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Bezahlbares Wohnen - bezahlbare Lebensqualität

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Das war im November 1990: Die Polizei räumt besetzte Häuser in der Mainzer Straße, Friedrichshain. Heute regt sich im Viertel kaum noch Widerstand gegen die Gentrifizierung.
Das war im November 1990: Die Polizei räumt besetzte Häuser in der Mainzer Straße, Friedrichshain. Heute regt sich im Viertel kaum noch Widerstand gegen die Gentrifizierung. © imago

Preiswerte Wohnungen, Raum für Neues mitten in der Stadt und ein wenig zersiedeltes Umland – dieses besondere Erbe hat den Berlinern die Teilung der Hauptstadt hinterlassen. Dieses Erbe muss man jetzt gegen Immobilienspekulanten und Kapitalanleger verteidigen, meint unsere Gast-Autorin.

Von Franziska Eichstädt-Bohlig

Bereits in der Gründerzeit wurden mit dem guten öffentlichen Verkehrsnetz und viel Grün kluge Entscheidungen für Berlins Zukunft gestellt. Auch die „Berliner Mischung“ gehört dazu. Mit der Städtebauförderung wurde den alten Mietskasernen seit 1970 neues Leben eingehaucht, erst im Westen, dann im Osten. Auch die Großsiedlungen an den Stadträndern wurden erneuert. So verdanken wir die heutigen Qualitäten wichtigen Weichenstellungen aus unterschiedlichen Zeiten.

Nach dem Metropolenrausch der Vereinigungsjahre wurde Berlin zur stagnierenden Stadt, wirtschaftsschwach, hoch verschuldet, Hauptstadt der Arbeitslosigkeit und der Kinderarmut. Auch der Hauptstadtzuzug konnte der Stadt nur wenig neue Wirtschaftskraft einflößen. Die Berliner Armut war aber prall gefüllt mit Vitalität und innovativer Lebenskultur. Die Brüche der Teilung und preiswerter Raum für Wohnen, Arbeiten und kulturelle Initiativen haben einen wunderbaren Zustrom von kreativen und experimentierfreudigen Menschen aus aller Welt erzeugt.

Clubs, Galerien, Tanz, Theater, Offkultur neben lukrativer Medien-, Musik- und Modewirtschaft haben die beiden alten Berlins verwandelt. Junge Urbaniten und Baugruppen schufen neue Wohnprojekte. So entstand das neue Berlin, das weltweit den Ruf einer offenen, modernen Metropole hat und immer mehr Touristen anzieht. Doch dieses neue Berlin ist fragil. Während Politik und Wirtschaft kräftig Kapital aus der Kreativwirtschaft schlagen wollen, müssen die Kreativen ihre Clubs und Literaturcafés schon wieder schließen und die Stadt verlassen. Denn die globalen Kapitalanleger und Projektentwickler kommen seit der Bankenkrise in Scharen hierher.

Die Angst vor Wertverlusten treibt auch die Besitzer von kleinen und mittleren Vermögen in Immobilienanlagen. Von 2010 auf 2011 ist der Umsatz für Büro- und Geschäftshäuser um 53 Prozent gestiegen, der Umsatz für Wohn- und Teileigentum um 24 Prozent. Die Kaufpreise für Wohnungen erhöhten sich im Jahr 2011 um 9,5 Prozent, Tendenz weiter steigend.

In den letzten Jahren ist aus dem stagnierenden Berlin ein wachsendes Berlin geworden. Die Wirtschaftskraft steigt, die Erwerbstätigkeit nimmt zu. Die Arbeitslosigkeit ist auf 13 Prozent gesunken, auch wenn Berlin immer noch zu den Schlusslichtern auf dem deutschen Arbeitsmarkt gehört. Anders als vorausgesagt wächst auch die Einwohnerzahl, allein in den Jahren 2010 und 2011 um 57 000 Einwohner.

Sehr viel geringer aber wachsen die Einkommen der Berliner. Sie liegen 17 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt und steigen nur mäßig. Berlin ist nach wie vor Hauptstadt der Niedriglöhne, der Teilzeitbeschäftigung und Minijobs.

Nach den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen der Länder wuchsen die Arbeitnehmerentgelte in Berlin zwischen 2001 und 2008 nur um insgesamt 1,6 Prozent. Die Mietspiegelmieten sind aber im Schnitt um 2,5 Prozent jährlich gestiegen, die Warmmieten noch viel mehr. Die frei vereinbaren Neuvertragsmieten treiben das gesamte Mietniveau ständig weiter hoch. Dabei sind nach dem IBB-Wohnungsmarktbericht 58 Prozent der Berliner Haushalte sozialwohnungsberechtigt.

