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„Kommt aus der Deckung“: Dietrich könnte tausendfacher Vater sein - jetzt hat er Appell an andere Samenspender
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Dietrich (56) jobbte nach dem Abitur in einer Frauenarztpraxis als Samenspender.
privat Dietrich (56) jobbte nach dem Abitur in einer Frauenarztpraxis als Samenspender.
  • FOCUS-online-Autorin

Dietrich Klein, heute 56, hat nach dem Abi als Samenspender in einer Frauenarztpraxis gearbeitet. Dreißig Jahre später traf den Ingenieur die Erkenntnis mit Wucht: Er könnte tausendfach Vater sein. Jetzt möchte er Samenspendern und ihren Kindern helfen.

FOCUS online: Sie waren in jungen Jahren in einer Frauenarztpraxis anonym als Samenspender aktiv. Jetzt appellieren Sie an andere Spender, sich zu öffnen und sich in einer Datenbank zu registrieren. Was treibt Sie an?

Dietrich Klein: Die Not der Spenderkinder. Ich bin mit vielen in Kontakt, erlebe ihr oft verzweifeltes Suchen, das Ringen um Identität, die vielen quälenden Fragen. Spender sollten aus der Deckung kommen, für ihre Kinder und auch für sich selbst. Ihr habt was miteinander zu tun, sage ich immer, steht in Resonanz. Man kann das verdrängen, aber aus der eigenen Erfahrung kann ich sagen: das funktioniert nur begrenzt.

Erzählen Sie mal, wann kamen Zweifel?

Klein: Ganz ehrlich: Einen ersten kritischen Instinkt gab es schon sehr früh, vielleicht sogar bei der ersten Spende – mit 20. Aber so richtig aufgebrochen ist etwas in mir, als eine gute Freundin aus der damaligen Zeit mich nach 30 Jahren auf meine Spendertätigkeit ansprach. Sie wollte wissen, was daraus geworden sei, ob es Kinder gäbe. Ich war wie elektrisiert.

Und ich fragte mich, warum ich diesen Gedanken so lange im Unbewussten vergraben hatte. Von einer gewissen Neugierde getrieben begann ich im Internet zu recherchieren. Ich stieß auf Berichte und sehr emotionale Videobeiträge von Spenderkindern. Einiges davon ging mir sprichwörtlich unter die Haut. Ich bin Vater dreier Kinder, die ich mit meiner Frau gemeinsam großgezogen habe und weiß daher, wie tief das Band zwischen Eltern und Kindern geht. Man macht sich etwas vor, wenn man so tut, als könnte das nur etwas Materielles, Genetisches sein.

Die wichtigsten Datenbanken für Samenspender und Spenderkinder

Aber damals, als Sie gespendet haben, haben sie es genauso gesehen, oder?

Klein: Das war alles in allem wenig reflektiert. Ich hatte gerade Abi gemacht und stand kurz vor dem Zivildienst. Das Lebensgefühl war Aufregung und durchaus auch der Reiz, etwas Verrücktes, Geheimnisvolles zu erleben. In unserer Clique kursierten Geschichten, dass man sehr einfach Geld verdienen könnte. Ein Freund hatte die Suchanfrage einer Frauenarztpraxis für Samenspender als Aushang gesehen. So fing alles an.

Keine Bedenken, als Sie dann in der Praxis waren?

Klein: Es ging alles sehr schnell. Ich wurde schnell ins Chefzimmer gelotst, der Arzt war mir zugewandt und wirkte eher wie ein kreativer Künstler als ein strenger Mediziner. Er hatte Ähnlichkeit mit meinem Vater, das gab mir Vertrauen. Ich wurde hofiert, das ließ in mir das Gefühl entstehen, etwas Wichtiges und Gutes zu tun.

Gab es kein Registrierungsverfahren, irgendwelche Checks?

Klein: Ein Bluttest, ein Spermiogramm, das war es. Ich habe fünf Jahre lang gespendet, schätzungsweise 70 Mal. Später habe ich erfahren, dass aus einer Spende bis zu 100 Kinder hervorgehen können…

Das heißt, Sie könnten tausendfacher Vater sein?

Klein: In den USA gibt es sowas tatsächlich. Ein großes Problem, nicht zuletzt wegen der erhöhten Gefahr das Geschwisterkinder sich unwissentlich kennen lernen und selbst gemeinsam Kinder bekommen. In Deutschland in den 80-er und 90-er Jahren wurde von der Frauenarztpraxis, mit der ich zusammengearbeitet habe, wie mir der Arzt später berichtete, jede Spende nur einmal eingesetzt und die Quote einer erfolgreichen Schwangerschaft lag bei ca. 25 Prozent.

Daher rechne ich in meinem Fall realistisch mit nicht mehr als 20 Spenderkindern. Aber auch und gerade der psychologische Aspekt wiegt trotzdem schwer. Wie gesagt: es gibt so viele Seelen, die suchen. Ich konnte sie später spüren, sie tauchen in meiner Fantasie immer wieder auf. Ich weiß noch gut, dass es damals während des Studiums immer wieder diese innere Stimme gab, die mich mahnte, es nicht zu übertreiben. Und irgendwann hatte ich tatsächlich dieses Gefühl: Es ist genug. Ich finde das interessant, dass es da offensichtlich eine solche kritische Instanz im Inneren gibt. Von einem Bann der Anonymität, der viele Jahre in mir gewirkt hat und von dem ich mich Heute befreit habe, spreche ich häufig auch.

