1. Startseite
  2. Kultur
  3. Kunst

Käthe Kollwitz im Städel – Bühnen für wirkliche Menschen

KommentareDrucken

Käthe Kollwitz: Selbstbildnis mit aufgestütztem Kopf, 1889/91. Feder und Pinsel in Sepia auf Bütten. Foto: Käthe Kollwitz Museum Köln
Käthe Kollwitz: Selbstbildnis mit aufgestütztem Kopf, 1889/91. Feder und Pinsel in Sepia auf Bütten. © Käthe Kollwitz Museum Köln

Das Frankfurter Städel widmet den Druckgrafiken von Käthe Kollwitz eine konstruktive Ausstellung.

Der Anspruch, die Dinge so zu zeigen, wie sie eben sind, gehört zu den tollsten Phänomenen in der bildenden Kunst. Denn wie sind sie denn, die Dinge? Und wie kommt man dahin, sie so zu zeigen? Auch wenn es eine stillschweigende Vereinbarung darüber gibt, was damit gemeint ist – das Ungeschönte, Unfrisierte, spontan erfasst, unvermittelt wiedergegeben –, so bleibt es doch ein Behelf. Kann man bei einer Fotografie noch sagen, dass ein Schnappschuss, ein Draufhalten relativ nah am Gegenstand ist (aber hat uns ein Schnappschuss je die letzte Wahrheit erzählt, oder wenigstens die vorletzte?), und lässt sich eine Zeichnung von geschulter Hand zumindest flink hinwerfen, ist spätestens die Druckgrafik ein komplexes und mittelbares Handwerk.

Trotzdem stimmt es, dass viele Arbeiten von Käthe Kollwitz (1867–1945) die Dinge so zeigen, wie sie eben sind. In ihrem Fall heißt das: die Gesichter der Menschen. Sie sind nicht schön oder ihre Schönheit liegt in ihrem ernsten Blick, viele von ihnen haben viel und hart gearbeitet, sie sehen müde, grimmig aus, manche lakonisch, manche aufsässig. Es kommt ihnen nicht darauf an, das zu verbergen. Sie haben andere Probleme. Kollwitz fand viele von ihnen im Umfeld der Berliner Praxis ihres Mannes, der Arzt war und Arbeiterinnen und Arbeiter behandelte. Man würde sie auf der Straße wiedererkennen. Ihre Porträts, so kann man es vielleicht sagen, zeigen Menschen, von denen man sich vorstellen kann, dass es sie gegeben hat. Das ist das Ergebnis langwieriger Arbeit und Bearbeitung.

Sie fing mit sich selbst an. Auch die Ausstellung fängt mit ihr selbst an: ein ganzer Raum mit Selbstporträts (etwa 100 soll es geben). Forschungsarbeiten vor dem Spiegel, eine besonders schöne, ja, schöne Zeichnung zeigt die 21-Jährige, die ihr Kinn tief in die Hand legt, die Lippen locker, der Blick von unten etwas motzig und nur haarscharf nicht kokett (das Bild hat es auf den Katalogumschlag geschafft, und wie Sie sehen, konnten auch wir nicht widerstehen). Käthe Kollwitz heißt da noch Käthe Schmidt, aber sie hat den Namen ihres Mannes, den sie berühmt machte, später hinzugefügt.

Gesten und Haltungen probiert sie an sich selbst aus, ebenso die Bildausschnitte, die zunehmend eine Rolle spielen werden. Auch Fotografien von Kollwitz sind zu sehen, eine bürgerliche Dame im rüschigen Kleid ihrer Zeit. Auch sie wiedererkennbar, aber viel ferner als auf den Zeichnungen. Die Zeichnungen sind immer nah dran, das macht das Medium, das macht aber vor allem die Künstlerin. Sie schaut anderen ins Gesicht und lässt sich selbst ins Gesicht schauen. Ihr Vater, erzählt Kuratorin Regina Freyberger, solle gesagt haben, da seine Tochter nicht hübsch sei, werde ihrer Karriere als Künstlerin nichts im Wege stehen. Ein Irrtum, ein Klischee. Damit aber keine Missverständnisse entstehen: Karl Schmidt war ein liberaler Mann, der die Hochbegabung seiner Tochter förderte.

