Todestag von Mahsa Amini :
Mehr Regimekräfte als Passanten auf den Straßen

Von Friederike Böge, Ankara
Lesezeit: 4 Min.
Gedenken an Mahsa Amini in Neu Delhi (Archivbild)
Am ersten Jahrestag der Proteste in Iran ersticken Sicherheitskräfte Demonstrationen im Keim. In mehreren Städten versammeln sich dennoch kleinere Gruppen zu Schweigemärschen.

Ein Großaufgebot an iranischen Sicherheitskräften hat am Samstag in der Heimatstadt von Jina Mahsa Amini eine geplante Trauerzeremonie zu ihrem ersten Todestag verhindert. Aminis Vater Amdschad Amini wurde nach Angaben der kurdischen Menschenrechtsorganisation Hengaw vorübergehend festgenommen, als er sein Haus in Saghes im Westen des Landes verließ.

Später kehrte er nach Informationen des Senders Radio Free Europe zwar zurück, wurde aber unter Hausarrest gestellt. Revolutionswächter versperrten demnach den Zugang zum Friedhof von Saghes, auf dem vor einem Jahr bei Aminis Beerdigung die Protestbewegung begonnen hatte. Aminis Eltern hatten vor einer Woche eine Trauerfeier angekündigt. „Wie jede trauernde Familie werden wir uns am Todestag unserer geliebten Tochter an ihrem Grab versammeln und die traditionellen und religiösen Zeremonien abhalten“, schrieben sie. „Wir rufen alle dazu auf, gewaltsame Handlungen und Reaktionen darauf zu vermeiden.“

Aminis Mutter bedankte sich am Samstag auf Instagram für die Anteilnahme in den vergangenen zwölf Monaten. Iraner aus verschiedenen Teilen des Landes hätten das Grab ihrer Tochter besucht und in Anrufen und Botschaften ihre Unterstützung ausgedrückt. Kulturschaffende hätten durch „wertvolle und bleibende Werke“ den Namen und die Erinnerung ihrer Tochter geehrt. „Wir verbeugen uns vor der Menschlichkeit und dem Großmut all dieser lieben Menschen“, schrieb sie.

Vereinzelte Festnahmen

Auch auf anderen Friedhöfen des Landes wurde ein Großaufgebot an Sicherheitskräften beobachtet, unter anderem am Grab von Hamidreza Rouhi auf dem Hauptfriedhof von Teheran. Der 19 Jahre alte Demonstrant war im November von Sicherheitskräften erschossen worden. Die Gräber der während der Proteste Getöteten sind zu Orten des stillen Protests geworden.

Während es in zahlreichen Städten weltweit zu Solidaritätskundgebungen kam, verhinderte das massive Aufgebot an Sicherheitskräften in Iran offenbar größere Menschenansammlungen. Ein Augenzeuge berichtete der F.A.Z. vom Revolutionsplatz in Teheran, „es sind mehr Regimekräfte als Passanten auf den Straßen“. Im Chatdienst Telegram schrieb er: „Ich habe eine Frau schreien gehört und gesehen, wie Regimekräfte zwei junge Frauen und einen Mann in einen Lieferwagen schoben. Plötzlich kam ein Mann in Zivil zu mir und fragte‚ was glotzt du so?‘.“ Aktivisten hatten dazu aufgerufen, sich wortlos am Revolutionsplatz zu versammeln, um Festnahmen zu vermeiden.    

In mehreren anderen Städten versammelten sich offenbar kleinere Gruppen zu Schweigemärschen. Videos davon wurden unter anderem aus Schiraz und Maschhad über soziale Medien verbreitet. Auf Videos, die heimlich aus fahrenden Autos aufgenommen wurden, waren vereinzelt Festnahmen und Tränengas zu sehen sowie Warnschüsse zu hören. Wann sie aufgenommen wurden, ließ sich nicht überprüfen.

