Mit dem Hausboot durch Irland :
Alle im Fluss

Von Stefan Nink
Lesezeit: 6 Min.
Schiff ahoi - doch früher oder später spült  der Shannon seine Besucher wieder an Land,
Mit dem Hausboot durch Irland ist ein Vergnügen, wofür keiner einen ­Führerschein braucht. Wie man fährt, wo man fährt und wo auf gar keinen Fall, lernt man in der Stunde, ehe es losgeht.

Der Wind frischt pünktlich in dem Moment auf, als wir aus dem Shuttlebus steigen, er rauscht durch die Bäume, fährt den zeternden Möwen ins Gefieder und treibt die Wolken über den Himmel. In der Marina von Banagher schäumt er das Wasser und lässt die Boote auf und ab tanzen, als seien sie auf hoher See und lägen nicht vertäut an ihren Ankerplätzen, und wahrscheinlich fragen wir uns in diesem Moment insgeheim alle, ob das wirklich so eine gute Idee war.

Wir sind hier, um ein Hausboot zu übernehmen. Eine Woche lang wollen wir auf dem Shannon unterwegs sein, Irlands längstem Fluss. Wollen kleine Orte erkunden, Ruinen erforschen, Pubs besuchen, über sattgrüne Wiesen laufen, was man so macht in Irland. Das Problem ist: Niemand von uns hat jemals so ein Boot gesteuert. Jetzt stehen wir da, der Wind bläst uns fast um, und unser Mietobjekt da vorne in der Marina ist größer, als es auf den Fotos im Internet ausgesehen hat. Sehr viel größer. Uns wird ein bisschen mulmig.

Leben auf und mit dem Wasser: Nach einer Einweisung geht es los.
Leben auf und mit dem Wasser: Nach einer Einweisung geht es los.Stefan Nink

Um in Irland auf einem Hausboot Urlaub machen zu können, braucht man keinen Führerschein. Man muss auch keinerlei Prüfung ablegen. Reserviert wird das Boot online, dann fliegt man nach Dublin, wird vom Vermieter am Flughafen abgeholt und quer über die Insel zur Verleihstation gefahren. Anschließend bekommt man eine gute Stunde lang erklärt, wie so ein Boot funktioniert. Wie man fährt. Wo man fährt. Wo besser nicht. Wo auf gar keinen Fall. Natürlich auch, wie man unfallfrei anlegt.

Und was zu tun ist, wenn man durch eine Schleuse muss. Ein junger Mann erläutert all das mit einer Selbstverständlichkeit, als erzähle er schnell, wie man mit einem Fahrrad über einen Radweg fährt und es später vor einer Kneipe abstellt. Zusammen mit uns wird eine Gruppe junger Männer eingewiesen, die sich wie eine paramilitärische Einsatzgruppe gekleidet hat. Sie tragen Hosen mit Tarnfarbenmuster und breite Gürtel, an denen Taschenlampen, Multifunktionswerkzeuge und Walkie-Talkies hängen. Ganz hinten in der letzten Reihe sitzen die sechs Freundinnen mit ihren Matrosenkäppis, die im gleichen Flugzeug waren wie wir. Während des Flugs haben sie Piccolos geleert und waren nach der Landung in einer Art Minipolonäse Richtung Gepäckband marschiert. Am Ende der Einweisung müssen zwei von ihnen geweckt werden.

Erstaunlicherweise kam unser Autor tatsächlich halbwegs klar mit dem Boot. Möglicherweise, weil er etwas bedächtiger unterwegs war als die anderen.
Erstaunlicherweise kam unser Autor tatsächlich halbwegs klar mit dem Boot. Möglicherweise, weil er etwas bedächtiger unterwegs war als die anderen.Stefan Nink

Und dann sind wir auch schon unterwegs. Auf dem Boot. Auf dem Shannon, Richtung Norden und immer geradeaus. An diesem ersten Tag allerdings nur für ein paar Kilometer. Als bei Shannon­bridge die namensgebende Brücke auftaucht, beschließen wir, dass wir nach unserem langen Anreisetag ein Bier verdient haben. Praktischerweise ist am Steg so viel Platz, dass wir unser Boot pro­blemlos parken können. Ach so: Wir – das sind zwei Paare, die sich schon ewig kennen. Und die jetzt ziemlichen Hunger haben. Und Durst. Shannonbridge war jahrzehntelang für das Killeen’s berühmt, einen Pub, über den Harry Rowohlt sinngemäß geschrieben hat, er sei die kneipengewordene irische Seele. Den Spinnweben im Türrahmen nach zu urteilen ist die allerdings schon länger geschlossen. Tja, meint ein alter Mann, der gerade vorbeikommt, Corona, fehlende Mitarbeiter, die steigenden Preise, wer wisse in diesen Tagen schon so genau, was letztendlich schuld sei?