Auch ist die große Käthe-Kollwitz-Ausstellung, die von heute an im Frankfurter Städel zu sehen ist, keine klassische Wiederentdeckungsschau. Ihr äußerer Anlass besteht darin, dass das Städel einen umfangreichen Kollwitz-Bestand hat. Ihn gilt es durchaus wiederzuentdecken. Es handelt sich um die Sammlung Goedeckemeyer (der Frankfurter Grafiksammler Helmut G., 1898-1983), die von der Stadt 1964 angekauft wurde: mehr als 200 Werke, neben Zeichnungen und Bronzeskulpturen die meisten ihrer in Auflage erschienenen Druckgrafiken, dazu „Zustandsdrucke“, die einen Eindruck vom Arbeitsprozess geben können.

Dass in Themenausstellungen allenthalben auch Kollwitz-Arbeiten zu sehen sind, wundert so wenig, dass es gar nicht weiter auffällt. Dass der damals neue Bestand – eine Säule der Grafischen Sammlung des Hauses – einmal, 1965, gezeigt wurde und dann nie wieder, verblüfft schon eher. Käthe Kollwitz ist möglicherweise zu berühmt. Man denkt, man wüsste alles. Und sie hat früh aufgehört zu malen.

Käthe Kollwitz ist so berühmt, dass man sie, wenn überhaupt, vor ihrem Ruhm schützen muss. Einige Zuschreibungen aufweichen. Eine These dieser Ausstellung ist, dass Kollwitz’ Berühmtheit zugleich den Blick lenkte und verstellte. Dass sie als empathische Mutter gesehen wurde, als sozial engagierte Mitleidende, dass hingegen die ästhetischen Entscheidungen ihrer Arbeit als unterordnet wahrgenommen wurden. Werden.

Kuratorin Freyberger macht zum Beispiel klar: Käthe Kollwitz war weder Mitglied der SPD noch der KP, und sie dachte auch gar nicht daran. Käthe Kollwitz war ein politischer Kopf mit linken Überzeugungen, aber sie ordnete ihre Ästhetik nicht der politischen Plakatkunst unter, die sie im Gegenteil auf ein hohes Niveau brachte. Käthe Kollwitz interessierte sich bereits intensiv für Mütter, Kinder und Tod, bevor ihr eigener Sohn als minderjähriger Freiwilliger wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs fiel. Eine furchtbare, alltägliche Geschichte allerdings. Beide Söhne, Hans und Peter, hatten sich direkt freiwillig gemeldet, der jüngere, Peter, brauchte sogar noch die Genehmigung des Vaters dafür. Selbst die Kollwitzens glaubten in diesen Wochen an einen Verteidigungskrieg, liest man.

Käthe Kollwitz lebte in ihrer Zeit, aber es ist ein interessantes und gezielt verengendes Stereotyp, ihre Kunst auf Autobiografisches zu beschränken. Der Wunsch, die Künstlerin ein wenig handlicher zu machen, ist freilich verbreitet.

Kollwitz startete direkt erfolgreich und unbestritten in ihre künstlerische Laufbahn, von Kollegen bewundert und unterstützt. Und doch, erzählt Freyberger, kam immer wieder einmal die Vermutung auf, sie habe sich auf die Druckgrafik konzentriert, weil sie es in der Königsdisziplin, der Malerei, nicht weit genug gebracht habe. Dem sei nicht so, erklärt Freyberger. Ein einziges Gemälde ist zu sehen (wie nachher auch eine einzige Bronze), Cousine Else, ein perfektes Porträtbild, mattfarbig wie die Grafiken, die ihrerseits nicht beim Schwarz-Weiß bleiben. Die ganze Schau dokumentiert eine künstlerinnenlebenslange Laborsituation.