Wie ging es Ihnen, nachdem die Freundin die Vergangenheit durch ihr Fragen ins Jetzt katapultiert hatte?

Klein: Ich hatte Angst, von der Sache überrollt zu werden…

… auch juristisch? Weil Nachkommen mit Ansprüchen kommen könnten?

Klein: Das erst mal auch, aber das war unbegründet. Man muss hier differenzieren: Rein formell haben Samenspender, die vor der gesetzlichen Regelung vor einigen Jahren mit dem Samenspenderregister gespendet haben, keine Rechtsicherheit. Um hier in Bedrängnis zu kommen, müsste allerdings ein Spenderkind die Vaterschaft zu seinem gesetzlichen Vater aberkennen lassen, mit allen Konsequenzen. Und dann müsste sich das Kind in das Vaterschaftsverhältnis zum Spender einklagen, mit allen Verantwortungen auch für den dann neuen Vater, z.B. wenn er älter und ggf. bedürftig wird.

Mir ist kein Fall bekannt, wo dies passiert wäre. Aus meiner Erfahrung besteht bei den Spenderkindern ausschließlich das Interesse, den Menschen, den man biologischen Vater nennt, zu kennen. Die Angst vor rechtlichen Konsequenzen, mit der manche Samenspender sich heute bei mir melden, ist unnötig…

…apropos: wie kommt es eigentlich, dass sich diese Männer bei Ihnen melden?

Klein: In der Regel, weil sie von Spenderkindern gefunden wurden. In einigen Fällen drängen die Gerichte darauf, dass entsprechende Daten rausgegeben werden. Ich bin beim Verein „Spenderkinder“ als Ansprechpartner gelistet, alle paar Monate kommt ein solcher Anruf. Zunächst geht es nicht um die persönliche Ebene, die Verbindung zum Kind. Werden Forderungen fällig? Muss ich mein Erbe aufteilen? Das treibt diese Männer erst einmal um.

Nochmal: An der Stelle kann ich sie beruhigen. Ein biologisches Kind von sich kennen zu lernen, im erwachsenen Alter, habe ich eher als Bereicherung als eine Bedrohung empfunden. Für meine Familie war das übrigens genauso.

Sie haben also eines Ihrer Kinder kennengelernt? Erzählen Sie.

Klein: Ja, ich hatte mich an eine amerikanische Datenbank gewandt. Das ist ein bisschen wie Facebook der Gene: man schickt etwas Speichel und Mundschleimhaut in einem kleinen Reagenzglas per Post in die USA. Kurz darauf bekam ich eine E-Mail, in der rund 1000 Verwandte gelistet waren. Alles Cousinen und Cousins dritten und vierten Grades. Mit Anja, einem der Spenderkinder aus dem Fernsehbeitrag, den ich gesehen hatte, war ich mittlerweile in Kontakt. Und sie war, wie sich nun herausstellte, kein Match.

Das war verstörend für uns beide, denn genau davon waren wir fast schon ausgegangen gewesen. Wir hatten einige Ähnlichkeiten festgestellt, einen Leberfleck an ähnlicher Stelle etwa. Die Zeit bis zur Klärung war aufregend. Ich bekam eine Ahnung dessen, was diese Kinder durchmachen.

Hatten Sie sich denn heimlich gewünscht gehabt, Anja wäre Ihre Tochter?

Klein: Schwer zu sagen. Vor allem habe ich mir vermutlich gewünscht, dass diese Anspannung nachlässt. Mit einem Mal war mir die Dimension meines damaligen Handelns bewusst geworden. Ich empfand viele neue Gefühle wie Scham, Trauer, aber auch Schuldgefühle gegenüber den Kindern, die ich quasi ausgesetzt hatte. Ich konnte das nicht so stehen lassen, wollte das auflösen.

Wie sind Sie mit diesen Gefühlen dann weiter umgegangen?

Klein: Ich glaube, mein Engagement für den Verein „Spenderkinder“ hat mir geholfen. Die vielen Gespräche mit Betroffenen, auf beiden Seiten. Und ich habe auch schon Treffen zwischen Spenderkindern und ihren Vätern begleitet. Den Spenderkindern gegenüber versuche ich, meine Perspektive zu vermitteln und ihnen Mut zuzusprechen - viele sind meiner Erfahrung nach in ihrem Auftreten schüchtern, fast devot. So, als gehöre sich das nicht, was sie da tun.

Völliger Blödsinn! Und ob sich das gehört. Immerhin sind diese Menschen die einzigen, die nicht gefragt wurden. Alle anderen Akteure im Prozess haben bewusst entschieden: die sozialen Eltern, die eine Familie gründen wollten. Der Arzt, der Geld verdienen wollte. Der Spender, der ebenfalls Geld bekam und im ein oder anderen Fall vielleicht zusätzlich Genugtuung.

