Abgasskandal

Ausmaße des Dieselskandals bisher unterschätzt

Zusätzliche Stickoxide im Ausmaß des vierfachen Jahresausstoßes von ganz Österreich wurden durch die betroffenen Diesel-Autos emittiert.
Zusätzliche Stickoxide im Ausmaß des vierfachen Jahresausstoßes von ganz Österreich wurden durch die betroffenen Diesel-Autos emittiert.Imago / Tom Chance
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Bis zu 1,6 Mio. Autos könnten allein in Österreich vom Abgasskandal betroffen sein, zeigt eine Studie der AK. Auch die Umweltfolgen dürften gravierender sein, als angenommen.

Wien. Österreich dürfte vom Dieselskandal viel stärker betroffen sein als bisher bekannt. Das besagt eine von der AK in Auftrag gegebene Studie. Demnach wurden bis jetzt bereits 537.000 Dieselautos wegen illegaler Abschalteinrichtungen in die Werkstätten gerufen, teils verpflichtend, teils auf freiwilliger Basis. Das betraf nicht nur Fahrzeuge aus dem VW-Konzern, sondern auch von Mercedes, BMW und Opel. Dazu kommen weitere 253.000 Autos von VW und Renault, bei denen im Zuge freiwilliger Serviceaktionen auch die Abgasreinigung optimiert werden sollte.

Mit knapp 800.000 Dieselfahrzeugen habe der Dieselskandal somit bereits ein doppelt so hohes Ausmaß als zu Beginn, sagte Co-Studienautorin Lydia Ninz am Donnerstag bei der Präsentation der Studie. Gemeinsam mit dem Rechtsanwalt Alexander Holzleitner hat die Wirtschaftsjournalistin und Betriebswirtin die Folgen des Abgasskandals für Österreich ausgelotet. Die Zahl der Betroffenen könnte sich demnach sogar noch verdoppeln: Bis zu 800.000 weitere Dieselautos, die bisher noch nicht zum Software-Update zurückgerufen wurden, könnten wegen des sogenannten „Thermofensters“ ebenfalls betroffen sein. In Summe wären das dann rund 1,6 Mio. Pkw - von insgesamt 5,1 Mio. Autos.

Aber auch die Umweltauswirkungen dürften bisher unterschätzt worden sein: Laut in der Studie verwendeten Daten des Umweltbundesamtes haben selbst die „sauberen“ Dieselautos der neueren Generationen (Euro 6a und Euro 6b) den gesetzlichen Grenzwert bei Stickoxiden um das Achteinhalbfache überschritten.

Aus der Statistik gestrichen

Allein im Zeitraum 2010 bis 2019 fielen demnach in Österreich 440.000 Tonnen an zusätzlichen Stickoxid-Emissionen durch die Abgasmanipulationen an. Viermal soviel, wie Österreich in einem Jahr emittiert. Diese Mehr-Emissionen seien jedoch mit Zustimmung der Europäischen Kommission aus der offiziellen Statistik gestrichen worden, sagt Ninz.

Zum Hintergrund: Durch das „Thermofenster“ funktioniert die Abgasreinigung nur bei bestimmten Außentemperaturen in vollem Umfang. Laut EuGH und OGH ist das unzulässig, wenn dadurch die Abgasreinigung die meiste Zeit im Jahr abgeschaltet oder reduziert wird. Auch solche Fahrzeuge – und nicht etwa nur jene manipulierten VW-Dieselautos, bei denen die Abgasreinigung überhaupt nur am Prüfstand funktioniert hat –, können daher schlimmstenfalls sogar mit einem Entzug der Typgenehmigung bedroht sein, sollte sich der Mangel nicht beheben lassen. „Hersteller wie Citroën, Dacia, Fiat-Chrysler und Peugeot mussten ihre Diesel-Pkw wegen solcher unzulässigen Thermofenster in anderen EU-Staaten zurückrufen“, während die gleichen Fahrzeuge in Österreich derzeit noch ohne Rückruf herumfahren“, sagt Ninz.

Aber auch bei jenen VW-Autos, bei denen nach dem Auffliegen des Abgasskandals bereits ein Software-Update vorgenommen wurde, ist das Problem damit nicht behoben. Laut einem Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig sind auch diese Software-Updates rechtswidrig. Sie schützen daher nicht vor dem Entzug der Betriebsgenehmigung, betont Holzleitner. Dabei geht es auch um weitere Abschalteinrichtungen, die etwa ab 1000 Höhenmetern wirksam werden. Sollte dieses Urteil in Deutschland rechtskräftig werden, hätte das gravierende Folgen auch für Österreich: „356.000 der 383.000 VW-Käuferinnen und -käufer, die ihre Fahrzeuge brav zum Software-Update gebracht haben, wären dann rechtlich in genau derselben Situation wie jene, die das Software verweigert haben“, erklärt AK-Experte Franz Greil. Auch bei anderen Marken wie Mercedes, Opel und BMW wären die Rückrufe möglicherweise wirkungslos.

Unmittelbar von der Stilllegung bedroht sind laut der Studie jene 27.500 manipulierten Dieselfahrzeuge des VW-Konzerns mit dem Motor EA 189 (VW, Audi, Skoda, Seat), bei denen bisher kein Software-Update erfolgte. Halter dieser Fahrzeuge werden derzeit – wie bereits berichtet – ungeachtet des in Deutschland ergangenen Urteils behördlich aufgefordert, das Update vornehmen zu lassen. Insgesamt drohe in Österreich jedoch rund 66.000 Dieselautos die Stilllegung, darunter auch 14.000 von Mercedes.

Von Land zu Land sehr unterschiedlich sind indes die Auswirkungen für die Hersteller. So musste VW In den USA Entschädigungen und Strafen im zweistelligen Milliardenbereich zahlen. In Österreich stehe jedoch die Umsetzung der EU-Richtlinie über Verbandsklagen immer noch aus, kritisiert Greil. Laut der AK-Auftragsstudie haben hierzulande bislang „nur“ rund 25.000 der von Fahrzeugrückrückrufen betroffenen PKW-Besitzerinnen und -besitzer gegen Hersteller geklagt.

Nachrüstung durchsetzen

Aus Sicht der AK sollte Verkehrs- und Umweltministerin Leonore Gewessler „das unsinnige Software-Update von VW stoppen“ und bei der EU-Kommission ein Überprüfungsverfahren hinsichtlich der Typengenehmigungen einleiten, meint Greil. Ebenso gelte es, eine Nachrüstung der Autos mit einer EU-konformen Abgasvorrichtung auf Kosten der Hersteller durchzusetzen.. Zudem brauche es passende Rechtsinstrumente zur Geltendmachung von Massenschäden. Der „größte Umweltskandal der jüngeren Geschichte Österreichs“ dürfe auch nicht ohne strafrechtliche Folgen bleiben: Wenn selbst für Autotuning empfindliche Strafen drohen, müsse dies erst recht bei Manipulationen durch Hersteller gelten.

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