Darüber spricht man(nicht) – Episode 2: Das Märchen von der Monogamie und dem Verhältnis von Bondage zu Bonding – Essay zu Beziehungsformen und gesellschaftlichen Tabus

Veröffentlicht am 3. Juli 2023 um 18:50

„Bondage ist vielleicht auch eine Form von Bonding“: was so viel heißt wie: Fesseln ist auch eine Form von Beziehungsarbeit….. Es stellt sich die Frage dahingehend, wie all die traumatisierten Kinder groß wurden, ohne wirklich gesunde, nährende emotional-körperliche Nähe, und wo sie gelernt haben, sich die Nähe wiederum zu holen. Sex mit Liebe zu verwechseln – vielleicht ein Indikator dahingehend, dass man Bondage mit Bonding gleichsetzen könnte. Gehalten werden. Fest-Gehalten werden. Umarmt werden. Eingehüllt. Sicherheit erfahren. Sich spüren.  Aber da war doch die Frage nach der Monogamie. Und weshalb die Menschen glauben, dass dies die Form des Lebens sein kann, in welcher das geordnete Leben samt Erfüllung stattzufinden habe.“ --- ganzes Essay lesen: 

Schon als Kind stellte ich es in Frage, ob wir ein Leben lang genau an einen Menschen quasi mit all dem für und wider gebunden sein müssen.
Irgendwann später in meinem Leben, in meinen kritisch-hinterfragenden Phasen des Ausprobierens, des Durch-Brechens, kamen dann Wortspiele auf wie „Bondage ist vielleicht auch eine Form von Bonding“: was so viel heißt wie: Fesseln ist auch eine Form von Beziehungsarbeit.

Dieser Begriff des „Fesselns“ kann wohl vielseitig verstanden werden.

Doch bevor wir uns den spannenden Fessel-Spielen zuwenden, gehen wir doch in die frühkindlichere Phase, in die essentielleren Bedürfnisse zurück, in die des Bondings:

Wer weiß schon wirklich, wie wichtig diese Beziehungsarbeit der NÄHE für uns ist. Es hat sich im Allgemeinbewusstsein der Menschheit dahingehend bestimmt sehr viel zum Positiven verändert.

Die Pädagogik Hitlers samt bewussten Entzug von Körpernähe und dem absichtlichen Weinen-lassen von Kleinkindern sitzt derzeit hoffentlich „nur“ noch epigenetisch in unsren Zellen fest.

Doch noch immer schauen viele Menschen ganz erstaunt, wenn man ihnen sagt, dass Experimente mit Neugeborenen zeigten, dass diese sterben, wenn sie zwar A) jegliche Grundversorgung bekommen die sie körperlich benötigen – Nahrung, Wasser, passende Raumtemperatur etc. Die Neugeborenen aber B) keinerlei Zuwendung auf körperlich-emotionaler Ebene bekommen.

Einfacher ausgedrückt: Wenn menschliche Wesen einfach nur gefüttert, aber nicht umarmt werden, gehen sie zugrunde.

 

Es stellt sich die Frage dahingehend, wie all die traumatisierten Kinder groß wurden, ohne wirklich gesunde, nährende emotional-körperliche Nähe. Und wo sie gelernt haben, sich die Nähe wiederum zu holen. Sex mit Liebe zu verwechseln – vielleicht ein Indikator dahingehend, dass man Bondage mit Bonding gleichsetzen könnte.

Gehalten werden. Fest-Gehalten werden. Umarmt werden. Eingehüllt. Sicherheit erfahren. Sich spüren.

Aber da war doch die Frage nach der Monogamie.

Und weshalb die Menschen glauben, dass dies die Form des Lebens sein kann, in welcher das geordnete Leben samt Erfüllung stattzufinden habe.

Gründe dafür gibt es viele: Überschaubarkeit, Sicherheit, Einfachheit, Struktur, Ehe, Finanzen. Abhängigkeiten. Fremd übernommene Lebensziele. Life-Goals. Unhinterfragt. Indoktriniert.

Und noch einen ganz schönen Grund: wahre Liebe und Verbindung. Zufriedenheit. Seelenpartnerschaft. Exklusivität.

 

Leider finde und sehe ich diesen schönen wahren Grund kaum wo in meiner unmittelbaren Umgebung. Ich sehe großteils Menschen, die sich arrangieren. Quid pro Quo heißt das: wenn du das haben willst, muss du eben dieses geben. Wenn du Sicherheit haben willst, musst du eben Freiheit opfern. Sagen sie uns. Lernen sie uns. Die Filme. Die Märchen. Die Rollenbilder.

 

Und dann gibt es noch so viel anderes. Zum Beispiel Polygamie oder Dreiecks-Beziehungen. Geheime Affären. Offene Beziehungen. Masken-Partys. Aber darüber wird oft nur hinter vorgehaltener Hand und in geheimen Räumen und Stunden gesprochen.

Warum eigentlich? Ist es nicht viel mehr aufrichtige Form von Liebe und Wertschätzung, wenn wir Menschen uns Frei-lassen und trotzdem verbunden bleiben?

 

Und bei all den Fragen um Paarbeziehungs-Liebe darf man nicht vergessen. Da gibt es doch die Sache mit dem Sex und die Sehnsucht nach der Verliebtheit. Und oben drauf kommen noch die Hormone ins Spiel, die all das klare Bewusstsein und den Fokus ständig in einen Nebel tauchen, in dem man sich verlieren mag. Oder eben auch nicht.