Sämtliche Jahreszeiten an einem einzigen Tag

Zum Glück gibt es eine Alternative am Fluss, mit Tischen draußen in der irischen Abendsonne, vor die sich dann aber leider ein düsteres Wolkenband schiebt. Dass es nachts heftig zu regnen beginnt, bemerken wir trotzdem erst, als das Wasser unter Deck ankommt. Es braucht etwas, bis wir sämtliche Luken geschlossen bekommen. Und noch etwas länger, bis drinnen wieder alles trocken ist.

Alles Fassade: bunte Häuser in den Dörfern entlang des Flusses...
Alles Fassade: bunte Häuser in den Dörfern entlang des Flusses...Stefan Nink

Womit wir auch schon beim wichtigsten Aspekt einer jeder Shannon-Flussreise wären. Die irische Floskel, nach der man auf der Insel sämtliche Jahreszeiten an einem einzigen Tag erleben könne, ist nämlich überhaupt keine Floskel, sondern eher eine Untertreibung. In den kommenden Tagen müssen wir quasi im Stundentakt Sonnencreme auftragen, in Windeseile die Regenjacken anziehen, wärmende Schals aus den Reisetaschen holen, Sonnenbrillen auf- und wieder absetzen und zwischendrin fluchen, dass wir keine Wintermützen eingepackt haben. Wir werden uns den ersten Sonnenbrand des Jahres holen und kurz darauf verzweifelt versuchen, unser Boot unter schwarzem Gewölk bei Wind und Wellen irgendwie auf Kurs zu halten. Irland, rufen wir uns in solchen Momenten begeistert durch das Fauchen der Böen zu: Das ist Irland!

...und der nächste Pub ist nie weit entfernt.
...und der nächste Pub ist nie weit entfernt.Stefan Nink

Am zweiten Abend ankern wir vor Clonmacnoise. Die Regenwolken ziehen Richtung Horizont, als hätten sie dort dringende Geschäfte zu erledigen, und als die Sonne untergeht, scheint die Welt einige Minuten lang mit einer Schicht Gold überzogen. Früher stand an dieser Biegung des Flusses ein großes Kloster, jetzt sind nur noch Ruinen da, Grabsteine mit keltischen Kreuzen und ein Rundturm, der wie ein mahnender Zeigefinger in den Himmel ragt. Nach dem Abendessen laufen wir zu den alten Gemäuern, über denen eine eigentümliche Stimmung zu liegen scheint. Vielleicht, weil wir nachmittags im Besucherzen­trum über die bewegte Geschichte des Klosters gelesen haben. Vielleicht aber auch, weil man nicht oft allein an solchen Orten ist. An Plätzen, an denen sich das Alter des Landes bemerkbar macht und man den Eindruck hat, als wären Vergangenheit und Gegenwart ineinander gefallen. Dann geht der Mond auf, und die Ruinen von Clonmacnoise mit den Hügeln dahinter werden zu einem Gemälde aus Dunkelblau- und Dunkelgrautönen. Am Fuße des Ruinenhügels liegt der Shannon, ein Band aus gehämmertem Blei.

Auf dem Lough Ree: Die irische Floskel, nach der man auf der Insel sämtliche Jahreszeiten an einem einzigen Tag erleben könne, ist keine Floskel, eher eine Untertreibung.
Auf dem Lough Ree: Die irische Floskel, nach der man auf der Insel sämtliche Jahreszeiten an einem einzigen Tag erleben könne, ist keine Floskel, eher eine Untertreibung.Stefan Nink

Auf dem Fluss ist es übrigens längst nicht so voll, wie es große Marinas wie die in Banagher vermuten lassen. An den meisten Tagen kommt uns alle zwanzig, dreißig Minuten ein anderes Hausboot entgegen. Manchmal passieren wir Boote mit Anglern, weißhaarige Männer, die sehr genau zu wissen scheinen, an welcher Stelle im Fluss sie ihre Köder auswerfen müssen. In Orten wie Athlone ist natürlich mehr Betrieb. Hier stocken die meisten Flussfahrer ihren Proviant auf, hier posieren die sechs Freundinnen mit den Matrosenkäppis für Selfies, hier muss man natürlich ein Pint in Sean’s Bar trinken, dem ältesten Pub Irlands, Baujahr um 1100. Oh my God, kommentiert eine amerikanische Besuchergruppe und lässt sich vor einem Stück Originalwand fotografieren. Irgendwer stellt fest, dass es den Pub ja schon gegeben habe, bevor Amerika entdeckt worden sei. Aus einem Raum weiter hinten tauchen die Mitglieder der paramilitärischen Einsatztruppe auf und marschieren mit grimmen Mienen grußlos zur Tür.

