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„Hühner sprechen über Menschen – so wie wir über sie“

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Hühner.
Hühner. © Photocae

Flirtende Kalmare, plaudernde Fledermäuse: die Philosophin und Schriftstellerin Eva Meijer über die Sprachen der Tiere.

Frau Meijer, haben Sie Haustiere?
Ich lebe mit zwei rumänischen ex-streunenden Hunden zusammen, Doris ist zwei Jahre und Olli ungefähr elf Jahre alt. Olli isst gerne – sein Lieblingsessen ist Kürbis – und schläft auf der Couch; Doris geht gerne zur Hundeschule und macht lange Spaziergänge. Davor habe ich bereits mit Hunden, Katzen, Meerschweinchen und Pferden zusammengelebt.

In Ihrem Buch „Die Sprachen der Tiere“ beschäftigen Sie sich mit den verschiedenen Kommunikationsformen von Tieren. Können Sie sich an den Moment erinnern, als Sie zum ersten Mal bemerkt haben, dass ein Tier auf andere Weise etwas mitteilen kann, als durch Bellen, Quieken oder Schwanzwedeln?
Es geht nicht darum, ob sie mehr Möglichkeiten zur Kommunikation haben, sondern eher darum, wie wir die Bedeutung ihrer Kommunikation interpretieren sollten – ob sie bellen oder die Farbe wechseln oder Düfte verwenden oder Gesten oder etwas anderes machen – und was das für unser Denken über Sprache bedeutet. Jüngste Forschungsergebnisse zeigen, dass andere Tiere – denn natürlich sind auch wir Menschen Tiere, es gibt keinen biologischen Gegensatz – auf komplexe Weise kommunizieren. Manchmal ähnelt es der menschlichen Sprache, manchmal nicht. Auf der einen Seite erzählt uns das etwas über ihr Innenleben, auf der anderen Seite fordert es die Sichtweise heraus, dass Sprache etwas rein Menschliches ist. Ich bin mit Pferden aufgewachsen, und in der Mensch-Pferd-Interaktion ist zum Beispiel die Berührung sehr wichtig. Im Umgang mit anderen Tieren lernen wir, dass es viele Möglichkeiten gibt, einander zu verstehen.

Gab es denn mal einen ganz persönlichen Moment, in dem eines Ihrer Tiere Sie mit seinen kommunikativen Fähigkeiten verblüfft hat?
Nein, nicht wirklich. Es war einfach so normal für mich, mit anderen Tieren zu interagieren. Ich habe bemerkt, dass Stadttiere, die in Schwierigkeiten stecken – denen begegne ich oft – manchmal verstehen, dass man ihnen helfen will. Ich habe zum Beispiel einmal einem Schwan geholfen, der hinter einem Boot feststeckte, und er oder sie war wirklich geduldig und dankbar. Sogar Fliegen, die in Spinnennetze fliegen, scheinen das zu verstehen.

Unterhalten sich Tiere eigentlich miteinander, tratschen sie auch? Oder informieren sie sich nur über existenzielle Themen wie Nahrung, Feinde und Fortpflanzung?
Obwohl die Erforschung nichtmenschlicher Tiersprachen immer noch ein unterentwickeltes Feld ist, wissen wir, dass ihre Kommunikation weit über die von Ihnen erwähnten Grundlagen hinausgeht. Delfine, Papageien und Fledermäuse zum Beispiel haben Namen. Fledermäuse plaudern gern: Sie streiten miteinander und sprechen über die, die gegangen sind. Bestimmte Wale singen Liebeslieder, die über 20 Stunden dauern. Bienen beratschlagen sich mithilfe von Tanz und Geruch. Hunde können viele menschliche Wörter verstehen. Karibische Riffkalmare sprechen, indem sie die Farbe ihres Körpers ändern.

Faszinierend! Wie machen die das?
Sie benutzen Zellen in ihrer Haut, die ihre Farbe ändern können, wodurch Muster entstehen, die sich schnell verändern und alle ihre eigene spezifische Bedeutung haben.

Kennt man denn die Bedeutung der verschiedenen Farben?
Wissenschaftler haben die Bedeutung einiger Muster entschlüsselt, aber die Forschung steckt da noch in den Anfängen. Wir wissen, dass die Muster als eine Art Sprache funktionieren und dass die Tiere zum Beispiel die verschiedenen Seiten ihres Körpers benutzen können, um mit unterschiedlichen Individuen zu sprechen. Sie können zum Beispiel mit einer Seite ihres Körpers flirten und mit der zweiten andere warnen, damit sie wegbleiben.

