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Die Last mit dem Leistenbruch

Gudrun Heise21. Juli 2013

"Pass auf, dass du dir keinen Bruch hebst!" Heben aber ist nicht die alleinige und nicht die Hauptursache für einen Leistenbruch. Und es geht dabei auch nicht um kaputte Knochen. Was aber bricht da?

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Operation einer Hernie mit ausgetretenem Fettgewebe (Foto: Bernd Stechemesser)
Hernien OperationBild: Bernd Stechemesser

Er trifft vor allem Männer: der Leistenbruch oder die Hernie - so der medizinische Ausdruck. Das ist ein Loch in der Bauchmuskelwand, das entstehen kann, wenn hoher Druck auf die Bauchdecke ausgeübt wird. Bei schwerem Heben kann es passieren, beim Pressen, aber auch schon beim Husten in Verbindung mit schwachem Bindegewebe. Denn das reißt schneller ein.

Neun von zehn Hernienpatienten sind männlich, denn beim Mann gebe es von Geburt an eine natürliche Schwachstelle, so der Berliner Chirurg Ralph Lorenz. "Der Mann entscheidet sich gewissermaßen erst in der 34. Schwangerschaftswoche dazu, den Hoden doch nicht innen, sondern außen zu tragen. Das heißt, der Hoden durchwandert die Bauchdecke und hinterlässt im Leistenbereich eine Sollbruchstelle." Und genau an dieser Stelle kann es dann zu einer Hernie kommen.

Das Innerste nach außen gekehrt

Eine extrem große Hernie auf der rechten Seite (Foto: Bernd Stechemesser)
Hernien können extreme Ausmaße habenBild: Bernd Stechemesser

Durch diese Bruchstelle können sich Teile des Darms drücken. Zunächst einmal rutsche etwas Fettgewebe durch die Öffnung, erklärt der Kölner Chirurg und Hernienspezialist Bernd Stechemesser. "Das ist das Fettgewebe zwischen Bauchwand und Bauchmuskulatur. Wenn das Loch groß genug ist, können dann Dünndarm, Dickdarm und der Blinddarm durchkommen." Und er fügt hinzu: "Was auch immer im Bauch drin ist, kann dort hineinrutschen." Das könne sogar so weit gehen, dass sich hinterher mehr Organe in der Ausstülpung befinden, dem sogenannten Bruchsack, als in der Bauchhöhle selbst.

Anfänglich lässt sich die Wölbung oft in den Bauchraum zurückdrücken. Ein Bruchband, eine Art Gürtel, soll das unterstützen. Stechemesser hält davon aber nicht viel: "Diese Bruchbänder werden auch in Deutschland noch immer häufig verschrieben", erläutert er. "Sie bringen aber so gut wie gar nichts. Ist der Leistenbruch erst einmal da, geht er eben nicht mehr weg." Im Gegenteil: die Öffnung in der Bauchwand werde mit den Jahren immer größer, sagt er. "Wenn Sie erst einmal eine Öffnung in der Bauchwand haben, dann wird die nicht mehr ohne Operation weggehen."

Manchmal hilft nur eine Notoperation

Großaufnahme eines Netzes zum Verschließen einer Hernie (Foto: Bernd Stechemesser)
Leistenbrüche werden oft mit einem Netz verschlossenBild: Bernd Stechemesser

Im schlimmsten Fall kann sich bei einer Hernie der Darm einklemmen und anschwellen, so dass er sich nicht mehr in den Bauchraum zurückschieben lässt. Dann muss auf jeden Fall operiert werden. Dabei legt der Chirurg meist den Leistenkanal frei und zieht den eingeklemmten Darm wieder in die Bauchhöhle zurück.

Komplizierter wird es, wenn bereits ein Stück des Darms abgestorben ist, weil die Versorgung des eingeklemmten Organs unterbrochen war. Die einzige Lösung ist dann eine Notoperation. "Dann müssen wir unter Umständen ein Stück Darm entfernen und die Bruchlücke verschließen", sagt Stechemesser. Ein Netz eigne sich dazu.

Die Qualität der Herniennetze habe sich in den letzten Jahrzehnten entscheidend verbessert. "Wir nehmen heute Netze, die sehr viel leichtgewichtiger sind als die alten Netze", erklärt der Kölner Hernienspezialist. Sie seien auch grobmaschiger als früher. "Wir wissen inzwischen, dass diese Netze besser einwachsen und weniger Fremdkörperreaktionen hervorrufen. Heute haben wir Netze, die Sie einfach reinlegen und die von alleine kleben." Denn die Nähte an den Netzen verursachten häufig chronische Schmerzen.

Hernienoperationen stehen in Deutschland auf Platz 1 der chirurgischen Eingriffe, insgesamt werden jedes Jahr zwischen 250.000 und 300.000 Leistenbrüche operiert.

Deutsche Hernienspezialisten operieren in Afrika

Während in Deutschland auf 10.000 Einwohner etwa 36 Ärzte kommen, sind es in afrikanischen Ländern wie zum Beispiel in Malawi und Ruanda gerade mal 0,2. Oft fehlt es auch einfach an Know-how. Um das zu ändern, fliegen Ärzteteams aus Deutschland und Europa regelmäßig auf den afrikanischen Kontinent, um dort Hernien zu operieren.

Ein afrikanischer und ein deutscher Arzt bei einer Hernien-Operation (Foto: Dr. Ralph Lorenz)
Hernienoperation in AfrikaBild: Ralph Lorenz

Dahinter steckt die "Operation Hernia", die Andrew Kingsnorth und Chris Oppong im Jahr 2005 in England gegründet haben. Auch Bernd Stechemesser und Ralph Lorenz gehören zu den Ärzten, die einmal im Jahr einen gut ausgestatteten und kühlen Operationssaal in Deutschland gegen oft schwierige Operationsbedingungen in Afrika tauschen.

Die Teams bestehen in der Regel aus drei bis vier Chirurgen, einem Anästhesieteam und Krankenschwestern. Im Schnitt bleiben sie acht bis zehn Tage. Sie alle verzichten auf ein Honorar und ihren Urlaub. Ralph Lorenz und sein Team waren im Februar dieses Jahres in Ruanda, mit 24 Kisten und 500 Kilogramm Übergepäck. "Wir nehmen alle Materialien mit, die wir im OP brauchen", berichtet Lorenz. "Das geht von der OP-Abdeckung, der Desinfektion über Nahtmaterialien und Instrumenten bis hin zu Monitoren. Und die bleiben hinterher auch dort."

Das Resultat des Aufenthalts: 95 Operationen an 78 Patienten in fünf Tagen. Aber für Lorenz ist das nicht der einzige Erfolg. "Wir hatten das große Glück, dass wir zwei Chirurgen vor Ort trainieren konnten. Die standen mit am Tisch und am Ende konnten sie unter unserer Aufsicht den Eingriff selber machen. Das war ein tolles Erlebnis."