Pop-Anthologie (166) :
Warum hat Frankie mich erschossen?

Lesezeit: 6 Min.
Durchsetzungsstark: Ian Felice, Sänger der Felice Brothers
„Frankie’s Gun!“ von den Felice Brothers ist ein faszinierender Folksong mit Hip-Hop-Reimen. Der Sänger beschreibt darin seinen eigenen Tod. Doch der Tathergang gibt Rätsel auf.

Gute Lyrics leben davon, was sie von einer Geschichte weglassen und wie geschickt sie es tun. Man kann in einem kurzen Text von drei bis fünf Minuten Vortragslänge ja nicht alles erzählen, was wichtig ist. Es kommt darauf an, die Phantasie des Hörers mit wenigen Strichen in die richtige Richtung zu lenken. Es gibt aber auch Texte, aus denen man einfach nicht klug wird, und gar nicht so selten ist das auch beabsichtigt.

Der Song „Frankie’s Gun!“ aus dem Album „Adventures of The Felice Brothers Vol. 1“ von 2007 wirft ungewöhnlich viele Fragen auf – ganz im Widerspruch zu dem Ausrufezeichen am Ende des Songtitels, das besondere Eindeutigkeit zu verheißen scheint. So viel wird beim ersten Hören deutlich: Das Personal des Songs besteht aus mindestens fünf Personen – dem lyrischen Ich, aus Frankie, der in der dritten Strophe als „friend“ bezeichnet wird, aus Lucille, die offenbar die Freundin des Erzählers ist, und der „mama“, die in der zweiten und dritten Strophe als wichtiger Bezugspunkt erscheint. Eine Schwester wird am Rande erwähnt.

Wo die Geschichte spielt, ist einigermaßen klar: im Norden der USA, zwischen New Jersey – wo das lyrische Ich einmal untertauchen musste, wie es im Lied erzählt – und Chicago, wohin es regelmäßige Transportfahrten unternimmt. Upstate New York, wo die Felice Brothers herkommen, liegt übrigens genau dazwischen.

Auch das Milieu lässt sich eingrenzen, der Song ist mit großer Sicherheit in der eher prekären Arbeiterklasse angesiedelt, eine Nähe zur Klein- oder auch Großkriminalität wird zumindest angedeutet, was alles durchaus den Konventionen einer bestimmten Sorte von Folkmusik entspricht.

Genialer Reim zu Beginn

Die zeitliche Einordnung ist schon schwieriger. Fast den einzigen Hinweis gibt die Erwähnung eines McDonald’s-Restaurants, was aber keine echte Hilfe ist, schließlich existiert die Kette schon eine Weile. Die Sprache erscheint stellenweise etwas altertümlich („picture show“, „long legged Brenda“), sodass es sich gut auch um eine Geschichte aus dem frühen zwanzigsten Jahrhundert handeln könnte.

Insgesamt werden im Kopf des Hörers Bilder eines Roadmovies im ländlichen Amerika erzeugt, die gut zur Musik passen: Zu Beginn stimmt ein nach Cajun-Musik klingendes Akkordeon zusammen mit dem scheppernden Waschbrett eine sich zuweilen boogie-woogie-mäßig aufschraubenden Tanzrhythmus an, der mit dem Einsetzen von Bass und Schlagzeug immer stampfender wird. Eine Grundspannung entsteht dadurch, dass die Musik angesichts des geschilderten Geschehens erstaunlich fröhlich klingt.

Die in jungen Jahren mit Straßenmusik gestählten Felice Brothers entwickeln – gerade bei Live-Aufnahmen wird das sichtbar – musikalisch einen ungeheuren Dampf. Der schwergewichtige James Felice am Akkordeon legt temperamentvolle Grazie an den Tag, der schlaksige Sänger Ian Felice steht schlecht frisiert mit geneigtem Kopf wie der frühe Bob Dylan etwas befangen daneben. Doch seine aufgeriebene, permanent um Durchsetzung kämpfende Stimme ragt deutlich heraus.

Die erste Strophe beginnt mit einem genialen Reim:

My car goes Chicago
Every weekend to pick up some cargo

Dreimal kurz hintereinander ein lautliches „cago“ – das hat echtes Hip-Hop-Format. Die Songtext-Diskussions-Plattform genius.com sieht dann auch eine Inspiration durch den Notorious-B.I.G.-Reim „I can fill you with real millionaire shit  … Escargot, my car go, one sixty, swiftly“ aus dem Song „Hypnotize“ am Werk und untermauert diese These durch den Verweis auf ein Interview, in dem die Felice Brothers sich als leidenschaftliche Hip-Hop-Hörer bezeichnen.

