verurteilen

Bleib dabei ruhig.

Erinnere daran, dass Suizidgedanken relativ häufig sind und wieder vorbeigehen.

Gleichzeitig bietest Du am besten Deine Hilfe an, um einen Arzt oder Krisendienst zu kontaktieren.

Unterstütze denjenigen, in eine Klinik zu gehen oder eine Psychotherapie zu beginnen.

 

Akute Selbstmordgedanken – Was jetzt?

Im schlimmsten Fall, also wenn ein Mensch mit Selbstmord droht oder ihn Dir ankündigt, besteht Selbstgefährdung. Dann kannst Du eine Zwangseinweisung einleiten. Aber wirklich nur dann! Rufe sofort den Notruf 112 und lass den Betroffenen auf keinen Fall alleine.

Krisendienste & Telefonnummern

Mittlerweile gibt es einen Krisendienst, bei dem Du bei akuter Selbstmordgefahr schnelle Hilfe vor Ort bekommst:

  • Psychiatrischer Krisendienst Oberbayern: Tel.: 0180/ 655 3000

  • Psychiatrischer Krisendienst Mittelfranken: Tel.: 0911/ 42 48 55-0 (Angebote auch in russischer und türkischer Sprache)

  • Psychiatrischer Krisendienst Unterfranken: Tel.: 0931/ 57 17 17 (14.00-18 Uhr und 18.30 bis 0.30 Uhr)

  • ARCHE München & bundesweit: Tel 089/33 40 41


 

Versteckte Anzeichen für akute & passive Selbstmordgedanken

  • oft über absolute Sinnlosigkeit und Wertlosigkeit sprechen

  • Abschiedsbriefe schreiben, Testament aufsetzen, Dinge verschenken

  • erst totale Betrübtheit und darauf plötzliche Stimmungsaufhellung

  • kaum oder gar nicht mehr Essen und Trinken

Diese Punkte sind nur Hinweise, dass eine Suizidgefahr bestehen könnte. Nicht jeder davon muss zutreffen, es kann auch kein einziger davon vorkommen. Trotzdem, auch wenn Du nur das Gefühl hast, jemand könnte über Suizid nachdenken, sprich darüber!

 

Rede darüber!

Selbstmordgedanken offen kommunizieren

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So traurig und grässlich das Thema auch ist, Du, ich, wir alle müssen öfter darüber reden.

Allein schon, weil Selbstmord bei Jugendlichen die 2. häufigste Todesursache hierzulande darstellt.

Das weiß nur kaum jemand, weil immer noch hinter vorgehaltener Hand darüber gesprochen wird. Das Tabu hat selbstverständlich seine Gründe:

 

1) Der Werther-Effekt

Jap, nennt sich tatsächlich so, weil Goethes Publikation damals mehrere Nachahmer auf den Plan rief, die es dem Protagonisten gleich taten. Auch heute noch: Sobald in den Schlagzeilen detailliert über Selbstmorde berichtet wird, steigt die Suizidrate. Um das zu verhindern besteht ein stillschweigendes Einverständnis in der Öffentlichkeit, dem Thema nicht zu viel Raum zu geben.

 

2) Hilflosigkeit & Überforderung

Sobald das Wort Selbstmord oder Tod fällt, fühlst Du Dich unangenehm berührt, beklemmt, unwohl. An sich eine natürliche psychische Reaktion. Du möchtest Dich selbst vor schlechten Gefühlen und Gedanken schützen. Problematisch wird’s allerdings, wenn eine Person über Suizidgedanken redet und Du das nicht ernst nimmst, abtust, nicht zuhören willst oder Dich abwendest.

 

Der Papageno-Effekt zeigt, dass es auch anders geht

Es gibt aber auch gegenteilige Effekte. Der Papageno-Effekt zeigt zum Beispiel, dass Berichte über Menschen, die suizidale Krisen bewältigt haben, präventiv wirken – ist sogar in Studien belegt (5).

Der Clou liegt in der medialen Darstellung: eine suizidale Krise darf nicht romantisiert oder heldenhaft dargestellt werden.

Das ist sie nämlich nie. Und sie hat nichts Heroisches oder Erlösendes an sich. Insbesondere wenn Du Dir bewusst machst, was Du Deinen Liebsten, Angehörigen und Freunden damit antust. Selbstmord hinterlässt nicht nur eine Lücke im Leben aller Betroffenen, er macht den anderen das Leben regelrecht zur Hölle.

 

Schäme Dich nicht für eine Krise

– kranke Psyche erzeugt Selbstmodgedanken

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Ich hab’s zwar schon gesagt, aber ich wiederhole es gern noch einmal, weil das gar nicht oft genug betont werden kann:

Viele Menschen haben zumindest einmal im Leben Selbstmordgedanken, wenn sie in einer schrecklichen Krise stecken.

Ich selbst gehöre auch dazu. Deswegen sind wir beide also nicht anders als alle anderen.

Dein Kopf schickt Dir Warnzeichen mit Hilfe der suizidalen Gedanken. Wir kapieren das oft nur nicht.

Ich gebe zu, in mir löst die Erinnerung daran Schuld- und Schamgefühle aus. Ich weiß aber heute, dass die durch meine schwere Depression entstehen.

Seit ich Antidepressiva einnehme und in Behandlung war/bin, kamen in mir nie wieder Selbstmordgedanken auf. Und das ist wirkliche Erleichterung und existenzielle Freiheit. 😊

Darum ist die therapeutische Hilfe so unglaublich wichtig: sie unterstützt Dich, diese düsterste aller Gedankenwelten hinter Dir zu lassen. Bitte nimm’ sie Dir.


Quellen:

1) Statista Research Departement: Anzahl der Suizide in Deutschland im Vergleich zu ausgewählten Todesursachen in den Jahren 2012 bis 2018
2) Elena Weber: Selbstmordgedanken: Diese Warnsignale solltest du kennen
3) Stiftung Deutsche DepressionsHilfe: Suizidalität
4) Statistisches Bundesamt: Todesursachen – Suizide
5) Jana Hauschild: Reden wir über Suizid (Psychologie Heute)
6) Tanja Walter: Suizidgedanken - das sind die Warnhinweise
7) Urlike Ostner: Selbstmordgedanken - wer kann helfen?
8) therapie.de: Erfahrungsbericht: Anna, 45, Selbstmordgedanken
9) BR: Suizidprävention: Zahlen und Fakten über Suizid
10) Arbeitskreis Leben e.V.: Thema Suizid - Selbstmord – Freitod – Suizid/Selbsttötung
11) Jürgen Dreyer: Selbsttötung (planet-wissen.de)
12) Jana Zeh: Suizid bleibt ein totgeschwiegenes Tabu

Tamara Niebler (Inkognito-Philosophin)

Hey, ich bin Tamara, studierte Germanistin, Philosophin (M. A.) & freie Journalistin. Hier blogge ich über meine Erfahrungen mit Depressionen & Angst sowie über Philosophie & soziale Ungleichheit.

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