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Worin die „Banalität des Bösen“ bestand

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Die jüdische Philosophin und Holocaust-Forscherin Hannah Arendt (Archivbild aus dem Jahr 1963).
Die jüdische Philosophin und Holocaust-Forscherin Hannah Arendt (Archivbild aus dem Jahr 1963). © dpa/dpaweb

Ein bisschen Etikettenschwindel betreibt der Band „Eichmann war von empörender Dummheit“ schon. Denn die im Untertitel avisierten „Gespräche und Briefe“ zwischen Hannah Arendt und Joachim Fest machen nur ein Drittel des Umfangs aus.

Von Christine Pries

Ein bisschen Etikettenschwindel betreibt der Band „Eichmann war von empörender Dummheit“, der jetzt im Piper Verlag erschienen ist, schon. Denn die im Untertitel avisierten „Gespräche und Briefe“ zwischen Hannah Arendt und Joachim Fest machen gerade einmal ein Drittel seines Umfangs aus. Den Rest bilden Einleitung, Anmerkungen und weitere Dokumente aus den Jahren 1963 bis 1965 – wie etwa die ausführlichen Stellungnahmen von Golo Mann und Mary McCarthy – zur Kontroverse um Arendts Buch „Eichmann in Jerusalem“. Das wurde seinerzeit auf Deutsch ebenfalls von Piper verlegt, so dass der vorliegende Band so etwas wie eine weitere Materialsammlung zur damaligen Debatte darstellt.

Die Lektüre lohnt sich trotzdem, und sei es nur für das titelgebende Rundfunkgespräch zwischen Arendt und Fest vom 9. November 1964, das hier abgedruckt ist. Ursprünglich von Piper als eine Art Verteidigungsstrategie eingefädelt, um Arendts Eichmann-Buch, das schon nach dem Erscheinen der englischen Fassung für einen Sturm der Entrüstung gesorgt hatte, ein gutes Entree auf dem deutschen Markt zu verschaffen, kommt in Arendts Redebeiträgen ihr ungemein bodenständiger Scharfsinn zur Geltung, der, obwohl beide das Gespräch akribisch schriftlich vorbereitet hatten, zutiefst mündlich geprägt war, wenn man so sagen kann.

„Da ist keine Tiefe“

Obgleich Arendt die Anmutung, sich für ihre Eichmann-Thesen verteidigen zu müssen, vor dem Gespräch abgelehnt hatte, gibt Fest ihr durch geschicktes Nachfragen Gelegenheit, zumindest die gröbsten Missverständnisse in Bezug auf ihre Formulierung von der „Banalität des Bösen“ auszuräumen. Eichmanns Unvermögen, sich in das Schicksal anderer hineinzuversetzen, verrät für Arendt, gerade weil Eichmann eigentlich intelligent war, eine absolut „empörende Dummheit“. „Und das“, sagt sie, „habe ich eigentlich gemeint mit der Banalität. Da ist keine Tiefe – das ist nicht dämonisch! Das ist einfach der Unwille, sich je vorzustellen, was eigentlich mit dem anderen ist.“

Was bei den Vorwürfen gegen Arendt, die als Prozess-Beobachterin für den „New Yorker“ nach Israel gereist war, sie verharmlose Eichmann, ja entschuldige ihn, häufig übersehen wird, tritt hier auch in Arendts brieflichen Ausführungen deutlich zu Tage. Dass nämlich ihre Weigerung, Eichmann zu dämonisieren und ihr scheinbar harmloser Vorwurf, er leide an einem eklatanten Mangel an Urteilskraft, sein Verbrechen keineswegs schmälern soll, ganz im Gegenteil: Gerade seine Banalität macht Eichmann in ihren Augen zu etwas viel Schlimmerem, als es ein Mörder ist, und da er sich, wie Arendt unmissverständlich sagt, ihrer Meinung nach auch nicht darauf zurückziehen kann, dass er nur Befehle befolgt habe, führt die Banalität eher zu einer Verschärfung der Schuldfrage. Gerade weil Hitler, Eichmann usw. keine Dämonen waren, denen das deutsche Volk trotz heftiger Gegenwehr erlegen sei, können sie nicht als von der Schuld entlastendes Alibi fungieren. Und gerade weil das Böse hier in einer neuen, höchst banalen Form auftrat, tragen sehr viel mehr Leute dieses Böse in sich und sind, ohne dass die Schuldfrage damit ungebührlich ausgeweitet werden soll, dadurch schuldig geworden.

Fest, den heute viele nur noch als den späteren FAZ-Herausgeber wahrnehmen, erweist sich als ebenso eloquenter wie breit interessierter Gesprächs- und Briefpartner, dessen eigene Arbeit etwa an seiner Hitler-Biografie Anknüpfungspunkte für die intellektuelle Neugier der 20 Jahre älteren Arendt boten. Ihr letzter Brief im Dezember 1973 endet mit dem Versprechen, sich zu melden, sobald sie das fertige Buch gelesen habe. Dazu ist es allerdings nicht mehr gekommen. Es hätte spannend werden können.

Hannah Arendt/Joachim Fest: Eichmann war von empörender Dummheit. Gespräche und Briefe . Piper Verlag 2011, 208 S., 16,95 Euro.

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