Ein Toter spricht

An jedem Wochenende also macht das lyrische Ich Fahrten nach Chicago, um eine wahrscheinlich illegale Ladung („some cargo“) abzuholen. Auftritt Frankie, eine rätselhafte Figur.

I think I know the bloody way by now, Frankie
And turn the goddamn radio down, thank you
Pull over
Count the money
But don't count the thirty in the glove box, buddy
That's for to buy Lucille some clothes

Ob Frankie Beifahrer oder Fahrer ist, wird nicht ganz klar. Er hört jedenfalls gerne Radio und zählt das Geld – wahrscheinlich das aus dem geplanten oder vollzogenen Handel. Was im Handschuhfach liegt („the thirty“), soll er nicht mitzählen, denn das ist dafür gedacht, Lucille etwas zum Anziehen zu kaufen. Dabei kann es sich entweder um dreißig Dollar handeln oder um eine „Dreißiger“ genannte Waffe – für einen Überfall, wie mancher Interpret meint.

Der abrupte Übergang zum Refrain kommt für den ungläubigen Sänger ebenso überraschend wie für den Hörer:

Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
He shot me down
He shot me down
He shot me down

Was ist hier plötzlich geschehen, warum kommt „Frankie’s gun“ zum Einsatz? Etwa als Strafe für das Abzweigen jener kleinen Summe von 30 Dollar durch den Sänger? Hat vielleicht „die Dreißiger“ etwas in Frankie ausgelöst oder will er sich die ganze Summe, die bei dem „cargo“ herausgesprungen ist, unter den Nagel reißen? Man steigt an dieser Stelle nicht durch. Ungewöhnlich jedenfalls, dass hier ein Toter seine Geschichte zu erzählen scheint.

Warum entschuldigt sich der gutherzige Loser?

In der zweiten Strophe scheint der Sänger zurückzublicken, so als zöge das Leben an ihm vorbei. Wieder sind die ersten Verse von herausragender Kompaktheit: Das Leben auf der Straße wird – auch dieser Hinweis stammt von einem Interpreten auf genius.com – durch Verkehrsschildaufschriften vergegenwärtigt, die einfach hintereinander weggesungen werden.

Work zones double fines
Don't pass the double lines
Trailer McDonald's rest stop trailer double wide

Recht unmotiviert erzählt der Sänger anschließend von einer Gewalttat, die er einst verübt hat. Deutlich wird hier und in den folgenden Strophen, dass sich das lyrische Ich fast rührend, wenn auch mit nur kleinen Summen, um die Frauen in seinem Leben kümmert: Lucille, seine Schwester und seine Mutter. Aber auch eine leichte Unbeherrschtheit wird angedeutet, das Bild eines Losers scheint auf, etwas labil, aber letztlich mit gutem Herzen.

I saw a man hit my mom one time, really
I hurt him so damn bad I had to hide in Jersey
Called my mama told her
In the dresser
There's ten or twenty dollars but there ain't no lesser
That's for to take my sister to the picture show

Und wieder ertönt der Refrain, der in einen noch stärker lautmalerischeren zweiten übergeht.

Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...

Wie schon durch die erwähnte „mama“ in der zweiten Strophe fühlt man sich wegen des Chorgesangs an dieser Stelle an „Knockin' on Heaven's Door“ von Bob Dylan erinnert.

Die dritte und letzte Strophe bringt die Hörer Frankies Motivation nicht näher, eher ist das Gegenteil der Fall. Virtuos wieder der erste Vers, der das Gefühl von Brenzligkeit in das Bild einer latenten Unfallgefahr bannt.

Slip make a fender shine

Der Sänger hebt jetzt seine Freundschaft mit Frankie hervor, der ihm in einer schwierigen Lebenssituation aus der Patsche half.

Frankie you're a friend of mine
Got me off a bender after long legged Brenda died

Wie schon der Name „Lucille“ erinnert auch die Figur der „long legged Brenda“ an Songs von Little Richard, was den Old-School-Touch des Songs verstärkt.

