„Aufgescheuchter Hühnerhaufen“
Fußball-Trainer aus der Region kritisieren nach Testspiel-Pleiten die deutsche Nationalelf

24.06.2023 | Stand 14.09.2023, 22:42 Uhr

Zum Wegschauen waren die jüngsten Auftritte der Nationalelf. Dementsprechend hart wurde das Team um Kapitän Joshua Kimmich (3. von links) kritisiert. Foto: Imago Images

Der missratene Länderspiel-Dreierpack zum Saisonabschluss hat die Diskussionen um die deutsche Nationalelf neu entfacht. Es gibt viel Kritik. Wir haben uns bei Fußballtrainern aus der Region umgehört.



Nach den blutleeren Auftritten gegen die Ukraine (3:3), Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) sowie nur drei Siegen aus den vergangenen elf Partien stehen die Mannschaft und Bundestrainer Hansi Flick hart in der Kritik. Ist diese ein Jahr vor der EM im eigenen Land berechtigt, oder doch ein Stück weit überzogen? Und an welchen Stellschrauben sollte bis zu den nächsten Länderspielen im September gegen Japan und Frankreich gedreht werden?

Martin Weng, Trainer des FC Pipinsried: „Nach der WM ging eigentlich alles im selben Trott weiter“, ist der Eindruck von Martin Weng, Trainer des Bayernligisten FC Pipinsried. „Von Aufbruchstimmung ist zumindest für einen Außenstehenden nichts zu spüren. Eine Trainerdiskussion anzuheizen, ist nicht mein Ding. Aber im Fall der Nationalmannschaft hätte ich es besser gefunden, wenn der DFB einen Außenstehenden geholt hätte. So jemanden wie Ralf Rangnick, der seinen Job in Österreich ja hervorragend macht (am Dienstag 2:0 gegen Schweden – d. Red.). Es kann natürlich sein, dass der zu unbequem gewesen ist und zu vieles hinterfragen würde.“ Zu den vergangenen drei Partien kann Weng nichts sagen, da er gleichzeitig selber mit seinem Team auf dem Trainingsplatz stand. „Ich habe nur die letzte halbe Stunde des Kolumbienspiels gesehen und da fiel mir auf: Die Kolumbianer waren stolz, ihr Trikot zu tragen und warfen sich rein. Bei einigen unserer Spieler hatte man den Eindruck, dass sie nur auf ihren Urlaubsbeginn warten. Es sollten Spieler zum Zug kommen, für die das DFB-Trikot etwas besonderes ist. Spieler, die sich einsetzen, auch wenn sie technisch nicht so brillant sind.“ Weng denkt dabei an Rani Khedira von Union Berlin oder Robert Andrich von Bayer Leverkusen. „Ob das Team mit Dreier- oder Viererkette spielt, ist nebensächlich. Erst einmal muss die Einstellung passen.“

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Stefan Kellner, Trainer des TSV Jetzendorf: Der neue Trainer des Landesligisten ist sich sicher: „Hansi Flick ist der Richtige. Er ist ein Menschenfänger, er hat seine Qualität beim FC Bayern bewiesen. Doch er sollte mit der ständigen Austauscherei aufhören. Da waren zuletzt Spieler dabei, bei denen man sich fragte: Wer ist denn das? In dieser Phase, ein Jahr vor der Heim-EM, braucht Flick einen festen Stamm. Nicht nur Künstler, sondern auch Mentalitätsspieler, denen der Siegeswille anzumerken ist. Deswegen wären bei mir Spieler wie Niklas Füllkrug und Emre Can gesetzt. Füllkrug macht seine Tore, Can haut auch mal dazwischen. Die Grundtugenden müssen zu sehen sein, dann kommen auch die Fans zurück.“ Kellner habe durchaus Verständnis dafür, dass bei einigen Spielern nach einer langen Saison das eine oder andere Prozent an Konzentration fehle. „Aber was einige jetzt abgeliefert haben, geht nicht, zum Beispiel Joshua Kimmich. Klar, dass er dennoch zum Stamm zählt, wie auch Leon Goretzka, Jamal Musiala und Antonio Rüdiger.“ Zum System sagt Kellner: „Ich bin eigentlich ein Fan der Viererkette, glaube aber, dass das DFB-Team mit einer Dreierkette besser fährt – uns fehlen die guten Außenverteidiger. Wenn Kimmich wieder rechts hinten spielen würde, wäre die Viererkette aber eine Option.“