Berlin als „bezahlbare Metropole“

Der wirtschaftliche Aufholprozess Berlins ist gut und notwendig. Berlin braucht sicher auch Global Player und Investoren. Die aktuelle Immobilienspekulation zielt aber überwiegend auf leistungslose Profite durch Eigentumsumwandlung und auf Investitionen in Überangebote an Luxuswohnungen, Einzelhandelszentren, Büroflächen und Hotels.

Berlin als „bezahlbare Metropole“ zu erhalten, muss ein Kernanliegen verantwortlicher Politik sein, um die Lebenshaltung der vielen Haushalte mit niedrigem Einkommen zu sichern und um den Gärteig junger kreativer Menschen weiter an die Stadt zu binden. Nun sind die politischen Handlungsmöglichkeiten begrenzt, und sozialverträglichen Wohnungsbau stampft man nicht aus dem Boden, schon gar nicht, wenn das Geld dafür in der alten falschen Wohnungsbauförderung gebunden ist. Aber gerade, weil die Spielräume klein sind, müssen alle Instrumente genutzt werden.

Es gilt, allen Investoren zu zeigen, dass Berlin die wirtschaftlichen Ziele von Eigentum und Hausbau konsequent mit dem sozialen Ziel verbindet, eine Stadt mit bezahlbarer Lebensqualität zu bleiben.

Ein kluger Senat müsste als erstes ein Bündnis der großen deutschen Städte schmieden, um in das Mietrecht einige wichtige Bremsen einzubauen. Denn München, Hamburg, Frankfurt am Main, Köln und Düsseldorf leiden unter dem Druck der aktuellen Miet- und Kaufpreissteigerungen mehr als Berlin.

Nur wenn die großen Städte den Bund gemeinsam unter Druck setzen, können sozial verträgliche Limits für Neuvertragsmieten, für die Kappungsgrenze bei Mieterhöhungen, für die Modernisierungsumlage und für die den Mietspiegel bestimmenden Faktoren durchgesetzt werden. Dies ist die zentrale Voraussetzung, um die aktuellen Gewinnerwartungen im Immobilienhandel auf ein vernünftiges Maß zurück zu führen.

Da Neubau teurer ist als das Bewirtschaften von Bestandswohnungen, müssen auch alle landesrechtlichen Hebel zum Erhalt der Bestände genutzt werden. Vordringlich ist eine neue Zweckent- fremdungsverbotsverordnung, die gegenüber Leerstand, Abriss, Umwandlung in Gewerbe und Fremdenverkehrswohnungen wirkt. Hier ist Eile geboten, denn keine der bereits zweckentfremdeten Wohnungen kann zurückgeholt werden!

Die landeseigenen Wohnungsgesellschaften müssen ihre Verantwortung für soziales Wohnen verbindlicher wahrnehmen als bisher. Sie müssen mithelfen, Lösungen für die stark überteuerten Sozialwohnungen der Achtziger- und Neunzigerjahre zu finden. Und sie müssen lernen, neue bezahlbare Wohnungen – zum Beispiel mit Selbsthilfe – zu bauen. Vielleicht brauchen wir auch ein neues Wohnungsgemeinnützigkeitsgesetz auf Bundesebene.

Last but not least muss Berlin den Einstieg in ein neues Wohnungsbaufördersystem initiieren. Bislang gehen noch an die 500 Millionen Euro pro Jahr in die Fehlförderung des alten Sozialwohnungsbaus. Erst 2016 wird diese absurde Altschuld auslaufen. Die Grünen schlagen vor, aus den Einnahmen des Liegenschaftsfonds 100 Millionen Euro zum Aufbau eines Sondervermögens „neuer Sozialer Wohnungsbau“ zu nutzen.

Dies muss aber mit der Diskussion über neue Wohnformen und neue Verfahren verknüpft werden. Echte Nutzerbeteiligung ist angesagt. Ich wünsche mir beispielsweise ein Selbsthilfewohnprojekt mit Neuköllner Migrantenfamilien – als Miet- und als Eigentumswohnungen. Das wäre auch ein praktischer Beitrag zur Integration!

Franziska Eichstädt-Bohlig ist Architektin und Stadtplanerin und war bis 2009 Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus.

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