Fast scheint das lyrische Ich sich mit den folgenden Versen bei Frankie für einen Fehler entschuldigen zu wollen. Gab es eine fatale Verwechslung von Platzpatronen mit echten, vielleicht bei dem letzten gemeinsamen Coup?

I thought we might be on a roll this time Frankie
I could have swore the box said Hollywood blanks but

Dass die falsche Munition („Hollywood blanks“) im Zusammenhang mit der „Dreißiger“ im Handschuhfach oder Frankie’s gun beim fatalen „Bang bang bang“ eine Rolle spielte, ist hingegen schwer vorstellbar. Dazu hätte es weiterer Andeutungen bedurft.  

Betrug, Verrat und tödliche Überraschungen

Erstaunlich in jedem Fall, dass die letzten Verse von einem ungebrochenen Vertrauen des Sängers zu Frankie zeugen, dem er seinen letzten Willen anvertraut. Ebenfalls erstaunlich, dass er den „little rock“, den er im Keller versteckt hat, seiner „mama“ zugedacht hat und nicht etwa Lucille (was einen auf die Idee bringen könnte, dass Lucille auch die Schwester sein könnte – andererseits: würde man in letzter Sekunde ausgerechnet seiner Schwester gegenüber den eigenen Tod beklagen, wie es im Refrain geschieht?).

If you see my mama
Please tell her
I left a little rock in a box in the cellar
That's for to wear till kingdom come

Das war’s an Informationen. Viele Fragen bleiben offen. Auch ChatGPT konnte uns (natürlich) nicht sagen, warum Frankie den Sänger denn nun erschossen hat: „Es tut mir leid, aber die von Ihnen gegebenen Lyrics enthalten keine Informationen darüber, warum Frankie den Sänger des Liedes erschossen hat.“

Für die Botschaft des Songtexts ist das aber eigentlich auch irrelevant. Heraufbeschworen wird eine Welt, die man aus vielen amerikanischen Stoffen kennt und die durch Betrug, Verrat sowie tödliche Überraschung geprägt ist. Vielleicht gibt auch die besondere Poesie der Strophenanfänge, die Reize in starker Verkürzung zusammenführt, ohne ein einheitliches Bild zu schaffen, einen Hinweis auf den Zusammenklang, der in diesem Lied erzeugt werden soll. Trotz der klaren, sehr männlichen Aussagen, die dem Hörer aber nicht dabei helfen, einen Tathergang zu rekonstruieren, geht es vor allem darum, eine gemischte Stimmung von „Mit einem Bein über dem Abgrund“ und „Das Leben geht weiter“ zu erzeugen. Wie könnte man diesen dunklen Song sonst auch mit einem anhaltenden „Sha nay na sha nay na na na...“ und einem abschließenden „Yodelay“ ausklingen lassen?

Das Rätsel bleibt bestehen. Allein aus textlichen Gründen kann man den Song „Frankie’s Gun!“ unendlich oft hören, ohne mit ihm abzuschließen. Man kann ihn als unaufhörlichen Totentanz begreifen.

Felice Brothers: „Frankie’s Gun“

My car goes Chicago
Every weekend to pick up some cargo
I think I know the bloody way by now, Frankie
And turn the goddamn radio down, thank you
Pull over
Count the money
But don't count the thirty in the glove box, buddy
That's for to buy Lucille some clothes

Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
He shot me down
He shot me down
He shot me down

Work zones double fines
Don't pass the double lines
Trailer McDonald's rest stop trailer double wide
I saw a man hit my mom one time, really
I hurt him so damn bad I had to hide in Jersey
Called my mama told her
In the dresser
There's ten or twenty dollars but there ain't no lesser
That's for to take my sister to the picture show

Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
He shot me down
He shot me down
He shot me down

Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...

Slip make a fender shine
Frankie you're a friend of mine
Got me off a bender after long legged Brenda died
I thought we might be on a roll this time Frankie
I could have swore the box said Hollywood blanks but
If you see my mama
Please tell her
I left a little rock in a box in the cellar
That's for to wear till kingdom come

Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
Bang bang bang, went Frankie's gun
He shot me down, Lucille
He shot me down
He shot me down
He shot me down

Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...
Sha nay na sha nay na na na...
Yodelay...

Songwriter: Ian Felice / Gregory Farley / Josh Rawson / James Felice / Simone E Felice