Das Unterbewusste

Sieglinde Bottesch stellt im Kunstforum Ostdeutsche Galerie aus – Im Dialog mit Werken von Bernard Schultze

10.10.2022 | Stand 22.09.2023, 4:44 Uhr

„Wachsen und Vergehen“ heißt die Ausstellung von Sieglinde Bottesch und Bernard Schultze in Regensburg. Oben ihre Installation „Verlangen“. Foto: Moosburger, www.altrostudio.de

Von Katharina Kellner

Regensburg/Ingolstadt – Im Kunstforum Ostdeutsche Galerie (KOG) ist eine Vitrine mit denkbar unspektakulären Objekten zu sehen: Reste von vertrocknetem Lauch und Zwiebel, Teile von Obst, die entfernt an ihr einstiges Dasein als Birne und Apfel erinnern. „Früchte und Gemüse, 10 bis 20 Jahre alt, Sammlung der Künstlerin“ steht dabei. Doch in dieser Vitrine steckt vieles, was die Kunst von Sieglinde Bottesch ausmacht. Die Künstlerin, geboren 1938 im rumänischen Sibiu (früher Hermannstadt) und schon lange in Ingolstadt zuhause, findet ihre Inspiration in der Natur. Ihr Blick für Oberflächen, Strukturen, Schichtungen und verschiedene Stadien von Wachstum und Zerfall prägt das vielseitige und vieldeutige Werk.

Erdige Farben und expressive Werke

Einen Ausschnitt davon zeigt das Kunstforum: Die Ausstellung „Wachsen und Vergehen“ stellt zwei auf den ersten Blick ganz unterschiedliche Positionen gegenüber: Gemälde, Radierungen und Plastiken des 2005 verstorbenen Malers Bernard Schultze treten in Dialog mit Botteschs Objektkunst und Zeichnungen. Während Botteschs Arbeiten in den Farben der Natur gehalten sind und in sich ruhend wirken, zeigen sich jene von Schultze, bekannter Vertreter des Informel, farbig und expressiv. Seine rätselhaften Wesen erinnern an jene schwer zu greifenden Objekte, die durch Träume wabern. Seine unförmigen, bunten und zuweilen dreidimensional aus einer Leinwand heraus wuchernden Wesen hat er mit dem Kunstbegriff „Migof“ belegt – eine Wortneuschöpfung seiner Frau, die ein Wesen zwischen Mensch, Tier und Pflanze bezeichnet. So erinnert der „Lange rote Migof“ an ein Seepferdchen, der „Sitzende Migof“ an eine Krake oder eine geöffnete Muschel.

Schultze, geboren 1915 im damaligen Westpreußen, war nach dem Studium an der Hochschule für Kunsterziehung in Berlin und der Kunstakademie Düsseldorf von 1939 bis 1945 Soldat. Nach der Zerstörung seines Frühwerks im Krieg begründete er 1952 „Quadriga“ mit, die erste avantgardistische Künstlergruppe im Nachkriegsdeutschland. 1986 hat die Ostdeutsche Galerie Schultze mit dem Lovis-Corinth-Preis ausgezeichnet.

Botteschs Arbeiten nähern sich denen von Schultze vor allem da an, wo sie ihre kreative Inspiration aus dem Unbewussten schöpft. Im Kunstforum gab sie ein Beispiel: Nachdem sie 1987 nach Deutschland emigriert war, hatte sie bei einem Aufenthalt in Sibiu einen Markt besucht. Dort sei alles „in Licht ertränkt“ gewesen, von den Karpaten sei Schneegeruch herübergezogen. Eine Bäuerin verkaufte Samensäckchen, eines davon kobaltblau mit orangefarbenem Inhalt. Dass sie der Anblick so berührte, führt sie auf eine unbewusste Prägung durch ihre Familie von Landwirten zurück. Die Ausstellung zeigt ihre Tusche- und Federzeichnungen der Säckchen. 2006 kam ihr die Idee der Installation „Sämereien“ mit Samensäcken, deren Körner sie einzeln aus Ton modelliert hat.

Vorliebe für Naturmaterialien

Bottesch arbeitet häufig mit Naturmaterialien wie Wolle, Gras oder Rinde. Ihre Werke wirken oft zart und verletzlich. Ihre Installation „Verlangen“ zeigt zwei Reihen von je elf akkurat an Stäben aufgehängte „Tierhäute“ aus Chinapapier und Wachs. Das Werk entstand aus der Erinnerung an eine abendliche Dorfstraße, auf der sich Glockengeläut, Hufscharren heimkehrender Weidetiere und der Duft nach Milch und Gras zu einer sinnlichen „Sinfonie“ verband. Sieben mit Gras bepflanzte Tröge verweisen auf das „Verlangen“ der Tiere nach ausreichend Futter und letztlich auf Ressourcenknappheit durch Ausbeutung natürlicher Grundlagen.

Bottesch lobt die Ausstellung im KOG: „Meine Arbeiten sind eher still, seine eher dramatisch. Die Gegenüberstellung betont die Eigenart noch besser.“

DK


Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg: bis 8. Januar, Di bis So von 10 bis 17 Uhr, Do bis 20 Uhr. Weitere Informationen unter www.kunstforum.net.