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Die Angst vor der Isolation

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Sie hat jede Menge gestrickt, viel ferngesehen und telefoniert, aber das ist kein Ersatz für soziale Kontakte, sagt Christa Sabel. Und jetzt kann sie schon wieder nicht mal mehr arbeiten.
Sie hat jede Menge gestrickt, viel ferngesehen und telefoniert, aber das ist kein Ersatz für soziale Kontakte, sagt Christa Sabel. Und jetzt kann sie schon wieder nicht mal mehr arbeiten. © Sabine Rauch

Alleinstehende Bad Cambergerin berichtet davon, wie einsam die Corona-Pandemie sie gemacht hat.

Würges -Das Tennisspielen und danach das Treffen im Clubhaus. "Das war das Highlight des Sommers", sagt Christa Sabel und lacht. Damals hatte sie schon fast vergessen, dass Herbst und Winter kommen und damit die nächste Corona-Welle. Und damit wieder eine Zeit der Isolation. "Die sozialen Einschränkungen sind für mich schlimmer als die Krankheit", sagt Christa Sabel. Natürlich weiß sie, dass sie nur eine leichte Form von Covid-19 hatte, mit starken Gliederschmerzen, Erschöpfung und Fieber, aber ohne Husten und die ganzen anderen Symptome.

Als sie am 6. April erfuhr, dass es keine Grippe war, ging es ihr längst wieder gut. Natürlich sei sie trotzdem in Quarantäne gegangen, obwohl die Anordnung erst zwei Wochen später kam, als alles schon wieder vorbei war. Damals sei alles noch etwas chaotisch gewesen, sagt Christa Sabel. "Ich habe mich vorbildlich verhalten." Christa Sabel hat sich isoliert, eine Arbeitskollegin ging für sie einkaufen, den Müll hat sie nur nachts rausgebracht - und das, obwohl sie am Ortsrand von Würges wohnt und nicht irgendwo mitten in der Stadt.

Die Söhne sind

aus dem Haus

Aber Christa Sabel war einsam. Eigentlich könne sie ganz gut alleine sein, sagt sie. Sie ist es gewohnt. Die Söhne sind längst aus dem Haus, von ihrem Mann lebt sie seit langem getrennt. "Aber es ist ein Unterschied, ob ich nicht raus darf oder nicht raus will." Sie habe damals viel geputzt, jede Menge gestrickt, ferngesehen und telefoniert. Aber das sei kein Ersatz.

Das Fitnessstudio fehlt ihr, der Gang in die Kirche, das Tennisspielen, die Karten-Abende mit ihren Freundinnen. In die Kirche könnte sie längst wieder, aber mit Maske und Abstand ist es nicht dasselbe, sagt sie. Karten spielen wäre sogar gegangen, aber ihre Freundinnen wollen nicht. Von den neun Frauen gehören drei zur Risikogruppe, weil sie Vorerkrankungen haben, die anderen wollten auch im Sommer nicht weitermachen. "Viele Leute ziehen sich zurück."

Sie wolle nicht immer Angst haben, sagt Christa Sabel. "Sonst wird man ja verrückt." Aber an den Widersprüchen, die sie tagtäglich erlebt, könnte sie verzweifeln. Sie verstehe nicht, dass in Bussen und Bahnen die Menschen dicht gedrängt unterwegs sind, in den Klassenzimmern die Abstandsregeln nicht gelten, aber in den Schreibwarenladen, in dem sie arbeitet, immer nur ein paar Kunden dürfen. "Und dann die Menschen, die die totale Panik haben, aber ständig unterwegs sind." Weil auch sie Angst vor der Isolation haben.

Zum Glück habe sie bislang ihre Arbeit gehabt, sagt Christa Sabel. Und zu Weihnachten wollen wenigstens zwei ihrer Söhne kommen, "wenn das dann noch erlaubt ist". Das gemeinsame Weihnachtsfest müsste in ihrem Fall eigentlich auch ungefährlich sein, denn die beiden waren ebenfalls infiziert. Vermutlich hatten sie sich bei ihrer Tante angesteckt, damals, Ende März, so wie Christa Sabel auch. Ihre Schwester habe nicht gewusst, dass sie infiziert war. Es sei sowieso eine schwierige Zeit gewesen, damals. Ihr Vater war gestürzt und musste ins Krankenhaus. Und niemand durfte ihn besuchen. Erst in seinen letzten Tagen konnte seine Familie zu ihm, und das auch nur, weil die Krankenhausleitung ein Einsehen und ihn auf die Palliativstation verlegt hatte. "Wenn wir Pech gehabt hätten, hätten wir ihn gar nicht mehr sehen können", sagt Christa Sabel. Und: "Die Vorstellung, dass er da ganz alleine liegt war schlimmer als die Angst, dass er vielleicht an Corona stirbt."

Ihr Vater wurde dann "unter Corona-Bedingungen" beerdigt. Das sei aber nicht schlimm gewesen, sagt Christa Sabel. "Ich brauche das ganze Brimborium nicht." Sowieso habe sie ein anderes Verhältnis zum Tod und zum Sterben als viele andere Menschen. "Ich habe keine Angst vor dem Tod." Es gebe im Leben Dinge, die man nicht ändern kann, zum Beispiel, dass ihr Bruder nur 46 Jahre alt wurde und dann an Krebs starb.

Antikörpertest

im April

Christa Sabel ist jetzt 57 und offenbar noch lange nicht dran. Und wenn, dann könne sie daran sowieso nichts ändern, sagt sie. "Wir können nicht alle 100 werden." Angst vor dem Virus hat sie nie gehabt, aber Respekt. Dass sie im April einen Antikörpertest gemacht hat, liege vor allem daran, dass sie und ihre Ärztin herausfinden wollten, ob der Test überhaupt funktioniert. Jetzt weiß sie zumindest, dass sie vor einem halben Jahr Antikörper gegen das Coronavirus im Blut hatte, aber eine Garantie, dass sie nicht noch einmal krank wird, sei das nicht. Wiederholen würde sie den Test trotzdem nicht, "dafür ist er zu teuer". Sie hält sich einfach weiter an die Hygieneregeln, hofft, dass die anderen Menschen auch vernünftig sind und dass der Spuk irgendwann vorbei ist. Weil sie keine Lust mehr hat auf die ewig gleiche Konversation, "alle reden nur noch über Corona". Und weil sie an die sozialen Folgen der Pandemie denkt und daran, dass es auch andere Themen und Probleme gibt: die Flüchtlingsdramen zum Beispiel und den Umweltschutz. "Unsere Enkelkinder müssen das dann ausbaden."

Sind Sie selbst betroffen?

Die NNP würde die Serie über Menschen aus der Region, die von ihren persönlichen Erfahrungen mit dem Coronavirus berichten, gerne fortsetzen. Wer seine eigene Geschichte mit der Krankheit erzählen möchte, meldet sich bitte per E-Mail an nnp@fnp.de mit dem Stichwort "Corona durchgemacht".

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