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Deplatziert, aber glücklich

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Daniel Cremer, unorthodox.
Daniel Cremer, unorthodox. © Wonge Bergmann

Ian Bostridge im VGF Betriebshof, Daniel Cremer im Mousonturm bei Musikfest der Alten Oper.

Ein auf dezente Weise ausgeflipptes Doppel bot das von der Alten Oper Frankfurt organisierte, aber auch in die Stadt hinein schwappende Musikfest am Sonntag. Zunächst sang Ian Bostridge im VGF Betriebshof Gutleut Franz Schuberts „Winterreise“, Grundlage der diesjährigen Ausgabe unter dem Motto „Fremd bin ich ...“. Das ging nicht ohne technische Verstärkung auf dem großen Areal, hinter dem sich beständig Züge aus dem Hauptbahnhof schlängeln und hinein – die Künstlergarderobe befand sich in einer historischen Straßenbahn (als man noch aus den Türen purzelte, weil es so tief runterging). Das unterschiedlich ausgeprägte Gerumpel der Bahnen war nichts gegen den Wolkenbruch.

Der Notenumblätterer des Pianisten Julius Drake wurde da zum eilig zuschnappenden, dann geduldigen Notenhalter, als es mächtig auffrischte. Drake lieferte unter den anstrengenden Umständen eher solide Hausmannskost. Wenn zu den Zügen und zum Geprassel noch ein Hubschrauber kam, sahen sich die Akteure manchmal nachdenklich an, aber sie zogen es durch.

Bostridge, mit dickem Schal und diskret zur Seite hustend, begann mit einem Auftaktlied wie aus Porzellan, zart, zerbrechlich, aber da es nicht zerbrach, eben auch perfekt. Die Höhen seiner aparten, unverkennbaren Stimme kommen weiterhin völlig unangestrengt und drucklos, die Tiefen sind seine Schwäche, die man einem Tenor nicht verübeln wird.

Trotz der mehr ereignishaften als musikalisch idealen Wiedergabesituation gelang es Bostridge, Momente speziell zu präparieren. Die gewöhnlich eher friedfertig verstandene Zeilen „Komm her zu mir, Geselle, / hier find’st du deine Ruh’“ kamen nun aus Erlkönigs Mund. Das „Irrlichts Spiel“ entfernte sich vom Melancholischen und drang in tückische Regionen vor. Insgesamt trug Bostridge überhaupt das Fahle, wahrlich Winterliche vor – trug es zunehmend tapfer vor mit dann doch auch gröberen, forcierteren Momenten. Großer Jubel, als er sich später, zügig in den bereitliegenden Wintermantel gehüllt, verbeugte. Die stimmungsvolle Deplatzierung der Lieder eines Deplatzierten.

Eigenartige Verschiebungen auch am Abend im Mousonturm, wo der Theatermacher und Performer Daniel Bernhard Cremer sein Programm „Born to make you happy“ zeigte, einen „Megaliederzyklus“. Es war aber gar kein Megaliederzyklus (das gehörte offenbar dazu; dass es keiner war). Auch die theoretische Voraussetzung, dass ein rein auf die Beglückung des Publikums bedachter Theaterabend subversiv sei, ist angesichts der Realitäten in der Unterhaltungsbranche absurd. Cremer, zunächst als unorthodoxer Crooner, unterhielt sich aber in einer Kunstsprache mit uns, die so gut wie zu verstehen war. Er bot, begleitet von dem Pianisten Vincent Stefan, tatsächlich einige Songs (einen harmlosen „Leiermann“ darunter) und spielte „Alle Vögel fliegen hoch“ mit uns (ein Riesenspaß, ehrlich). Er lockte ins Foyer, tanzte dort sehr schön mit einer fabelhaft tanzenden Zuschauerin und bot uns schmackhaften Kakao an. Dann ging es kurz raus ins Freie, um alle Ironie in eine Ecke zu werfen.

Dann wurde es eigentlich also richtig interessant, denn was bleibt von solchem Theater, wenn die Ironie in der Ecke liegt? Aber: Wenn es keine Ironie ist, durch ein Wurmloch zum eigenen Ich der Zukunft vorzudringen, schlägt es dreizehn. Darauf jedoch lief es hinaus. Dazu lagerte das Publikum auf einem weichen Teppich. Wer wollte, sang, krabbelte und bandelte mit dem Nachbarn an.

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