Theater in Wien :
Vom Ehebett in die Phrasenhölle

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Wenn nichts mehr geht, gehen immer noch große Gesten und leere Worte: Anika Pages als Winnie
Beckett auf der schlüpfrig-schiefen Bahn der Boulevardkomödie: Dieter Dorn kombiniert am Wiener Theater in der Josefstadt „Glückliche Tage“ mit einem Einakter von Feydeau.

Die glücklichen Tage werden im Futur II angerufen: „Es wird wieder ein glücklicher Tag gewesen sein.“ Als Gegenwart ist das Glück nicht ansprechbar, sondern nur als Phrase. Winnie steckt in Samuel Becketts Zweiakter „Glückliche Tage“ nämlich in einem Sandhaufen, erst bis zur Hüfte, von Akt zwei an bis zum Hals. Ihr Ehemann Willie, den sie kaum sieht und mitunter auch akustisch nicht erreicht, sitzt in einem anderen Hügel. Auf beide brennt die Sonne herab.

Sie sind also in der Lage von Figuren aus Dantes Hölle, die Beckett aus- und inwendig kannte. Sie müssen ertragen, festgefahren und auf das Rad der Zeitlosigkeit geflochten zu sein. So gut wie nichts passiert, auch weil sie sich kaum bewegen können. Die Ausflucht ist Geschwätzigkeit, vielleicht dieselbe, derentwegen sie in dieser Hölle schmoren. Im Grund redet nur Winnie, Willie röchelt mehr, knurrt und beschränkt sich auf wenige Hauptsätze. Sie hingegen hält einen Monolog voller Plattitüden, voller „Man kann sich nicht beschweren“, „Was geschah denn je, was nicht schon mal geschehen ist?“, „Man kann so wenig tun“ und „Es gibt Zeiten, in denen man den Hut nicht abnehmen, und Zeiten, in denen man ihn nicht aufsetzen kann“.

Es ist ein ewiges Palaver, dessen Objekte allenfalls die wenigen Dinge sind, die Winnie in Greifweite und in ihrer Sacktasche hat, eine Zahncremetube, einen Spiegel, eine Lupe, einen Sonnenschirm. Einmal kommt eine Ameise vorbei. Sonst nur leer drehender Small Talk, mit dem sich Winnie ihre Lage schönredet.

Herzliches Beileid zur Eheschließung

Im Wiener Theater in der Josefstadt hat Dieter Dorn das Stück Becketts jetzt in ein Schlafzimmer versetzt, das sich in einem Künstleratelier befindet. Winnie steckt in ihrem Ehebett fest. Und Dorns Deutung steckt in der These fest, es handele sich bei „Glückliche Tage“ um ein Ehedrama. Er braucht diese Behauptung, weil er in den drei Stunden des Abends Beckett mit einem Stück von Georges Feydeau, dem Pariser Boulevardkomödienschreiber im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts, kombiniert. Sein später Einakter „Feu la mère de Madame“ von 1908, zu Deutsch „Herzliches Beileid“, handelt von einem nächtlichen Ehestreit, der von der irrtümlichen Meldung angeheizt wird, die Schwiegermutter sei gestorben.

Während in Wien vor der Pause Anika Pages als Winnie uns nervtötend alle Qualen der Phrasenhölle durchleiden lässt und im schrillen Ton schon die Yvonne bei Feydeau vorwegnimmt, kommt nach der Pause Michael von Au als Lucien zum Zuge, der den bezechten Ehemann als selbstgerechten, wehleidigen und unfreiwillig komischen Pantoffelhelden in Kostüm und Perücke von Louis XIV. gibt. Er ist ein Hobbymaler, im Hauptberuf Buchhalter, der seiner Gattin Vorträge über die idealen Brüste von Modellen im Unterschied zu ihren „gewiss recht hübschen“ hält. Das sagt schon fast alles über seine verkommenen Prätentionen sowie über den Zustand dieser Ehe.

Tobias Reinthaller (Joseph), Michael von Au (Lucien), Anika Pages (Yvonne)
Tobias Reinthaller (Joseph), Michael von Au (Lucien), Anika Pages (Yvonne)Rita Newman

Feydeau war ein Routinier der Lacheffekte einer Komödie, die nicht auf die Eheschließung hinstrebte, sondern ausmalte, was schon nach wenigen Ehejahren zwischen den Paaren an Missgunst, Rücksichtslosigkeit und bitterer Selbstbehauptung sich zuträgt. Unterstützt wird diese Komik in Wien durch Johanna Mahaffy als drangsaliertes Hausmädchen des Ehepaars, vor allem aber durch Tobias Reinthaller als überforderten Boten des vermeintlichen Schwiegermuttertodes. Beide fassen den Irrsinn nicht, dem sie durch die aufgeregten Ehedebatten ausgesetzt sind, und haben darum unsere Sympathie.

Dorn hält sich eng an den Text von 1908, und so wirkt das Spiel auch. Historischer Boulevard ist aber ein Widerspruch oder jedenfalls davon bedroht, dass die meisten Witze nach mehr als einhundert Jahren ziemlich abgestanden wirken. Die Schwiegermutter ist tot, das verspricht eine Erbschaft: wie lustig. Die Komik wäre funkenschlagender, würde ihr etwas Zeitgenössisches mitgegeben, könnten die Darsteller beispielsweise extemporieren. Im Grunde sind sie im Feydeau noch von der Unbeweglichkeit gezeichnet, die ihnen im Beckett vorgeschrieben war.

Zu wenig Boshaftigkeit, kaum Slapstick

„Glückliche Tage“ als Ehedrama angelegt, führt hingegen in das entgegengesetzte Problem. Nicht nur sagt Willie fast gar nichts, sondern Winnie hat auch keinen Konflikt mit ihm, denn sie nimmt jeden Vorwurf, der beim Schwatzen aufkommt, gleich wieder zurück in ihrem unbedingten Willen, an nichts Anstoß zu nehmen. Sprechakte sind eben doch keine richtigen Akte. Wenn die Verwirklichung des Impulses in einer Handlung unmöglich ist, lohnt sich eine hohe Impulsstärke gar nicht.

So kommt der Einfall, Winnies Monolog als Albtraum Yvonnes in ihrem Ehebett zu inszenieren, um nach dem Erwachen daraus ins Paris um 1900 zurückzublenden, nicht über eine bloß ornamentale Geste hinaus. Dass in Feydeaus Text an zwei Stellen ein Herr Godot vorkommt, bleibt ebenso eine alberne Randnotiz wie die Debatte über Brüste, die in beiden Stücken geführt wird, ohne dass sich aus dieser Ähnlichkeit irgendetwas schlussfolgern ließe. Ein wenig wirkt es, als habe Dorn aus zwei Stücken eines gemacht, nur weil jeweils ein Ehepaar darin vorkommt. Auf diese Weise ließen sich fast beliebig viele Stücke fusionieren.

So wirkt der recht lange Abend wie eine fixe oder Schnapsidee des Regisseurs, die er und seine Schauspieler uns aber nicht erklären können, und zwar noch weniger dadurch, dass sie den doch sehr disparaten Texten brav folgen. Aus dem Beckett schwindet so die Boshaftigkeit und viel vom Leid, aus dem Feydeau schwindet der Slapstick. Das Ganze ist weniger als die Summe seiner Teile.