Upper Class
Die besten Triebwerke für Business Jets

Rolls-Royce behauptet mit seiner neuen Pearl-Triebwerksfamilie die Führungsposition bei den zweistrahligen Premium-Business-Jets. Doch auch andere Hersteller haben sich mit modernen Turbofans am Markt etabliert. Eine Übersicht.

Die besten Triebwerke für Business Jets
Foto: Rolls-Royce

Die Business Aviation ist ein "heißer Markt", sagt Dirk Geisinger, CEO von Rolls-Royce Deutschland. "Wir haben uns innerhalb von sechs Monaten [nach Beginn der Pandemie; d. Red.] erholt und waren wieder auf dem Flugniveau von 2019. Seitdem sind wir um 20 Prozent gewachsen", so Geisinger bei einem Briefing im Juni in Dahlewitz, wo der Triebwerkshersteller seine Business-Jet-Antriebe entwickelt, testet und baut. Für den Branchenprimus Rolls-Royce läuft es derzeit besonders gut. Der Marktanteil bei Antrieben für Langstrecken- und Ultralangstrecken-Business-Jets liegt bei etwa 60 Prozent. Und er wird wohl weiter steigen, wenn die von Rolls-Royce angetriebenen Gulfstream G700 und G800 sowie das neue Dassault-Flaggschiff Falcon 10X Ende 2023, 2024 und Ende 2025 in Dienst gehen.

Unsere Highlights
Bombardier Inc.

Seit September 2019 ist das Pearl 15 Triebwerk von Rolls-Royce an den Bombardier-Jets Global 5500 und 6500 im Dienst.

Die Pearl-Triebwerksfamilie

Wichtiger Erfolgsfaktor: die neue Pearl-Triebwerksfamilie, die seit 2018 die Nachfolge der in die Jahre gekommenen BR710 und BR725 angetreten hat. Bisher umfasst sie das Pearl 15 (Bombardier Global 5500/6500), das Pearl 700 (Gulfstream G700/G800) und das Pearl 10X (Dassault Falcon 10X). Sie alle basieren auf dem Advance2-Forschungsprogramm, das seit 2014 neue Technologien wie den einteiligen Blisk-Fan, einen zehnstufigen, aerodynamisch optimierten Hochdruckverdichter (mit sechs Titanaluminid-Blisks) sowie Elemente aus keramischen Faserverbundwerkstoffen (CMC) hervorgebracht hat. Dabei werden auch Erfahrungen aus den zivilen Großtriebwerken genutzt, beispielsweise für die neue Magerbrennkammer sowie die Schaufel- und Gehäusekühlung der Hochdruckturbine.

Rolls-Royce

Das Pearl 10X Triebwerk von Rolls-Royce ist das jüngste und mit 80 kN stärkste Mitglied der Pearl-Familie.

Ordentlich Schub dahinter

Der jüngste und bisher stärkste Spross der Triebwerksschmiede in Dahlewitz ist das Pearl 10X. Es liefert mehr als 80 kN Startschub. Genaue Werte werden auf Wunsch von Dassault nicht verraten. Die Falcon 10X ist der erste Business Jet des französischen Herstellers, der auf Rolls-Royce-Triebwerke setzt. Der Turbofan soll noch dieses Jahr von Tucson, Arizona, aus Flugtests an der firmeneigenen Boeing 747-200 beginnen. Rund 1500 Teststunden hat das Programm schon am Boden absolviert (inklusive Advance2-Demonstrator). Was den Durchmesser des Blisk-Fans (1,32 m) und die Anzahl der Turbinen-Stufen (zwei Stufen Hochdruckturbine ohne Deckbänder, vier Stufen Niederdruckturbine) angeht, zieht das Pearl 10X gleich mit dem Pearl 700. Im Pearl 10X kommen aber eine Brennkammer mit 3-D-gedruckten Elementen sowie ein neues Hilfsgetriebe zum Einsatz.

GE Aviation

Die Passport-20-Reihe von GE Aerospace ging 2018 in Dienst.

GE Aerospace und Safran Aircraft Engines

Das Pearl 10X liegt am oberen Ende des Rolls-Royce-Portfolios und ist die Antwort des deutschen Herstellers auf die Passport-20-Reihe von GE Aerospace, die 2018 in Dienst ging. Beim Passport setzt GE auf ein verkleinertes LEAP-Kerntriebwerk, das der US-Hersteller zusammen mit Safran Aircraft Engines entwickelt hat. Weitere Technologien aus der zivilen Triebwerkssparte fanden Eingang, zum Beispiel eine Niedrig-Emissions-Brennkammer (wie beim GP7000 des Airbus A380) und ein Bläsergehäuse aus Verbundwerkstoffen (wie bei GE90 und GEnx). GE brachte zudem keramische Verbundwerkstoffe, unter anderem im Abgasmischer, ins Spiel und setzte früher als Rolls-Royce auf einen Blisk-Fan. Für die starken Passport-Triebwerke gibt es bislang aber nur zwei Anwendungen: die Bombardier Global 7500 und Global 8000.

