1. Startseite
  2. Region
  3. Main-Taunus
  4. Hochheim

„Eine dissoziale Persönlichkeitstörung mit paranoiden Zügen“

KommentareDrucken

Im Justizzentrum in Wiesbaden findet die Verhandlung gegen einen 26-Jährigen statt, der einen Rentner schwer verletzte.
Im Justizzentrum in Wiesbaden findet die Verhandlung gegen einen 26-Jährigen statt, der einen Rentner schwer verletzte. © Hans Nietner

Wenn alles wie bisher im festgelegten Zeitplan verläuft, wird es beim Prozess gegen Christoph A. (26) noch zwei Verhandlungstage geben, bevor das Urteil gesprochen wird. Der 26-Jährige attackierte am 2. August 2016 mit einer Machete den Rentner Bernd G. (72) auf offener Straße und verletzt ihn schwer.

Was wie ein Alptraum anmutet, wurde in der ansonsten so friedlichen Innenstadt der Wein- und Sektstadt am 2. August 2016 brutale Wirklichkeit. Ein 72-Jähriger wird von seinem Kontrahenten Christoph A. durch Macheten-Hiebe schwer verletzt und fast 350 Meter durch die Frankfurter Straße getrieben. Der Rentner überlebt die Attacke schwerverletzt. Der Angreifer Christoph A. wird später von einer Polizeistreife in der Nähe einer Bushaltestelle festgenommen. Er bestreitet die Tat nicht und verhält sich – außer anfangs einiger verbalen Drohungen gegen die Polizisten – verhältnismäßig ruhig, wie die Beamten im Zeugenstand erklärt hatten. Doch was war der Auslöser für die Tat? Welchen Grund gab es dafür, dass der 26-Jährige mit einer Machete im Gürtel das Clubhaus der Rules 5 in der Herderstraße verließ, das ihm auch als Unterkunft diente? Warum schlug Christoph A. auf den wehrlosen und körperlich unterlegenen Rentner ein, der dazu noch nicht einmal Anstalten machte, die Polizei zu rufen oder zu fliehen? Und was hat den Angreifer dazu veranlasst, von seinem Opfer wieder abzulassen und nicht das Weite zu suchen, sondern sich wenig später nicht weit entfernt von seiner Unterkunft aufzuhalten?

Antworten auf diese Fragen gibt es nicht. Es gibt Vermutungen und Spekulationen. Und es gibt das Gutachten einer Psychiaterin (66), die bei mehreren Gesprächen mit dem Angeklagten eine umfangreiche Dokumentation angelegt hat. Dieses Gutachten trug die erfahrene Psychiaterin beim jüngsten Verhandlungstermin vor. Dabei kristalliert sich heraus, dass die Fachärztin für Psychiatrie bei Christoph A. nicht nur ein erhöhtes Aggressionspotenzial festgestellt hat. Dazu kämen eine dissoziale Persönlichkeitsstörung, ein verringertes Selbstwertgefühl sowie paranoide Charakterzüge.

Gefängnis als Zuflucht

Die Ärztin sieht dennoch für den jungen Mann nicht ganz und gar rabenschwarz, was seine Zukunft angeht. Wenn er eine Ausbildung machen könnte oder aber sogar eine Frau, die sein Leben strukturieren würde, dann würde er wahrscheinlich nicht mehr so schnell zur Gewalt neigen. Die Hemmschwelle von Christoph A. sei niedrig, wenn es um Gewalttätigkeit gehe. Bei Alkoholkonsum werde sein Aggressionspotenzial noch einmal erhöht, erklärte die Psychiaterin. Dem Angeklagten attestierte die Ärztin eine „komplexe Persönlichkeit“, die sowohl zwanghafte, narzisstische wie auch paranoide Züge aufweise. Der Angeklagte habe bestimmte Wertvorstellungen, von denen er nicht abweichen wolle. Er brauche außerdem für seinen Tagesablauf feste Regeln. Dies habe er selbst so gesagt. Das Gefängnis sei deshalb für ihn, eine gute Sache, da es dort einen streng strukturierten Alltag und Regeln gebe. So sei seine Zelle in einem tadellosen Zustand. „Er fühlt sich im Gefängnis wohl, draußen ist es ihm zu unübersichtlich“, sagte die Medizinerin. Im Gefängnis habe er sich zudem mit seiner Intelligenz bereits Respekt verschafft. Er übernehme für andere Inhaftierte das Schreiben von Briefen. Zweifellos sei der Angeklagte intelligent genug, um beispielsweise das Abitur nachzumachen oder sogar ein Studium zu absolvieren.

Christoph A. sei seine Wirkung nach außen hin wichtig. Er wolle immer der Anführer sein. Mit dem Unterordnen habe er große Probleme. „Ihm gefällt seine körperliche Überlegenheit“, berichtete die Ärztin weiter, die darauf hinwies, dass der Angeklagte verschiedene Kampfsportarten trainiert habe. Er begebe sich gerne in gefährliche Situationen und komme in Subkulturen – wie beispielsweise bei Rocker-Gruppen mit deren Regelwerken – am besten zurecht.

Therapie ist notwendig

So habe der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung einige Verletzungen durch Messerstiche erlitten. Diese seien heute noch durch Narben sichtbar. Für den Angeklagten wäre eine Einzel-Therapie wichtig meinte die Psychiaterin. Doch die gebe es aus verschiedenen Gründen meistens in den Gefängnissen nicht. Eine Gruppentherapie wäre aber genau so ratsam, erläuterte die Fachärztin.

Auf die Frage des Vorsitzenden Richters, ob der Angeklagte die Tat begangen habe, weil seine Steuerungsfähigkeit durch die Persönlichkeitsstörungen vermindert gewesen sei und was für eine Rolle der Alkohol gespielt habe, wich die Ärztin aus. Dies könne so einfach nicht beantwortet werden. Manche Antworten, die darauf gegeben werden könnten, wären wohl nur Spekulationen: „Wir wissen das nicht.“ Sicher sei aber, dass am Tattag der Angeklagte mit seiner Lebenssituation gehadert habe. Der Verlust seines Arbeitsplatzes kurze Zeit vorher habe da ebenso eine Rolle gespielt wie die Tatsache, dass der Angeklagte kein Geld und keine Wohnung gehabt habe. Ohne Beruf und ohne Ausbildung habe er seine Zukunftsperspektive negativ gesehen. Er habe der Gesellschaft die Schuld an seiner Situation gegeben.

Dies alles sei vor der Tat in der Frankfurter Straße zusammengekommen. Dass das spätere Opfer ihm etwas zugerufen habe, das Christoph A. als Provokation empfand, hätte die Situation dann eskalieren lassen. Übrigens: Warum der Angeklagte eine Waffe am 2. August 2016 bei sich führte, ist nach wie vor ein Rätsel. „Wir wissen nicht, warum er die Machete mitgenommen hat“, so die Psychiaterin.

Der nächste Verhandlungstag ist am 19. April.

Auch interessant

Kommentare