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Daniel Gvardiol, Trainer des FC Geisenfeld: Für den Trainer des Kreisklassisten waren die drei Testpartien „sehr ernüchternd und enttäuschend. Defensiv hat die deutsche Mannschaft zu chaotisch agiert und offensiv entwickelte sie keinerlei Ideen und Durchschlagskraft.“ Auch das Projekt Dreierkette sei kläglich gescheitert, da dieses System kaum ein Spieler im Verein spiele. „Dementsprechend angespitzt und bedrohlich sehe ich die Lage im Nationalteam im Hinblick auf die EM im kommenden Jahr. Trotzdem gibt es für mich keinerlei Zweifel am Bundestrainer. Doch ihm muss bewusst sein, dass das Einzige, was dem DFB-Team hilft, Sicherheit und Konstanz sind.“ Es gehöre für Gvardiol jetzt klar festgelegt, auf welche Spieler Hansi Flick zukünftig baut und welches System gespielt wird. „Wäre ich in der Verantwortung, würde ich ein 4-2-3-1 favorisieren. Es bietet defensive Stabilität und die Schnelligkeit über Außen kann genutzt werden, um über Abschlüsse und Hereingaben in den Strafraum Torgefahr auszustrahlen. Eminent wichtig wäre Kimmich für mich als rechter Verteidiger und Füllkrug als Zielspieler vorne drin. Klar haben einige Akteure auch enttäuscht, doch für eine zukünftige Nominierung ist auch die aktuelle Form ausschlaggebend.“

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Andreas Wörl, Trainer des FC Hettenshausen: Der Trainer des A-Klassen-Meisters will die Lage nicht dramatisieren. „Meiner Meinung nach schaut es nicht so schlimm aus. Nur muss Hansi Flick jetzt endgültig seine Experimente in punkto Taktik und Personal einstellen und endlich damit beginnen, ein System einzustudieren, das der Mannschaft liegt“, sagt Andreas Wörl. „Auch schlechtere Mannschaften können gegen sehr gute bestehen, wenn sie zusammenhalten und jeder weiß was der andere macht. Aber in diesen drei Spielen haben wir wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen agiert. Wir müssen auch wieder zu unseren Wurzeln zurück und uns darauf besinnen, was uns immer stark gemacht hat, nämlich Zweikampfstärke und Wille.“ In den letzten Jahren versuche die Nationalelf immer, andere Mannschaften zu kopieren, kritisiert Wörl. „Doch jede Mannschaft muss sich zuerst auf ihre eigenen Stärken konzentrieren.“ Trotz aller Kritik ist Hansi Flick für den FCH-Coach „immer noch der richtige Bundestrainer, aber wenn er dann im September auch nichts reißt, dann muss man sich natürlich Gedanken machen.“ Das sei ganz normal im Fußball. Von den Spielern her würde Wörl nur die mitnehmen, die vollen Einsatz zeigen. Auch wenn sie vielleicht nicht so gut seien. Außerdem hat er festgestellt, dass das „Experiment mit der Dreierkette nicht funktioniert hat. Unsere Abwehr ist sowieso nicht so sattelfest, auch hier muss man sich einspielen und dem Team Sicherheit geben. Spiele und Turniere gewinnt man mit einer bombensicheren Abwehr. Ich würde wieder mit Viererkette agieren.“

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