Inwiefern Letzteres?

Klein: Ich habe Männer kennen gelernt, die mit dem Gedanken, viele Kinder zu haben, kokettieren. Nach dem Motto: Von mir darf es ruhig mehr geben. Nicht, dass das ein generelles Muster wäre. Die Spender, die ich kennen gelernt habe, sind ganz unterschiedlich. Gleich ist immer nur eines: die Gelackmeierten, das sind am Ende die Spenderkinder. Einen tiefen Einblick bekam ich über Britta, meine Tochter, die ich 2019 über die Datenbank gefunden habe.

Ist es bei diesem einen Treffer geblieben?

Klein: Bis heute ja. Es überrascht mich selbst, dass sich in den sieben Jahren, seit meine Gene nun schon in den USA lagern, so wenig ergeben hat. Allerdings kann sich natürlich jederzeit noch was tun.

Ist Britta Ihnen ähnlich?

Klein: Bei ihr ist es wirklich unglaublich. Ich sah ein Bild von ihr und dachte: genau wie meine Mutter, in jungen Jahren. Die Kontaktaufnahme war schnell und emotional. Britta lebt wie ich in München, wir trafen uns mit ihrem Freund, meiner Frau und unseren Söhnen, bereits einen Tag nach dem Match. Als wir aufeinander zutraten und uns umarmten, lag eine magische Stimmung in der Luft. Diesen Moment vergesse ich nie. Aber natürlich gab es auch viele Fragen. Würden wir uns sympathisch sein? Konnte sich daraus eine tiefere Verbindung entwickeln?

Und?

Klein: Was soll ich sagen. Gut vier Jahre sind seitdem vergangen, und wir sind mittlerweile sehr eng zu einer erweiterten Familie zusammengewachsen. Es gab einige Aufs und Abs. Auch Streitigkeiten. Wie in einer ganz normalen Familie eben. Vom Wesen her sind wir uns ähnlich. Verblüffend ähnlich. Erst gestern wieder: Britta hat mich mit zu einer Klangschalenmeditation mitgenommen. Ihr habt so eine Verbundenheit, ihr schwingt so schön miteinander, meinte die Leiterin. Wir mussten lachen. Natürlich schwingen wir, sind wir verbunden.

Wir sind nicht nur wie Vater und Tochter, wir sind Vater und Tochter. Ist das nicht unglaublich? So ähnlich sage ich es den Spendern, die mit mir in Kontakt treten. Da sind diese Kinder, du hast sie nicht großgezogen, du hast nichts für sie getan und trotzdem kommen sie. Für mich ist das ein Geschenk. Allerdings ist die Beziehung zwischen Britta und mir schon eine besondere Situation…

Wieso das?

Klein: Ihr sozialer Vater hat die Familie verlassen als Britta vier Jahre alt war. Sie ist also quasi ohne Vater aufgewachsen und ich konnte nach 30 Jahren zumindest teilweise diese im doppelten Sinne schmerzhafte Lücke wieder füllen. Soziale Väter müssen sich also nicht grundsätzlich Sorgen machen, die von Ihnen liebevoll großgezogenen Kinder später an den Spender zu verlieren.

Alles in allem klingen Sie nicht so, als würden sie die Samenspende bereuen.

Klein: Nein, das tue ich nicht. Aber die Heimlichtuerei und wie das Ganze abgelaufen ist, schmerzt. Es ist fatal, eine Samenspende zu verschweigen. Besser wäre der offene Umgang mit dem Kind. Von Anfang an.

Hier hilft die aktuelle Rechtslage den Spenderkindern, richtig?

Klein: Ja, das Prozedere läuft heute deutlich regulierter als bei mir damals. Heute muss jeder Spender registriert werden. Es gibt eine Bundesdatenbank dafür. Spenderkinder haben inzwischen einen Rechtsanspruch auf das Wissen um ihre Herkunft. Wenn sie 16 sind, können sie erfragen, wer der Vater ist.

Es waren die Spenderkinder selbst, die das erklagt haben. Das Samenspender-Register gibt es seit Juli 2018 in Deutschland und sichert auch dem Spender Rechtssicherheit zu: Er darf nicht durch irgendwelche Forderungen belangt werden. Das Einzige, was ihm passieren kann, ist, dass nach 16 Jahren ein Anruf kommt…

Hat sich mit dem neuen Gesetz das Leid der Spenderkinder insgesamt verringert?

Klein: Wie man’s nimmt. Für die Altspender gelten all diese Regularien, die Spenderkinder ein Recht auf Wissen der Herkunft zusichern zwar auch. Sie können sich aber, wegen der durch die meisten Inseminationsärzte nach wie vor aufrecht erhaltenen Anonymität weiter wegducken. Aber ich bin sicher: Vielen geht es ähnlich wie damals mir. Irgendetwas rumort im Inneren. Daher kann ich nur an diese Leute appellieren: Traut euch aus der Deckung.

Tut es für eure Kinder.

Und für euch.

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