Foto: Fabian von Poser

Früchte des Vulkans

Von FABIAN von POSER
Foto: Fabian von Poser

13. April 2020 · Auf der Insel Neubritannien vor Papua-Neuguinea graben die Einheimischen seit Generationen die Eier des Großfußhuhns aus dem Vulkansand aus, weil sie als Delikatesse gelten. Ungefährlich ist das nicht.

A n manchen Tagen ist das Glück ein Ei. Ein ziemlich großes sogar. Chris Simon kniet im braunen Vulkansand und stochert mit dem Spaten in einer drei Meter tiefen Grube. Sein Körper ist mit einer klebrigen Masse überzogen: Sand, Bimsstein, Schweiß.

Wie Pockennarben überziehen die Löcher der Eiersucher den Hang. Der Wind trägt beißenden Schwefelgeruch heran. Das Thermometer zeigt 34 Grad. In Simons Erdloch ist es noch heißer. „Der Vulkan“, sagt der 36-Jährige. Schicht für Schicht dringt Simon in die Tiefe vor. Wie ein Chirurg seziert er das Erdreich. Es ist so weich wie eben erst umgegraben. Ein gutes Zeichen, denn das verspricht einen Fund. Als er endlich den Kopf aus der Grube hebt, schwarzer Vulkansand aus seinem krausen Bart rieselt, hält er etwas Ovales ins Tageslicht: ein Ei. Es ist deutlich größer als ein Hühnerei, vielleicht zweimal so groß, und irgendwie länglicher. Aber als Ei ist es gut zu erkennen.

Ei, Ei, Ei, Eigelb: Die Eier der Großfußhühner bestehen zu einem Großteil aus Dotter. Foto: Fabian von Poser



Auf der Insel Neubritannien lebt eines der skurrilsten Geschöpfe überhaupt: In den frühen Morgenstunden, wenn die Sonne noch nicht über den Horizont geklettert ist, buddelt das Großfußhuhn, das die Einheimischen „ngiok“ nennen, ein bis zu drei Meter tiefes Loch in den Vulkansand. Exakt so tief, dass der Sand die Temperatur von 33 Grad hat. Ist der ideale Ort gefunden, legt das Huhn sein Ei zum Ausbrüten am Ende des Tunnels ab und bedeckt es mit Sand. Dann übernimmt der Vulkan.

Zugegeben: So ein Großfußhuhn ist keine Schönheit. Männliche und weibliche Tiere gleichen sich, weshalb sich die Einheimischen vom Volk der Tolai sich bis heute erzählen, dass die Hühner keine zwei Geschlechter haben. Die meisten der 22 Arten, die im ostasiatischen und australischen Raum vorkommen, sind behäbige Bodenbewohner, die sich selten die Mühe machen, zu fliegen. Zum Schutz vor Feinden führen sie ein unauffälliges und zurückgezogenes Dasein im Unterholz.

F.A.Z.

I n der Vogelwelt ist das Großfußhuhn einmalig, denn die Tiere brüten ihre Eier nicht mithilfe der eigenen Körperwärme aus, sondern haben andere Techniken der Brutpflege entwickelt: Einige bauen mehrere Meter hohe Bruthügel, andere vergraben ihre Eier in der Nähe wärme produzierender Baumwurzeln, wieder andere im Vulkansand des Mount Tavurvur, einem der aktivsten Vulkane der Erde. Sobald die Jungvögel aus dem Ei klettern, sind sie flugfähig.

Zwei kräftige Hände und ein Spaten sind alles, was Simon braucht, um des Glücks habhaft zu werden. Mehrmals in der Woche paddeln die Männer von der nahen Halbinsel Matupit zum Tavurvur herüber. Am Strand versammeln sie sich. Dann klettern sie gemeinsam zum Sandfeld am Fuß des Vulkans. Jeder Eiersammler hat sein eigenes, angestammtes Revier. Bereits seit Generationen graben die Männer von Matupit die Eier aus dem warmen Vulkansand, weil sie als Delikatesse gelten. Sie schürfen nach den Eiern wie andere nach Gold.

Gutes Geschäft: Eierverkäuferin verkauft Eier von Großfußhühnern auf dem Markt von Rabaul. Foto: Fabian von Poser

Keiner weiß am Morgen, was der Tag bringen wird. Denn der Tavurvur ist keine Legebatterie. Der Vulkan ist unberechenbar, und mit ihm die Hennen. Manche legen dreimal am Tag ein Ei: sehr früh morgens im Schutz der Dunkelheit, mittags, abends. Oft ist es aber auch nur eines. „Wenn ich 20 Eier am Tag finde, dann war das ein guter Tag“, sagt Simon. „In der Regel sind es weniger.“ Immerhin: Ein Sammler verdient bis zu 1200 Kina im Monat, umgerechnet etwa 300 Euro. Im bettelarmen Papua-Neuguinea ist das ein vortrefflicher Verdienst.

Und die Eier sind ein gutes Mittel gegen den Hunger. „Wir Tolai ziehen die Eier der Großfußhühner jedem Hühnerei vor“, sagt Simon. „Denn sie haben sehr wenig Eiweiß und sehr viel Eigelb. Wenn Du ein Ei isst, dann bist Du satt.“ Die Eier, die die Familien nicht zu Hause verbrauchen, verkaufen die Frauen zu drei Kina das Stück, etwa 75 Cent, auf den Märkten von Rabaul und Kokopo. Ist es ein besonders heißer Tag, sieht man die Männer die Eier direkt an den heißen Quellen mit selbst geflochtenen Körben aus Palmblättern kochen. „Der Haltbarkeit wegen“, sagt Simon.

