Fotos von Konrad Adenauer :
Er hatte sich in das Gesicht des Kanzlers verliebt

Von Oliver Jungen
Lesezeit: 3 Min.
Berlin, Berlin, wir fahren durch Berlin: John F. Kennedy, Willy Brandt und Konrad Adenauer während des Deutschland-Besuchs des amerikanischen Präsidenten im Jahr 1963
Wenn der Fan seinem Idol auflauert: Ein Band zeigt Aufnahmen, die der im November verstorbene Fotograf Konrad Rufus Müller von Konrad Adenauer gemacht hat.

Ein Gesicht wie ein Gebirge: Schluchten und Furchen, Klippen, Zerklüftungen und Überhänge, alles wie herausgemeißelt aus einem leicht bemoosten Granitfelsen. So viel Monumentalität strahlte kein Bundeskanzler nach Konrad Adenauer mehr aus, auch nicht, wenn „Kanzlerfotograf“ Konrad Rufus Müller für die Bilder zuständig war. In seinem Œuvre kommt allenfalls Willy Brandts Antlitz diesem steinernen Stoizismus nahe, aber Brandt sieht auf allen diesen Bildern jung, lebendig und fehlbar aus, der knapp neunzigjährige Adenauer hingegen zeitlos, überlegen, ewig.

Dieses erhabene Gesicht in seiner Erfassung durch Müllers ererbte Mittelformat-Rolleiflex – harte Kontraste; grobe Körnung; enger Ausschnitt; perspektivisch von unten herauf: ein Heros, über dem nur der Himmel schwebt –, das hat Maßstäbe gesetzt für die fotografische Rekonstruktion historischer Größe. Das war spätestens klar, als im Jahr 1986 ein Fotobuch Müllers über Adenauer erschien, zu dem Golo Mann einen Essay beisteuerte.

In der Klasse vollkommen isoliert

Im November ist Konrad R. Müller, einer der wichtigsten Porträtfotografen des Landes, im Alter von 83 Jahren gestorben. „Wir sind dankbar, dass er uns sein letztes Projekt noch persönlich anvertraut hat und die Entstehung bis zum Ende begleiten konnte“, teilt sein Verleger Damian van Melis vom Kölner Greven Verlag mit. Noch einmal dreht sich in diesem Vermächtnis alles um den Alten von Rhöndorf, aber das in einer diesmal sehr persönlichen, fast verschmitzten Weise, nämlich als Objekt der fotografischen Begierde des Künstlers als junger Mann.

Konrad Rufus Müller: „Konrad & Konrad“. Begegnungen des Fotografen Konrad Rufus Müller mit dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer 1963–1967.
Konrad Rufus Müller: „Konrad & Konrad“. Begegnungen des Fotografen Konrad Rufus Müller mit dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer 1963–1967.Greven Verlag

Natürlich sind es dabei zunächst die großformatigen Fotos, die beeindrucken: Adenauers Antlitz in zahlreichen Posen, nicht eine davon aufgesetzt wirkend; Adenauer auf dem CDU-Parteitag im März 1966 im Gespräch mit Konrad R. Müller an dessen 26. Geburtstag; Adenauer mit Willy Brandt und John F. Kennedy im Fond der Präsidentenlimousine am 26. Juni 1963 in Berlin. Während mehr als eine Million Jubel-Berliner damals die Straßen gesäumt hätten, um Kennedy zu sehen, schreibt Müller, „galt mein Interesse einzig und allein dem 87-jährigen deutschen Bundeskanzler“.

Und prompt der Eklat

Das führt zur eigentlichen Kuriosität dieses im besten Sinne sonderbaren Bandes, denn der Verfasser erzählt darin einnehmend unprätentiös von einem auch damals schon mehr als schräg geltenden Fantum, beispielsweise an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin (Müller hielt es dort nur einige Monate aus): „Als ich meinem Professor dann die ersten Adenauer-Porträtskizzen vorlegte, die ich zunächst nur für mich in meiner Dachkammer nach Zeitungsabbildungen angefertigt hatte, war ich in meiner Klasse vollends isoliert.“

Er hatte sich verliebt – in ein Gesicht. Und jagte diesem fortan als fotografierender Autodidakt hinterher: Mal wartete er vor dem Bonner Münster auf den Politiker, mal lauerte er Adenauer vor dessen Haus am „Faulen Berg“ in Rhöndorf auf, mal versuchte er, diesem auf der großen Feier zum neunzigsten Geburtstag eine Porträtskizze zu überreichen. Er suchte den Kontakt zu Adenauers Fahrer Peter Seibert, ergatterte einen Presseausweis, mit dem er sich 1965 Zutritt zur Tribüne auf dem Bundesparteitag der CDU verschaffte, war Zaungast bei einem „Herrenessen“. Immer dabei: die Rolleiflex und – offenbar – sein Charme. Denn er kommt seinem ästhetischen Idol immer wieder erstaunlich, beinahe intim nah. Die „höflichen Paparazzi“, die in einem Berliner Internetforum hausen, sollten Müller zum Ehrenurahn ernennen.

Bundestagswahl 1965: Konrad Adenauer und sein jüngster Sohn Georg
Bundestagswahl 1965: Konrad Adenauer und sein jüngster Sohn GeorgGreven Verlag

Der Umgarnte selbst hat sofort erfasst, was an den so entstandenen Porträts derart einzigartig war. In einem abgedruckten Brief Paul Adenauers, der eigentlich eine Entschuldigung dafür darstellt, die überreichte Porträtskizze verschlampt zu haben („Es waren sehr viele Geschenke“), steht en passant der Satz: „Ihr Großfoto ist ja von seltener Plastizität und hat meinen Vater sehr interessiert.“ Seltene Plastizität, das ist die beste Charakterisierung von Müllers Schaffen überhaupt.

Von einer ganz anderen Seite zeigte sich ein weiterer berühmter Sohn, Golo Mann, der zwar in seinem Text für das gemeinsame Buch Müllers Werk lobte, dann aber einen geradezu wilden, von Müller genüsslich im Faksimile abgedruckten Brief an Walter Fritzsche, Leiter des Gustav Lübbe Verlags, aufsetzte, in dem er sich weigerte, einige Exemplare zu signieren. Darüber stehe nichts im Vertrag, und das mache ihm große Mühe („geradezu eine Qual“).

Sein Einsatz für das Projekt sei ihm ohnehin unlauter abgequatscht worden: „Jener Fotograf – sein Name fällt mir nicht ein – besuchte mich damals in Bergisch-Neukirchen..., brachte meiner Schwiegertochter einen Blumenstrauss und zeigte sich überaus liebenswürdig beflissen.“ Und prompt der Eklat: „Der Bursche hatte es dann nicht einmal für notwendig gehalten, mir den Empfang des Manuskripts zu bestätigen oder gar dafür zu danken! Aus diesem Grund will ich von ihm überhaupt nichts mehr wissen.“ Wer das nun aber umso mehr will, der hat dazu mit „Konrad & Konrad“ allerschönste Gelegenheit.

Konrad Rufus Müller: „Konrad & Konrad“. Begegnungen des Fotografen Konrad Rufus Müller mit dem deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer 1963–1967. Greven Verlag, Köln 2023. 80 S., Abb., br., 20,– €.