Die Tiere am Shannon werden noch lange von uns sprechen

Erstaunlicherweise kommen wir tatsächlich halbwegs klar mit unserem Boot. Möglicherweise sind wir etwas bedächtiger unterwegs als die anderen, und vielleicht werfen wir auch viel zu früh bei jedem Anlegemanöver unsere Fender über die Reling, um ja jeden Kontakt zwischen Schiffsrumpf und Kaimauer zu verhindern. Auf jeden Fall fühlen wir uns schon nach zwei Tagen so sicher, dass wir uns in einen Seitenkanal Richtung Cloondara trauen. Und anschließend über den noch schmaleren, mäandernden River Camlin zurück zum Shannon. So ein Boot reagiert mit gehöriger Verzögerung, deshalb glaubt man als Novize gerne, es reagiere überhaupt nicht. Also schlägt man das Ruder noch stärker nach rechts ein oder lenkt noch kräftiger nach links – und merkt plötzlich, dass man gleich im Schilf hängt und deswegen schnell zur anderen Seite korrigieren muss, wo sich dann alles wiederholt. So zickzacken wir durch den Kanal und machen auch akustisch was her, weil jedes Manöver abwechselnd von lauten „Nach links! Mehr nach links!“-Rufen und noch lauteren „Halt dich rechts! Rechts! Nach rechts!“-Alarmschreien begleitet wird. Die Tiere am Shannon werden noch lange von uns sprechen.

Bei der Einweisung lernt man, wo man mit so einem Hausboot fahren darf und wo nicht. Hier, in Boyle, zum Beispiel nicht.
Bei der Einweisung lernt man, wo man mit so einem Hausboot fahren darf und wo nicht. Hier, in Boyle, zum Beispiel nicht.Stefan Nink

So wie wir von dem Abend in Lanesborough. Am Shannon bekommt man die besten Tipps von Leuten, die frühmorgens oder abends am Hafen Gassigehen. In Lanesborough empfiehlt uns eine Frau mit einem grässlich fetten Mops an der Leine eine Kneipe an der Hauptstraße, während der grässlich fette Mops beschließt, unser Boot zuerst zu beschnüffeln und dann zu markieren. Im Pub sind außer uns erst vier, dann acht und kurz darauf achtzig andere Gäste, die sich alle zu kennen scheinen, jedenfalls dauern die Begrüßungsrunden ewig. In einer Ecke sitzt eine Handvoll Musiker, sie spielen Jigs und Reels und sind dabei so konzentriert, dass sie die anderen im Raum überhaupt nicht wahrzunehmen scheinen.

Dann erzählt ein älterer Herr den Gästen eine Geistergeschichte, und sein Enkel tauscht Turn- gegen Tanzschuhe und legt einen traditionellen Stepptanz hin, und eine Großmutter mit Rollator schafft es mit vibrierender Kirchenchorstimme durch viele Strophen einer alten Ballade – als sie den Text nicht mehr weiß, springt einer der Musiker ein und bringt die Moritat zu Ende. Zum Schluss spielt die Band dann noch ein Stück. „The Fields of Athenry“ ist eines jener Lieder, die Jahrhunderte irischer Tragik in ein paar Zeilen zusammenfassen, hungernde Kinder, Mundraub, ein unbarmherziger Richter, ein Sträflingsschiff Richtung Botany Bay, die Frau weinend am Kai. Das alles ist ergreifend, das alles ist wunderbar, das alles ist so, wie man es manchmal in Filmen sieht und dann denkt, jetzt habe der Drehbuchschreiber aber übertrieben. Als wir aufbrechen, nickt und winkt uns halb Lanesborough zu.

Na, wie war’s, wird der Mann vom Bootsverleih am nächsten Tag fragen und unser Boot dabei verstohlen – und vergeblich! – nach möglichen Schäden absuchen. Super, werden wir sagen, und dann werden wir von Deck springen, als hätten wir nie etwas anderes gemacht.

Der Weg zum Hausboot

Bootfahren in Irland Veranstalter wie Silver Line Cruises (silverlinecruisers.com) holen Hausbootfahrer am Flughafen ab und shuttlen sie zur Marina. Boote für zwei Personen kann man ab ca. 1000 Euro pro Woche mieten; größere für vier Personen ab ca. 1500 Euro. Dazu kommen noch die Dieselkosten. Anlegegebühren müssen am Shannon nicht gezahlt werden. Mehr zu Bootsfahrten in Irland unter: www.ireland.com/de-de/magazine/touring-holidays/inland-cruising

Allgemeine Informationen sowie ­Routenvorschläge, Übernachtungstipps und Hintergründe: www.ireland.com/de