Was ist die überraschendste Entdeckung, auf die Sie bei Ihren Untersuchungen gestoßen sind?
Der US-amerikanische Tierverhaltensforscher Con Slobodchikoff hat die Sprache der Präriehunde intensiv erforscht, die zum Beispiel menschliche Eindringlinge im Detail beschreiben und nicht nur deren Größe und Geschwindigkeit benennen, sondern auch Details wie die Farbe ihrer Haare und ihres T-Shirts und ob sie Gegenstände wie einen Regenschirm oder eine Waffe tragen.

Wie machen die Tiere das? Und wie lässt sich das entziffern?
Mit einer Art Quietschgeräusch. Tiergeräusche werden mit Tonaufzeichnungen untersucht, die digital verglichen werden können, und mit Videomaterial, das ihr Verhalten zeigt. Wenn also jemand wiederholt ein gelbes T-Shirt trägt, wird der Ton für Gelb angezeigt und so weiter. Interessant sind auch Vogelsprachen, Sie haben sogar eine eigene Grammatik.

Wie komplex ist diese Grammatik?
Das wissen wir noch nicht.

Erzählen sich die Tiere auch Geschichten aus der Vergangenheit?
Menschenaffen, die die Gebärdensprache gelernt haben, wie der kürzlich verstorbene Gorilla Koko, können uns Geschichten aus ihrer Vergangenheit erzählen. Das ist allerdings noch nicht sehr gut erforscht. Die meisten Tiere müssen aus ihrer Vergangenheit lernen, um zu überleben, daher gibt es eine Kommunikation darüber.

Kennen Tiere auch so etwas wie Höflichkeitsfloskeln?
Ja, in dem Buch beschäftige ich mich mit Liebesliedern und Tänzen zahlreicher Arten. Albatrosse tanzen zum Beispiel mit verschiedenen Partnern in der Paarungszeit, ab einem Alter von etwa fünf Jahren, wenn sie bereit sind, sich zu paaren. Sie verfeinern ihre Tänze jedes Jahr, und die Anzahl der Partner, mit denen sie tanzen, nimmt ab, bis schließlich ihr Lebenspartner übrigbleibt. Und sie leben lange, die ältesten lebenden Albatrosse, von denen wir wissen, sind 67 Jahre alt. Jedes Paar hat seinen eigenen speziellen Tanz.

Gibt es ein Tier, dessen Kommunikationsfähigkeit Sie so sehr überrascht hat, dass es Ihre Denkweise grundlegend verändert hat?
Viele Menschen haut das oben erwähnte Beispiel von den Präriehunden um, aber es gibt ganz viele Tiere, die auf schöne und komplexe Weisen kommunizieren, von denen wir aber oft sehr wenig wissen. Was meine Denkweise über nichtmenschliche Tiersprachen am meisten verändert hat, waren die Einsichten des Philosophen Ludwig Wittgenstein, der vorschlug, die Sprache als eine Reihe von Sprachspielen zu betrachten, in denen Worte, aber auch Gesten und andere Ausdrücke eine Rolle spielen können. Er argumentiert, dass Sprache ihre Bedeutung in einem bestimmten sozialen Kontext gewinnt. Über Tiersprachen und Sprachen zwischen den Spezies als Sprachspiele nachzudenken, hat mir geholfen zu verstehen, dass Sprache mehr ist als nur menschliche Wörter.

Wenn es also möglich ist, mit der Hautfarbe, mit Geruch, mit Tanz zu sprechen, scheint unser gängiges Verständnis von Sprache tatsächlich sehr begrenzt zu sein.
Allerdings. In der westlichen Philosophie wird Sprache normalerweise mit menschlicher Sprache gleichgesetzt. Diese Sichtweise war auch in der Tierforschung lange Zeit vorherrschend. Die frühe Sprachforschung an nichtmenschlichen Primaten und Delfinen konzentrierte sich zum Beispiel auf ihre Fähigkeit, menschliche Sprache zu lernen – zunächst in Form gesprochener Sprache und dann in Form von Gebärdensprache. Das hat sich inzwischen geändert, Wissenschaftler konzentrieren sich jetzt auf artenspezifische Sprachen. Die Erforschung des Innenlebens anderer Tiere – Emotion, Kognition – und ihrer Kulturen liegt gerade im Trend. Diese empirische Forschung wirft die philosophische Frage auf, was Sprache eigentlich ist. Von vielen Philosophen wurde ja Sprache lange Zeit als das bestimmende Merkmal des Menschen angesehen, daher hat die Bedeutung der Sprache anderer Tiere auch Auswirkungen darauf, wie wir unsere Position im Tierreich verstehen.

