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Aufmüpfiger Ahnherr

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Huldigung des Kaisers: der Frankfurter Römer 1745.
Huldigung des Kaisers: der Frankfurter Römer 1745. © dapd

Eine literarische Entdeckung: Der Frankfurter Johann Kaspar Riesbeck bereiste Ende des 18. Jahrhunderts das vorrevolutionäre Europa. Das Werk des Ahnherrn des politischen Reisjournalismus ist in einer prächtigen Ausgabe der "Anderen Bibliothek" erschienen.

Eine literarische Entdeckung: Der Frankfurter Johann Kaspar Riesbeck bereiste Ende des 18. Jahrhunderts das vorrevolutionäre Europa. Das Werk des Ahnherrn des politischen Reisjournalismus ist in einer prächtigen Ausgabe der "Anderen Bibliothek" erschienen.

Eine literarische Entdeckung: Der Frankfurter Johann Kaspar Riesbeck, der Ende des 18. Jahrhunderts als kritischer Chronist das vorrevolutionäre Europa bereiste. Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz stellen sein neu herausgegebenes Buch morgen in Frankfurt vor.

Mit diesem prächtigen Buch, mit seinen 750 Seiten, geschmückt mit zahlreichen Reproduktionen von Gemälden und Grafiken, lässt sich eine Zeitreise antreten. Es geht ins 18. Jahrhundert, in das Europa kurz vor der Französischen Revolution von 1789. Es gärt allenthalben, es lässt sich ahnen, dass sich da ein Aufstand unter der Decke fürstlicher Repräsentation anbahnt. Und manches in diesem schönen Band der „Anderen Bibliothek“ kommt einem merkwürdig gegenwärtig vor – etwa, wenn es um den verschwenderischen Stil von Kirchenfürsten geht ...

Der Autor dieser ersten europäischen Reise-Chronik ist eine absolute Entdeckung von Heiner Boehncke und Hans Sarkowicz, den beiden literarischen Detektiven, denen wir schon so manchen Fund zu verdanken haben. Dieses Mal stießen sie auf Johann Kaspar Riesbeck, 1754 in Höchst geboren. Sohn eines Schnupftabakfabrikanten, wie Boehncke erzählt. Und ein durchaus aufmüpfiger Charakter.

1783 veröffentlichte Riesbeck nicht unter seinem Namen, sondern nur mit dem Kürzel K.R. einen zweibändigen Reisebericht: Die „Briefe eines Reisenden Franzosen über Deutschland an seinen Bruder zu Paris“. Trotz dieses länglichen Titels geriet das Buch rasch zu einem frühen Bestseller – seines Inhalts wegen. Denn Riesbeck verpackte in die Form der Reisereportage eine Kritik der herrschenden Verhältnisse. Mit viel Ironie geschrieben.

Spott über reichen Bischof

Er war Gründungsredakteur der Zürcher Zeitung gewesen, die heute noch existiert. Allerdings waren seine Texte dort schon so frech, dass er nach zwei Jahren seine Stelle verlor. Und sein Buch, in dem er sich in die Maske eines Franzosen begab, wurde in den meisten europäischen Staaten sofort verboten.

Und kursierte fortan im literarischen Untergrund. Warum? Am besten ist es, einmal eine Kostprobe zu zitieren. Es geht um Bruchsal, „ein artiges Städtchen“, wie Riesbeck schreibt, und den Fürstbischof. „Er soll kein Frauenzimmer ansehen können ohne in Versuchung zu kommen auszuspeien. In seiner Jugend soll er über diesen Punkt anders gedacht haben“, so stellt uns der Schriftsteller den Fürstbischof vor. Und weiter: „Seine jährlichen Einkünfte belaufen sich, wie man sagte, beinahe auf 300 000 Gulden, oder etwas über 600 000 Livres, und er ist bei weiten keiner der reichsten Bischöfe Deutschlands.“

Für damalige Verhältnisse waren solche Sätze ungeheuerlich. Riesbeck hatte Deutschland, Österreich, Ungarn und Tschechien bereist. Und dann seine Schilderung in 73 Briefe gekleidet. Es gelang ihm sogar, Menschen zu besuchen, die wegen Protests gegen die Obrigkeit in Gefängnissen saßen.

Seit der Erstausgabe von 1783 ist der Text „nie wieder vollständig erschienen“, so der Literaturwissenschaftler Boehncke. Johann Wolfgang Goethe, der fünf Jahre vor Riesbeck geboren worden war, hat das Buch gekannt und sich bei seiner Reise nach Italien darauf bezogen. „Ich nehme eine andere Route als der reisende Franzose“, schrieb er damals.

Kritische Berichte

Zwei Jahre lebte Riesbeck allein in Wien, bevor er später in die als freiheitlich geltende Stadtrepublik Zürich wechselte. Schon dort schmuggelte er in die Zürcher Zeitung Berichte, die sich über den Adel und die Fürstenhöfe lustig machten. Am 13. Februar 1782 etwa berichtete er über den französischen Königshof: „Der König hat den Marquis de la Fayette auf die ausgezeichneste Art empfangen, und so wie der ganze Hof mit Schmeicheleyen überhäuft. Madame de la Fayette konnte am Tag seiner Ankunft wegen dem unbeschreiblichen Gedränge der Kutschen nicht gleich zu ihm kommen. Im Taumel der Entzückung konnte sich diese Dame kaum aufrecht halten.“ Der französische Gesandte in Zürich war überhaupt nicht amüsiert.

Boehncke und Sarkowicz haben viele Quellen in städtischen und Landesarchiven ausgewertet und viel Arbeit auf das Beschaffen der zeitgenössischen Illustrationen verwandt. Neben den 600 Seiten des Originaltextes, dessen Sprache „behutsam modernisiert“ wurde, gibt es einen 150 Seiten starken Anhang mit einer von Boehncke und Sarkowicz erarbeiteten Biografie Riesbecks, zahlreichen Anmerkungen und einem Nachwort des Bremer Literaturwissenschaftlers Wolfgang Griep über sozialkritische Reisebeschreibungen des späten 18. Jahrhunderts.

Mit nur 32 Jahren ist Riesbeck am 8. Februar 1786 an Tuberkulose gestorben. Er bleibt der Ahnherr des politischen Reisejournalismus. Seine Frankfurter Premiere erlebt sein Buch jetzt in der Romanfabrik.

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