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Fehlende Achtung für das kulturelle Erbe

Immer mehr historische Bauten werden dem Verfall preisgegeben: Johanneum, Mitterbad, Schmiedhofstadel…

Südtirol verkauft sich gerne als intakte Kulturlandschaft. Das ist leider ein Märchen. Viele Beispiele des Verfalls und der Verwahrlosung beweisen dies.

Ein besonders sichtbares Zeichen des Verfalls findet sich im Ultental, kurz vor Kuppelwies, direkt neben der Straße: Der ehemals stattliche Stadel des Schmiedhofs bricht langsam, aber sicher zusammen. Keine schöne Visitenkarte für das Tal mit seiner ursprünglichen Höf­e-Landschaft! Die Einheimischen schämen und ärgern sich, die Gäste sind schockiert. Wie konnte es soweit kommen? Nach dem Konkurs der Schmiedhofer-Säge wurde der Schmiedhof im Jahr 1985 versteigert und ging in den Besitz eines reichen Obstbauern aus Lana über.
Den neuen Besitzer interessierte nur der Wald, in die Gebäude in­vestierte er über Jahrzehnte keinen Cent. Das Schindeldach des Stadels erschien vor 20 Jahren dringend sanierungsbedürftig. Deshalb suchte ich im Jahr 2002 den Stöcklhof-Bauern in Lana auf, informierte ihn über die Beitragsmöglichkeiten und bot ihm jegliche Unterstützung an, vom Antrag um einen Landesbeitrag über die Suche nach einem Zimmermann bis zur Besorgung von Holz und Schindeln. Vergebens! Sein Geiz und seine Kulturlosigkeit siegten. Und so nahm das Schicksal seinen Lauf. Zuerst verfiel das Schindel­dach, dann die Dachbalken und inzwischen das ganze Gebäude. Nach dem Ableben von W. Frei und seiner deutschen Frau in den Jahren 2010 und 2011 ging der Besitz an die bayrischen Nachkommen der Frau über. Auch sie zeigten bisher Null Sensibilität für die historisch gewachsene bäuerliche Baukultur in Ulten und lassen den Schmiedhofer Stadel vor aller Augen zusammenfallen.
Eine Schande! Der zusammenstürzende Stadel des Schmiedhofs ist kein Einzelfall. Allein im Ultental gibt es ein Dutzend Gebäude, die man verfallen lässt: Häuser, Städel, Al­men. Das krasseste Beispiel ist die Ruine Mitterbad in St. Pankraz, ehemals eines der bekanntesten Bäder im deutschsprachigen Raum. Ein Anblick zum Grausen! Aber auch in anderen Gemeinden stehen weithin sichtbare Zeichen des Verfalls, so in Dorf Tirol mit dem seit Jahren dem Verfall preisgegebenen Johanneum. Was kann man dagegen tun? Den privaten Besitzern ins Gewissen reden bringt nichts. Manchmal gehört ein solches Objekt auch mehreren Eigentümern/Geschwistern, die unter sich zerstritten sind, sodass nichts geschieht. Offensichtlich beim Mitterbad der Fall. Die Gemeinden sind machtlos, die Ämter und Kommissionen für Landschaftsschutz und die Forstämter haben diesbezüglich keine Kompetenzen. Die Medien schreiben kaum über solche Schandflecke. Und die Verbände, die solche Wunden in der Kulturlandschaft sehen müssten, sind auf diesem Auge blind. Ich meine den Dachverband für Natur- und Umweltschutz, den Heimatpflegeverband und den Alpenverein. Diese Verbände verfolgen höhere Ziele. Neben dem Dauereinsatz gegen einen funktio­nierenden Flughafen sehen sie ihre vornehme Aufgabe darin, den Neubau der Kölner Hütte gemäß den Plänen eines Vinschger Stararchitekten zu verhindern, weil dessen „Glasturm“ dem Rosengarten die Show stehlen würde. Oder sie engagieren sich gegen eine Erschließung, Gestaltung und at­traktive Verbauung des verwahrlosten Virgl und riskieren lieber, dass dort die wilde Müllhalde über weitere Jahre anwächst. Aber gegen den Verfall von Gebäuden in der Kulturlandschaft unternehmen sie so gut wie nichts.

Und was tun die Parteien und politisch aktiven Verbände gegen den sichtbaren Verfall der Heimat? Nichts! Die Patriotenpartei hält sich zurück, weil sie verstanden hat, dass all diese Beispiele verfallender Heimat belegen: „Süd-­Tirol IST Italien“ Die Grünen erfüllen nicht die in sie gesetzten Erwartungen. Die Freiheitlichen und das Team K. haben auch zu diesem Thema nichts zu sagen. Und die SVP ist ständig mit der Aufarbeitung interner Skandale beschäftigt, jüngst eines kleinen Skandals um die sich verrechnende Ladurner-Gitsch und derzeit eines großen Skandals namens SAD-Affäre um einen Alt-Mächtigen Gatterer-Lobbyisten. Die so heimatverbundenen Schützen schließlich sind verstummt, wohl aus Scham über die peinliche Ver­wandlung ihres letzten Landeskommandanten zum No-Vax-­Frei­heitskämpfer.

Bleibt die Frage nach der Aktivität der Landesregierung und des Landtags bei diesem Thema. Antwort: Die landesweit sichtbaren Exempel des Verfalls von Gebäuden, der Überdüngung von Almwiesen und der Verwahrlosung von Wäldern sind für die Landespolitiker anscheinend keinen müden Gedanken wert. Man beschließt einen schlecht durchdachten Bettenstopp. Aber man hat keine Idee, wie man den Verfall der Kulturlandschaft stoppen kann. Das muss sich ändern!
Es braucht ein Landesgesetz, das den verbreiteten Verfall von landestypischen Gebäuden stoppt. Mit folgenden Eckpunkten: Die Gemeinden sind verpflichtet, den sichtbaren Verfall von Gebäuden an die Landschaftsschutzbehörde zu melden. Die Eigentümer erhalten nach drei Jahren jährlich eine schriftliche Mahnung. Nach fünf Jahren haben sie jährlich eine spürbare Verwaltungsstrafe zu zahlen. Und nach zehn Jahren werden sie enteignet. Mit der Verpflichtung, die Spesen für den Abbruch oder die Sanierung zu zahlen. Wo ein Wille ist, eine intakte Kulturlandschaft zu haben, wird auch ein Weg dazu gefunden werden. Oder wollen wir warten, bis die Sendung „Piazzapulita“ von La7 einem staunenden italienischen TV-Publikum die vielen Zeichen des Verfalls in Südtirol vor Augen führt? „Il Sudtirolo delle rovine!“
Franz Berger, St. Pankraz