Gut versteckt: Großfußhühner sind behäbige Bodenbewohner, die selten fliegen. Aus Schutz vor Feinden führen sie ein unauffälliges Leben im Unterholz. Foto: Fabian von Poser



Eigentlich arbeitet der 36-Jährige als Bergführer. Doch nur selten verirren sich Touristen in die Gegend, um den Mount Tavurvur zu erklimmen. Deshalb sammelt er immer öfter in der Grube eines Freundes. Und der Job wird immer gefährlicher. Weniger, weil die Erde ein Pulverfass ist, sondern wegen der Arbeit an sich. Das Eiersammeln in der Brutzeit zwischen Mai und Oktober ist lebensgefährlich. Der Sand ist puderweich, keine der Gruben gesichert. „Viele von uns wurden bereits verschüttet“, sagt Simon.


„Wir nennen den Ort deswegen auch Friedhof.“
Chris Simon

Guter Fund: Eiersammler Chris Simon mit Großfußhuhn-Eiern in seiner Grube am Fuß des Vulkans Tavurvur auf der Insel Neubritannien. Foto: Fabian von Poser



Daher gehören die Eier zum Besten, was der Vulkan den Tolai gebracht hat. Das Schlimmste, was er ihnen gebracht hat, ist das Feuer. 1994 begrub der Tavurvur die kaum vier Kilometer entfernte Stadt Rabaul unter einer sechs Meter dicken Aschedecke. Wie durch ein Wunder kamen nur fünf Menschen ums Leben. Seitdem brodelt der Vulkan quasi unentwegt. Und genau das ist das Problem. Heißes Lavagestein, Sand und Asche haben einen Großteil der Vegetation an seinem Fuß zerstört. Dort, wo einst Urwald war, ist heute nur noch dürre, verkohlte Vegetation.

Das bedeutet: Die Hühner finden keinen Schutz mehr. Nicht vor Beutegreifern, nicht vor der tropischen Hitze, nicht vor den Männern. „Die Eier werden immer weniger“, sagt Simon. Ob es in Zukunft überhaupt noch Eier geben wird, ist ungewiss. Auf der kleinen Bauminsel an der Flanke des Vulkans, nahe der die Männer graben, leben etwa 200 Hühner. Die Tiere jagen dürfen die Sammler nicht. Das steht unter Strafe. Aber Eier zu sammeln, ist erlaubt. „Nur wenn alle Eier gesammelt sind, gibt es bald auch keine Hennen mehr, die diese legen können“, sagt Simon.

Anstrengender Aufstieg: Touristen am rauchenden Krater des Tavurvur auf der Insel Neubritannien.
Heiß gebadet: Etwa 20 Minuten benötigen Eiersammler wie Chris Simon, um die Eier in den heißen Quellen am Fuß des Vulkans zu kochen.
Foto: Fabian von Poser



Als die Sonne am Nachmittag talwärts kriecht, steht Simon mit nacktem Oberkörper vor seinem Erdloch. Die Asche klebt wie Kleister auf seiner Haut. Simon senkt den Blick. 15 Eier liegen vor ihm im Sand. Eine ganz passable Ausbeute. Aber wird er auch morgen noch graben können? Jeden Tag saugen die Männer den Atem des Vulkans ein: Asche, Staub und Schwefel. Viele leiden an Lungen- und Augenbeschwerden, noch mehr haben Rückenleiden. Simon zuckt mit den Schultern. Er kann die Zukunft nicht sehen, aber er kann die Zeichen deuten. Sie stehen nicht gut. Vielleicht ist die Eiersuche am Fuß des Tavurvur ein endliches Geschäft.

Anreise Zum Beispiel mit Lufthansa (lufthansa.com) in zwölf Stunden nach Singapur. Von dort in sechs Stunden mit Air Niugini (airniugini.com.pg) nach Port Moresby, dann weiter nach Kokopo auf Neubritannien.

Einreise Derzeit besteht wegen der Ausbreitung des Coronavirus noch eine weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amts (auswaertiges-amt.de). Ansonsten erhält man ein Touristenvisum für 60 Tage bei der Einreise am Flughafen kostenfrei. Der Reisepass muss am Einreisetag noch mindestens sechs Monate gültig sein.

Gesundheit Malaria-Prophylaxe ist rund ums Jahr empfehlenswert. Außerdem Impfschutz gegen Tetanus, Polio, Diphterie und Hepatitis auffrischen. Trinkwasserhygiene!

Beste Reisezeit Die beste Reisezeit für Neubritannien sind die Monate April bis November.

Unterkunft Die Chalets des Kokopo Beach Bungalow Resort liegen direkt am Strand und bieten eine grandiose Aussicht über die Bismarcksee und den Mount Tavurvur. Das Doppelzimmer kostet ab etwa 160 Euro (kbb.com.pg).

Pauschalreisen Organisierte Rundreisen inklusive der Insel Neubritannien und Vulkantour zum Tavurvur bietet zum Beispiel Pacific Travelhouse (pacific-travel-house.com) an. Auch Abacus Touristik (abacus-touristik.de) und Diamir Erlebnisreisen (diamir.de) haben Papua-Neuguinea im Programm.

Weitere Auskünfte Papua New Guinea Tourism Promotion Authority, c/o The Conjoint Marketing Group GmbH, Fraunhoferstr. 8, 82152 Martinsried/Planegg, Tel. 089/219096514, papuanewguinea.travel