Finanzwissenschaftler :
Studie: Migration ist kein Rezept zur Sanierung der Staatskassen

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Die Rentenlücke bleibt wohl trotz mehr Zuwanderung ein Problem.
Kommen mehr Arbeitskräfte, könnte das die demographischen Probleme lösen – hoffen Politiker. Aber dazu reicht das Qualifikationsniveau der Einwanderer bisher bei Weitem nicht, zeigt der Ökonom Raffelhüschen.

Fachkräfteeinwanderung und auch Fluchtmigration tragen immer wieder dazu bei, dass Unternehmen Arbeitsplätze besetzen können, für die sie andernfalls kaum Bewerber finden würden. Aber bedeutet das auch, dass die erhöhte Einwanderung, die Deutschland seit einigen Jahren erlebt, insgesamt die öffentlichen Finanzen stärkt und den Wohlstand der hier lebenden Menschen mehrt? Nein, denn dazu sei der Anteil gut qualifizierter Fachkräfte unter den Einwanderern zu gering. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Analyse des Freiburger Finanzwissenschaftlers Bernd Raffelhüschen für die Stiftung Marktwirtschaft.

Im Rahmen ihrer regelmäßigen Berechnungen zum Ausmaß der sogenannten impliziten Staatsverschuldung haben Raffelhüschen und sein Forscherteam diesmal fiskalische Effekte der Migration näher untersucht. Dazu ermittelten sie zunächst, wie viel an Steuern und Abgaben Menschen im Laufe ihres Lebens an öffentliche Kassen zahlen und wie viel öffentliche Leistungen sie erhalten. Ihr Ergebnis: Ausländer beziehen zwar im Durch­schnitt über den ganzen Lebensverlauf weniger Leistungen als Deutsche – zum Beispiel fallen nicht die vollen Schulkosten an, wenn Menschen erst als Erwachsene einwandern. Doch zahlen Ausländer im Durchschnitt über ihren Lebensverlauf noch etwas weniger in die öf­fent­lichen Kassen ein, so der Befund.

Um auch die Effekte zukünftiger Einwanderung bewerten zu können, unterstellten die Forscher dafür ein Integrationstempo, mit dem sich Einwanderer im Durchschnitt nach sechs Jahren rein fiskalisch nicht mehr von der übrigen Bevölkerung unterscheiden. Auf Grundlage dieser aus seiner Sicht eher optimistischen Annahmen erweise sich auch die fiskalische Bilanz künftiger Zuwanderung als negativ, sagte Raffelhüschen.

Lücke über 500 Prozent des BIP

Übersetzt in die Maßstäbe seiner Gesamtberechnung zur fiskalischen Nachhaltigkeitslücke, gelangt er zu diesen Ergebnissen: In einem – hypothetischen – Szenario ganz ohne weitere Zuwanderung läge der Gegenwartswert aller ungedeckten Ausgaben­ver­pflich­tun­gen des Staates derzeit bei 350 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung, also des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Nehme man aber eine Nettozuwanderung von jährlich knapp 300.000 Personen an, deren Qualifikationsstruktur jener der Einwanderer aus den vergangenen Jahren entspricht, wachse die so ermittelte Lücke auf fast 500 Prozent des BIP.

Die Lücke in der Generationenbilanz gibt an, in welcher Höhe der Staat theoretisch Rückstellungen haben müsste, um alle schon zugesagten Ausgaben dauerhaft ohne Steuer- oder Beitragserhöhungen zu decken. Einer der Haupttreiber impliziter Schulden ist die Alterung der Gesellschaft. Denn wenn die Gruppe der Leistungsbezieher im Verhältnis zur Gruppe der Zahler größer wird, reißen selbst bei unveränderten Gesetzen im Zeitverlauf immer größere Finanzierungslücken auf. Gelänge es, alle Einwanderer sofort auf Fachkräfteniveau in Arbeit zu bringen, könnte die fiskalische Bilanz der Migration auch positiv ausfallen, legte Raffelhüschen dar. Doch erscheine der Weg dorthin, ausgehend von der Qualifikationsstruktur der bisherigen Einwanderer, fast unrealistisch weit.

Ziel seiner Analyse sei nicht in erster Linie eine Bewertung von Migrationspolitik, betonte der Forscher. Es zeige sich allerdings dies: Die Hoffnung, dass Einwanderung die schon aufgelaufenen Finanzierungsprobleme des deutschen Sozialstaats lösen könne, gehe fehl. Im Interesse der kommenden Generationen sei daher in jedem Fall eine Begrenzung staatlicher Leistungsversprechen nötig. „Der Sozialstaat in seiner jetzigen Form ist auf Dauer weder für die in Deutschland lebende Bevölkerung noch für Zuwanderer bezahlbar“, warnte der Ökonom.