Pratt & Whitney Canada

Gulfstreams neuer Einstiegsjet G400 wird vom PW812GA angetrieben.

Auch Pratt & Whitney mischt mit

Einen Blisk-Fan sowie Technologien aus zivilen Triebwerken nutzt auch Pratt & Whitney Canada für seine PW800-Familie, die in der 70-Kilonewton-Klasse angesiedelt ist. "Das Herzstück des PW800 ist die langlebige, streng getestete Kerntechnologie, die mit den GTF-Triebwerken für Verkehrsflugzeuge von Pratt & Whitney geteilt wird", sagt Cedric Gauthier, Director Sales and Marketing Business Aviation bei Pratt & Whitney Canada. Neben dem Kerntriebwerk des PW1500G (Airbus A220) wurde auch die TALON-X-Brennkammer aus dem GTF-Programm adaptiert. Verzichtet wurde hingegen unter anderem aus Gewichtsgründen auf ein Untersetzungetriebe.

Das erste Triebwerk der Familie, das PW814GA, ging im September 2018 an der Gulfstream G500 in Dienst, das PW815GA folgte ein knappes Jahr später an der G600. Seitdem hat Pratt & Whitney Canada Aufträge für die Motorisierung weiterer neuer Business Jets erhalten: die Dassault Falcon 6X und die Gulfstream G400. Dafür hat der kanadische Triebwerkshersteller die PW800-Familie um die Varianten PW812D und PW812GA mit je rund 61 kN Schub ergänzt. Sie enthalten die neuesten digitalen Triebwerkssteuerungen (FADEC) sowie Health-Monitoring-Systeme.

Honeywell im niedrigen Schubbereich

In niedrigeren Schubbereichen zwischen 30 und 35 Kilonewton hat sich Honeywell mit der HTF7000-Familie seit fast 20 Jahren fest etabliert. Eine Reihe von Midsize und Super Midsize Jets wie die Cessna Citation Longitude oder Embraer Praetor 500 und 600 fliegen mit HTF7000, ebenso die Bombardier Challenger 3500, die überarbeitete Version der Challenger 350. Honeywell investiert nach eigenen Angaben in kontinuierliche Verbesserungen und führt neue Technologien ein, um die Zuverlässigkeit des gesamten Systems zu erhöhen. Zudem würden derzeit neue Systeme entwickelt, um ausgereiftere Triebwerksdatenanalysen und Prognosefähigkeiten zu ermöglichen, so Honeywell. Details will der Konzern nicht verraten. Im Rahmen des CLEEN-Forschungsprogramms der US-Luftfahrtbehörde FAA arbeitet Honeywell an einem leichten, leisen und effizienten Bläsermodul, einem Hochdruckverdichter mit höherem Gesamtdruckverhältnis, einer kompakten Niedrig-Emissions-Brennkammer sowie neuen Dichtungen für die Hochdruckturbine. Die Technologien könnten in der nächsten Triebwerksgeneration eingesetzt werden.

Textron 2020
Textron Aviation

Die Cessna Citation Longitude wird von dem Honeywell HTF7000 angetrieben.

Optimistische Prognosen

Offiziell entwickelt Honeywell derzeit aber kein neues Business-Jet-Triebwerk, es gäbe auch kein entsprechendes Flugzeug dafür. "Mit unserer Philosophie der kontinuierlichen Verbesserung ist unsere aktuelle Flaggschiff-Turbofan-Produktlinie, das HTF7000, gut positioniert, um die Anforderungen aktueller und zukünftiger Nachfolgeflugzeuge zu erfüllen", sagt Carl Kotlarz, Senior Product Director, Propulsion Engines bei Honeywell Aerospace. Honeywell prognostiziert in seinem jährlichen Global Business Aviation Outlook für den Zeitraum zwischen 2023 und 2032 Auslieferungen von bis zu 8500 neuen Business Jets im Wert von 274 Milliarden US-Dollar. Das entspricht einem Plus von 15 Prozent sowohl bei den Auslieferungen als auch beim Umsatz im Vergleich zur vorherigen Zehnjahresprognose aus dem Jahr 2021. Sie ist in der Tat ein "heißer Markt", die Geschäftsreisefliegerei.

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Erscheinungsdatum 10.05.2024