Glauben Sie eigentlich, dass jedes Tier die Fähigkeit hat zu sprechen?
Alle sozialen Tiere kommunizieren, es hängt von ihrer Physiologie und Umwelt ab, wie sie das machen, und von unserer, ob wir sie verstehen können. Zwischen Menschen und domestizierten Tieren, die sich mit Menschen entwickelt haben, gibt es viel Verständnis. Zwischen Menschen und anderen Arten könnte es weniger sein.

Wie stark hängt die Komplexität der Kommunikationsmethoden von der Intelligenz ab?
Durch das Studium ihrer Sprachen können wir Einblicke in die sozialen Beziehungen zwischen nichtmenschlichen Tieren und zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren gewinnen. Darüber hinaus können wir auch etwas über andere Fähigkeiten erfahren, die sie haben. Wenn Hühner über ihre Menschen sprechen und sie benennen, wird klar, dass sie genauso über uns nachdenken wie wir über sie. Ihre Lebenswelten sind viel reicher als Menschen oft denken. Das gilt auch für ihr emotionales und kognitives Leben. Dies hat auch ethische und politische Relevanz. Menschen verwenden nichtmenschliche Tiere in großer Zahl in der Landwirtschaft und in Tierversuchen. Wir wissen jetzt und erfahren immer mehr darüber, dass viele andere Tiere über ihr Leben reflektieren, über ihre Vergangenheit und Zukunft nachdenken, Beziehungen haben, die ihnen wichtig sind, komplexe emotionale Leben führen, und wir sollten diese Einsichten verwenden, um unser Verhältnis zu ihnen neu zu formulieren.

Glauben Sie, dass es möglich ist, die menschliche Perspektive zu vermeiden oder zu minimieren, wenn wir die Intelligenz und das Verhalten von Tieren interpretieren?
Menschen sind immer an ihre eigene Perspektive gebunden, nicht nur als Spezies, sondern auch in Bezug auf Geschlecht, Klasse, Alter und andere Faktoren. So wie wir Beziehungen zu anderen Menschen haben können, in denen wir uns gegenseitig beeinflussen und Verständnis gewinnen, koexistieren wir auch – als Gemeinschaften und Individuen – und entwickeln uns – als Spezies – mit anderen Tieren. Während die Zugehörigkeit zu einer Spezies das beeinflusst, was Sie wahrnehmen können, ist es nur ein Faktor in der Existenz. Ein gutes Beispiel sind die Beziehungen zwischen Hund und Mensch. Hunde nehmen die Welt hauptsächlich olfaktorisch, also durch Geruch wahr und Menschen visuell. Aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte zeigt die Forschung, dass Hunde und Menschen einander sehr gut verstehen. Menschen können die Bedeutung von Hundebellen aus einer Aufzeichnung verstehen und Hunde können die Stimmen und Gesichter von Menschen lesen, sowie die Bedeutung vieler Wörter verstehen.

Sie hören also nicht nur auf den Klang von Stimme, sondern auf die Worte?
Genau. Das geht sogar bis auf die Ebene der Gene: Wenn sich Menschen und Hunde, die sich lieben, in die Augen schauen, produzieren sie Oxytocin, das Kuschelhormon, ähnlich wie wenn Liebende einander in die Augen schauen oder Eltern in die ihrer Babys. Allgemeiner gesagt, Menschen haben sich nicht in einem Vakuum entwickelt. Wir teilen Emotionen, kognitive Attribute und andere Eigenschaften mit vielen anderen Tieren. Wissenschaftler hatten lange Angst vor Anthropomorphismus – davor, dass sie anderen Tieren menschliche Eigenschaften zusprechen. Aber das Gegenteil verzerrt auch unsere Wahrnehmung und basiert auf der Ideologie des Menschen als überlegene Spezies.

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