Atmosphäre der Angst

Schon in den Wochen vor dem Jahrestag hatte das Regime eine Atmosphäre der Angst geschaffen. Laut der oppositionellen Informationsplattform „Harana News Agency“ wurden in den vergangenen zwei Monaten mindestens 292 Aktivisten festgenommen. Hunderte Studenten seien von Universitäten oder aus ihren Wohnheimen ausgeschlossen worden. 31 Professoren seien vom Dienst suspendiert worden. 44 Angehörige von Getöteten seien von Sicherheitsbehörden einbestellt, eingeschüchtert oder festgenommen worden.

Staatsmedien berichteten am Samstag über Festnahmen von angeblichen „konterrevolutionären Terrorgruppen” in den mehrheitlich kurdischen Städten Sanandadsch und Marivan. Der stellvertretende Gouverneur der Provinz Kurdistan sagte der Agentur Irna, sie hätten Sabotageakte geplant. Geheimdienstminister Esmail Khatib behauptete, die „Feinde Irans“ hätten Separatisten bewaffnet. Präsident Ebrahim Raisi traf unterdessen in Maschhad Angehörige von Sicherheitskräften, die im Zusammenhang mit den Protesten getötet wurden, wie Staatsmedien berichteten.

Zahlreiche westliche Politiker erinnerten am Samstag an das Schicksal von Jina Mahsa Amini und äußerten Solidarität mit der Protestbewegung in Iran. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf der Plattform X die Worte „Frau, Leben, Freiheit“, einen der Slogans der Protestbewegung, der allerdings inzwischen seltener zu hören ist als die Worte „Tod dem Diktator“.

Baerbock: „Wir werden die Verhältnisse in Iran von außen nicht ändern können“

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) schrieb in einer Erklärung: „So sehr es das Herz bricht: wir werden die Verhältnisse in Iran von außen nicht ändern können. Trotzdem werden wir nicht ablassen, den Menschen in Iran eine Stimme zu geben.“ Der amerikanische Präsident Joe Biden äußerte, seine Frau und er würden sich „Menschen auf der ganzen Welt anschließen“, die Amini gedenken würden. In Deutschland gab es unter anderem in Berlin, Hamburg und Frankfurt Protestveranstaltungen.

In den Predigten der regimetreuen Imame in Iran wurden am Freitag die Vereinigten Staaten bezichtigt, die Proteste anzufachen. „Der Feind versucht, unsere nationale Einheit zu zerstören, aber nach den Worten unserer Führung werden wir dem Feind entschlossen entgegentreten“, sagte Ajatollah Khatami, der Freitagsprediger von Teheran. Der Prediger der nordiranischen Stadt Rascht, Rasul Falahati, sagte, „der Feind schlägt vergeblich die Trommel, weil die Menschen, die im vergangenen Jahr getäuscht wurden, dies jetzt bereuen“.

In Zahedan, der Hauptstadt der mehrheitlich sunnitischen Provinz Sistan-Belutschistan, demonstrierten am Freitag wie jede Woche seit einem Jahr Gläubige gegen die Führung in Teheran. Sie erinnerten an den 30. September 2022, als in Zahedan mindestens 66 Demonstranten von Sicherheitskräften getötet wurden. Der sunnitische Freitagsprediger der Stadt, Mawlawi Abdolhamid, ist zu einem der lautstärksten Kritiker der Islamischen Republik geworden. Am Freitag sagte er, weder die Scharia noch die iranische Verfassung erlaube es den Revolutionswächtern, mit Schusswaffen gegen friedliche Demonstranten vorzugehen.

Um den Anschein der nationalen Einheit zu erzeugen, hatte der Oberste Führer Ali Khamenei Anfang der Woche ein Treffen mit Vertretern aus Sistan-Belutschistan abgehalten. Sein Beauftragter für diese Region, Mustafa Mahami, sagte: „Die Feinde waren sehr wütend darüber, dass Schiiten und Sunniten unter Tränen um ein Treffen mit ihrem Führer gebeten haben.“