Langwierige Arbeit und Bearbeitung. Das liegt an der Technik der Druckgrafik, ihren Anforderungen und Möglichkeiten, mit denen Kollwitz intensiv experimentierte – besonders greifbar etwa beim Arbeiten auf „weichem Grund“, das beim Ätzen wie beim Zeichnen Strukturen sichtbar macht, sei es von geripptem Papier, sei es (höchst wirkungsvoll) von Stoff. Das liegt aber auch daran, dass Kollwitz ihre Motive lange verfolgte und allmählich in Szene setzte. Die Ausstellung, die geschickt das Chronologische mitlaufen lässt, obwohl sie thematisch sortiert ist, hat gleich zwei Kapitel, die „Dramaturgie“ heißen: In der Kunst muss das Natürliche und Zwangsläufige entwickelt und inszeniert werden, und Kollwitz war auch darin eine geduldige Meisterin.

Zum Beispiel das Blatt „Beim Dengeln“ aus der Reihe „Bauernkrieg“: die Frau unbestimmten Alters (früh gealtert), die sich sinnierend auf ihre Sense stützt, sie schon ziemlich energisch festhält, in Gedanken versunken. Nicht nur aus dem Zusammenhang der Serie lässt sich leicht denken, dass es der Aufstand ist, der ihr im Kopf herumgeht, und dass er bald heraus will aus ihrem Kopf. Nun kann man sich ansehen, wie Kollwitz das starke, selbstverständlich wirkende Motiv allmählich baute. Mit Zeichnungen, Probedrucken, und wenn sie etwas durchstreicht, kann es trotzdem meisterlich sein, nur eben nicht das, was sie diesmal weiter verfolgen will. Zuerst also Sensen-Skizzen und Frauen, die von einem Nachtmahr angefallen werden. Aber die Idee, sich zu erheben, sollte nicht fremdbestimmt sein.

Jetzt sind es Frauen ohne Gespenst im Nacken, aber ihre Hände ruhen viel zu passiv auf der Sense. Das wird überklebt mit einer zupackenderen Hand. Dann geht die Künstlerin näher ran. Dann geht sie noch näher ran. Der Zoom ist eine Kollwitz-Spezialität, so oft hat man es bei ihr gesehen, dass man es für selbstverständlich nimmt. Die durch Leihgaben weiter angereicherte Schau zeigt Beispiele von Kollegen und Kolleginnen, die auch diesen Punkt deutlich machen.

Im letzten Saal geht es um die Rezeption, über die Jahrzehnte, und unter besonderer Berücksichtigung der west-östlichen Verhältnisse. Nicht das Werk von Käthe Kollwitz hat eine Qualitätsüberprüfung nötig (oder besteht sie, wenn, mit Bravour). Das Publikum aber darf sich erneut fragen, wie es sich zur Kunst von Käthe Kollwitz verhält. Und, untrennbar damit verbunden, zu den Dingen, die ihre Kunst sichtbar macht.

Städel Museum, Frankfurt: bis 9. Juni. Der Katalog (Hatje Cantz) im Museum für 49 Euro.www.staedelmuseum.de

Zwei Studien einer Arbeiterfrau, 1910. Foto: Sammlung David Lachenmann
Zwei Studien einer Arbeiterfrau, 1910. Foto: Sammlung David Lachenmann © Sammlung David Lachenmann

Auch interessant

Kommentare

Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wir erweitern den Kommentarbereich um viele neue Funktionen. Während des Umbaus ist der Kommentarbereich leider vorübergehend geschlossen. Aber keine Sorge: In Kürze geht es wieder los – mit mehr Komfort und spannenden Diskussionen. Sie können sich aber jetzt schon auf unserer Seite mit unserem Login-Service USER.ID kostenlos registrieren, um demnächst die neue Kommentarfunktion zu nutzen.

Bis dahin bitten wir um etwas Geduld.
Danke für Ihr Verständnis!