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Minutenlanger Beifall für Daniel Cohn-Bendit

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Daniel Cohn-Bendit (rechts) mit OB Feldmann.
Daniel Cohn-Bendit (rechts) mit OB Feldmann. © Rolf Oeser

Daniel Cohn-Bendit hält in der Paulskirche in Frankfurt eine bewegende Rede zum Einheitstag. Er fordert einen Boykott der Fußball-WM in Russland.

Am Ende seiner Rede deutet Daniel Cohn-Bendit lächelnd eine Verbeugung an, die fast 1000 Menschen in der Frankfurter Paulskirche springen auf zu minutenlangem Beifall, es setzt „Bravo“-Rufe, und OB Peter Feldmann eilt zur Umarmung auf das Podium. Kaum je zuvor ist bei einer Feierstunde zur Deutschen Einheit in diesem Kuppelbau ein so bewegender, zugleich aber auch politisch engagierter Vortrag zu hören gewesen.

„Die Überwindung der Nationalstaaten ist die Voraussetzung für unsere Zivilisation“, diese Botschaft gibt der Politiker dem Publikum mit auf den Weg. Nationalstaaten könnten die großen Herausforderungen wie den Klimawandel nicht bewältigen. „In 20 oder 30 Jahren wird Frankreich in einer globalen Welt die Bedeutung von Andorra haben und Deutschland die von Luxemburg.“

In einer Stunde zieht der 71-Jährige kritische Zwischenbilanz zum Befinden Europas und Deutschlands. Immer wieder vom Beifall unterbrochen. Nur einige Politiker der CDU und der FDP sind ferngeblieben, nachdem die CDU dem langjährigen Europapolitiker unterstellt hatte, er besitze eine ungeklärte „pädophile Vergangenheit“.

Der Grüne zitiert Bundeskanzlerin Angela Merkel und US-Präsident Barack Obama: „Ja, wir werden es schaffen! und „Yes, we can!“ Dafür aber müsse Deutschland endlich „europäisch denken“. Der frühere Studentenführer fordert einen europäischen Boykott der geplanten Fußball-Weltmeisterschaft 2018 in Russland, wenn nicht sofort die Bombenangriffe gegen die syrische Stadt Aleppo eingestellt würden. „Wo ist die Friedensbewegung gegen das Bomben in Aleppo?“, fragt er.

Der langjährige Fraktionschef der Grünen im Europäischen Parlament schlägt vor, das Geld für das europäische Bildungs- und Jugendprogramm Erasmus zu verzehnfachen. Er verlangt die Bildung einer europäischen Armee, um die nationalen Militäreinheiten überflüssig zu machen. Zwei Prozent seines Bruttosozialprodukts solle jeder Staat der Europäischen Union in einen Förderetat einzahlen, um ein gemeinsames Sozialprogramm zu ermöglichen. So stünden zwischen 80 und 100 Milliarden Euro zur Verfügung, um die Ungerechtigkeiten in Europa anzugehen. Er sieht die Zukunft in einem kleineren „Kern-Europa“, um das sich „privilegierte Partner“ gruppieren.

Er zeigt sich „entsetzt“ über das Verhalten der Regierungen von Ungarn und Polen, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen – und erfreut darüber, dass es für das aktuelle Referendum in Ungarn nicht die nötige Mehrheit gab: Die Bevölkerung habe Ministerpräsident Viktor Orban „die rote Karte gezeigt“.

Dany wäre nicht Dany, würde er nicht sein Auditorium immer wieder duzen: „Wisst ihr was?“, ruft er, und dann folgt wieder eines seiner temperamentvollen Satz-Stakkatos. Einmal bricht Cohn-Bendit in Tränen aus: Als er den verheerenden Terroranschlag von Nizza erwähnt, kann er kurz mal nicht mehr weitersprechen. OB Feldmann eilt mit einem Taschentuch auf die Bühne, der Grüne fängt sich wieder.

Cohn-Bendit widerspricht Günter Grass

Er nennt die untergegangene DDR „eine totalitäre Diktatur“ und widerspricht Günter Grass, der von einer „kommoden Diktatur“ gesprochen hatte: „Das bezweifle ich, die Toten an der Mauer zeugen vom Gegenteil.“ Am 9. November 1989 habe er als „sozialrevolutionärer Romantiker“ den Fall der Mauer begrüßt. Doch Cohn-Bendit zeigt sich skeptisch, dass der Satz „Wir sind ein Volk“ heute in Deutschland gelte.

Immer wieder gibt es sehr emotionale Momente – etwa, als der Grüne an den französischen Staatspräsidenten François Mitterrand erinnert, der als todkranker Mann im Europaparlament in seiner letzten Rede gewarnt habe: „Nationalismus bedeutet Krieg.“

OB Feldmann heißt Cohn-Bendit mit den Worten willkommen: „Es ist schön, Dany, dass Du da bist.“ Der Sozialdemokrat verurteilt die Todesdrohungen gegen den Grünen im Internet im Vorfeld des 3. Oktober und dankt der FR dafür, dass sie darüber berichtet hat.

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