 

Freie Liebe. Ein Widerspruch zur Monogamie? Was kennzeichnet denn per Definition denn überhaupt die Monogamie?

Das Sie-lebten-glücklich-bis-an-ihr-Lebensende-Modell ist die monogame Beziehung. Dabei entscheiden sich zwei Menschen dafür, ihr gesamtes Leben miteinander zu verbringen. Wörtlich übersetzt bedeutet Monogamie, dass es für jeden Menschen nur eine (mono) Ehe (gamos) gibt. In einer Umfrage gaben gerade mal 25 Prozent der befragten Deutschen an, dass sie daran glauben, dass der Mensch von Natur aus monogam ist. Denn seit Menschen schnelllebige und wandelbare Lebenswege gehen und auch viel länger leben als zur Entstehungszeit des Konzepts der Monogamie, wählen viele Menschen eher die sogenannte serielle Monogamie. Dabei leben die Menschen zwar innerhalb ihrer Beziehung monogam, lassen ihre Ehe aber gelegentlich nicht vom Tod, sondern auch von einem Juristen scheiden. Oder trennen sich, wenn es nicht mehr passt. Für Monogamie-Skeptiker könnten die Alternativen spannend sein…“

(Quelle: https://www.tk.de/techniker/magazin/lifestyle/liebe-sex-partnerschaft/beziehungsformen-2123808?tkcm=ab).

Das ganze Leben ist Theater. Wir schlüpfen in unsre Rollen. Wir täuschen und tarnen. Nur blöd, wenn wir nicht wissen, nach wessen Drehbüchern wir inszenieren.

Aber das wurde uns auch nicht beigebracht: zu durchschauen, welche Skripten da in unsren Köpfen niedergeschrieben wurden.

Wir sollten das auch nicht durchschauen. Weil es ist gesamtgesellschaftlich – vor allem für das Patriarchat, den Kapitalismus und Sexismus einfacher, wenn wir weiter den fremd-auferlegten Idealen nachlaufen, ohne zu merken, dass wir das gar nicht wirklich wollen.

Wenn wir weiter unsre unerfüllten Bedürfnisse in die Welten des Konsums auslagern.

Wenn wir weiter in Verträge und Abhängigkeiten geraten, welche uns zum Funktionieren im Lohnarbeits-Hamsterrad zwingen.

Weil wir nie fühlen und spüren durften, wer wir wirklich sind und wonach wir uns wahrhaftig sehnen.

Weil so vieles lediglich tabuisiert wird.

TABUs einer Gesellschaft sind dazu da, um Faszination und Wahnsinn im Rahmen zu halten und jene „verurteilten Gefühle und Sehnsüchte“ dann in ausgelagerte Räume zu verfrachten, wo diese ungelebten Tabus doch toleriert werden: Beispielweise leben die Männer ihre Wünsche dann in diversen Clubs aus, statt sich mit ihren Frauen zuhause zu vergnügen. Beispielweise beginnen viele Beziehungspartner irgendwo anders als Zuhause, ihren Bedürfnissen nachzugehen. Beispielsweise bieten die Porno- und Bordellindustrie Milliarden von Männern die Möglichkeit dazu, ihren ungelebten Bedürfnissen freien Lauf zu lassen. All das zu tun, wofür sie sich sonst „schämen“ müssten. Und da sind wir wieder ganz am Beginn der frühkindlichen Reise: Die Scham und die Sexualität. Eine Frage die sich mir die ganze Zeit stellt: Welche Wortform gibt es eigentlich für die männliche Variante von „Bitch“, Schlampe?

Wer von uns hat einen gesunden Zugang zur eigenen Sexualität ermöglicht bekommen? Wer von uns durfte offen und authentisch über sexuelle Gefühle und Bedürfnisse sprechen?
Die meisten von uns im diabolischen Weltbild wurde in einem System aus Ambivalenzen groß: in einer Welt, die medial stark pornografisch mit ganz viel Male-Gaze existiert. Ein Pornoheftchen hier, Sexspielzeug da. Manchmal ein Stöhnen aus den Schlafzimmern der Erwachsenen. Und…gleichzeitig die alldurchdringende Lehre:

Sich anfassen ist unanständig und darüber sprechen tun wir schon gar nicht. Doppelmoral von Anfang bis Ende. So ziehen wir das dann durch, von der Wiege bis zum Grab. Adrenalin, Ektase, Verletzungen, Schmerzen, Trauer und Verwirrungen inklusive.

Doch, es könnte doch ganz einfach sein. Es darf einfach sein.
Was braucht es dazu? Klarheit, Bewusstsein, Wertschätzung, Offenheit, Natürlichkeit, Grenzen, Kommunikation.

Vor allem in Hinblick auf die Verstrickungen der dunklen Sumpfgebiete dieser Gesellschaft: Kapitalismus, Sexismus und Patriarchat finde ich es besonders spannend, dass jene (sexuellen) Bedürfnisse, die von klein an unterdrückt/tabuisiert werden und somit dann oft auch krankhafte Züge annehmen – später genau in den dunklen Machenschaften unserer Gesellschaft (Sexarbeit, Pornoindustrie, Kinderhandel u.v.m) das meiste Geld in die Kassen der Machthungrigen einspielen. Alles Zufall, oder?

So einfach sind Gedanken zur Monogamie nicht abzuhandeln. Zu viele Nebenströme, die diesen Fluss zum Austrocknen bringen.

Autorin und Copyright: Daniela Gaich