Ingolstadt
Annette Dasch und das Orchestre Philharmonique du Luxembourg eröffnen die Audi-Sommerkonzerte

03.07.2016 | Stand 02.12.2020, 19:36 Uhr

Ihre Stimme ist beinahe schon zu mächtig für Mozart: Annette Dasch bei ihrem Auftritt in Ingolstadt. - Foto: Audi Sommerkonzerte

Ingolstadt (DK) Bei Arienabenden geht es am wenigsten um Musik. Sondern um das Kleid der Sängerin, ihre Schönheit, den Schmelz ihrer Stimme. Arienabende sind ein Schaulaufen des Stars auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit. Die Opern, aus denen die wunderbaren Arien entnommen wurden, sind da fast schon Nebensache, sie sind Material zur Huldigung glanzvoller Spitzentöne.

Wie wichtig der große Auftritt schon immer war, zeigt allein die Tatsache, dass etwa Wolfgang Amadeus Mozart mehr als 40 Konzertarien geschrieben hat - sie dienten fast alle dem Ruhm der Sänger. Manche Arie wurde dabei beim Komponisten erkämpft. "Bella mia fiamma, addio" (Meine schöne Geliebte, lebe wohl) schrieb Mozart 1777 ziemlich unfreiwillig für die Operndiva Josepha Duschek - so erzählte zumindest sein Sohn Karl Thomas. Die Sängerin erzwang die Komposition nämlich dadurch, dass sie Mozart in einem Raum einsperrte und ihn erst wieder herauslassen wollte, wenn er die Arie vollendet hätte. Mozart soll sich durch besondere technische Schwierigkeiten bei der Sängerin gerächt haben. Eine solche Arie passt natürlich zum Auftritt einer Diva, etwa zur Eröffnung der Audi-Sommerkonzerte im Ingolstädter Festsaal!

Zweifellos ist die Sopranistin Annette Dasch ein Star, aber nicht wirklich eine Primadonna mit Allüren. Ihr Auftritt hat immer etwas mädchenhaft Lustiges, wenn sie etwa aus dem Ehrenstrauß, der ihr überreicht wurde, eine Blume dem Konzertmeister überreicht. Das ist eher kokett als kapriziös. Und so singt sie auch. Annette Dasch gelingt es, aus der kleinen Abschiedsszene ein echtes Drama zu gestalten. Der Schmerz des Königs Titano über den Verlust seiner "Flamme" Proserpina ist spürbar von den ersten Takten an. Und vor allem: Die Dasch hat enorme Reserven, sie kann am Ende ihre Qualen herzzerreißend herausschreien: "Dieses so bittere Leben ertrage ich nicht mehr".

Das ist weit mehr als bloßes Zelebrieren von Kehlkopfakrobatik. Das ist Musik, die einem nahegeht. Und genauso berührt es, wenn Dasch Arien aus "Le nozze di Figaro" singt, etwa "E Susanna non vien . . . Dove sono i bei momenti". Auch das ein schmerzvoller Monolog, eine bittere Reflexion der Gräfin, dass sie hinter der jugendlichen Schönheit der Zofe Susanne zurückstecken muss. Annette Dasch singt das mit ihrem silbrig glänzenden Sopran ergreifend.

Und doch werden da auch ihre Grenzen deutlich. Ihre Stimme ist mächtiger geworden über die Jahre, inzwischen ist sie bereits eine grandiose Wagner-Interpretin. Ihre volle strömende Intensität entwickelt sie erst in Lautstärkeregionen, die Mozarts liedhafte Arien fast schon überwältigen. Da könnte manches filigraner wirken - etwa in der Arie der Susanna ("Un moto di gioia") und mehr noch in der zugegebenen Arie "Voi che sapete" des Cherubino aus "Figaro" - das klang einfach nicht mehr knabenhaft rein. Zwar konnte Dasch den verwirrten, verliebten Jüngling so plastisch, so spannungsgeladen verkörpern, dass alle Zweifel am richtigen Stimmfach schon wieder schwanden. Und doch: Alles war etwas zu dick aufgetragen.

Übrigens auch bei den allzu groß besetzen Luxemburger Philharmonikern. Die noch dem Sturm und Drang verhaftete Mozart-Sinfonie KV 318 kam daher, als würde ein großspuriger Audi Q9 sich durch idyllisch verwinkelte italienische Dorfgassen zwängen. Da klang alles zu wenig ausdifferenziert, zu hochpoliert und glatt. Alle Versuche des Dirigenten Gustavo Gimeno, farbige Klangrede zu produzieren, gingen unter im samtigen Breitwandsound.

Um so eindrucksvoller konnte das offenbar eher am romantischen Sound orientierte Orchester bei Peter Tschaikowskys 4. Sinfonie punkten. Gustavo Gimeno ließ bereits das Schicksalsmotiv am Anfang mit einer Lautstärke in den Festsaal donnern, als wollte er ihn zum Einstürzen bringen. Sein Orchester versteht den musikalischen Radau, den überwältigenden, straff dirigierten Überschwang. Aber Gimeno kann auch ganz anders. In der Mitte des ersten Satzes nach einem tröstenden Klarinettensolo war plötzlich alles Tragische wie weggeblasen, eine Ruhe und Schönheit des Klanges breitete sich aus, der Gimeno alle Zeit der Welt zum Entfalten gewährte. Himmlische Längen wie bei Schubert. Im Schlusssatz dann lärmende Fröhlichkeit, bis das Schicksalsmotiv die Volksfestfröhlichkeit zerstörte. Was hilft dagegen? Noch mehr Fröhlichkeit. Gimeno steigerte die Motive am Ende zu einem wirbelnden Accelerando, einer Beschleunigung ins Glücks-Nirwana. Jubel, Bravorufe und endlich echte Begeisterung des Publikums, das zuvor Annette Dasch und Mozart doch eher kühl applaudiert hatte.