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Ratzen

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Diese Matratze wird offenkundig nicht mehr benötigt.
Diese Matratze wird offenkundig nicht mehr benötigt. © imago/Stefan Zeitz

Ohrwürmer aus den Gefilden der Radiowerbung spiegeln ein Stück Realität. Hören wir trotzdem mal rein, pardon.

Wenn es etwas gibt, das Verbraucher noch dringender benötigen als Vier-Sterne-Messerblöcke mit Klingen aus eisgehärtetem Spezialstahl, Joggingschuhe und Kochtopfsets mit Durchmessern von 16 bis 24 Zentimetern, dann sind es offenkundig Matratzen. Das legt ein Blick in die aktuelle Werbeprospektszene nahe.

Viele Menschen erinnern sich an Zeiten, als sie „ein Bett“ kauften, komplett mit allem. Andere, die ein besonders gutes Gedächtnis mit sich führen, wissen noch, wie sie einfach nur „’ne Matratze“ auf den Boden klatschten, um dran zu horchen. Das war jene Ära, als es an markanten Häuserecken in deutschen Großstädten coole Musikclubs gab und windige Autohändler, die amerikanische Straßenkreuzer mit offenem Verdeck zur Schau stellten.

In jener Ära war es auch noch Usus, Sätze mit sechs Adjektiven zu formulieren. Wenn wir uns davon erholt haben, fassen wir zusammen: markante Häuserecken also, an denen heutzutage samt und sonders Matratzengeschäfte regieren.

Wer gelegentlich Radio hört, dem wird sich außer dem Bergsteigermüsli vom Seitenbacher und dem Vortrag „Plötzlich Geld“ des VZ-Vermögenszentrums ganz besonders dieser Song eingeprägt haben: „Matratzen Concord!“ Pardon für den Ohrwurm, aber er spiegelt ein Stück Realität im dritten Jahrtausend.

Die Botschafter dieser Realität heißen Taschenfederkernmatratze Physio Top, Matratze Optimus N mit Komfortschaum und Schlaraffia aus der Tri-Motion-Serie mit Bültex-Kaltschaum, wenn nicht gar Active Deluxe – sie jagen einander im Warenhausprospekt über die Seiten. Tauschprämie 50 Euro („nur für kurze Zeit“).

Einer der erfolgreichsten Fernsehfilme der Gegenwart ist 20 Sekunden lang und zeigt zwei Herren, die in Socken (ansonsten vollständig bekleidet) auf ihren Betten liegen. Der Herr links hat ein Vermögen ausgegeben, sagt er, und der Herr rechts hält entgegen, die beste jemals getestete Matratze koste 199 Euro.

Regelmäßige Schläfer bleiben auf ihren Fragen sitzen bzw. liegen: Werden Matratzen, die ein Vermögen kosten, nicht getestet? Falls doch, wieso kosten sie dann immer noch ein Vermögen, wo doch die Matratze für 199 Euro nachweislich (Stiftungsstempel!) die beste je getestete ist, wenn auch lediglich mit Note Gut (1,7)?

Von der besten jemals getesteten Matratze hätten sich viele Menschen freilich eine überwältigendere Note versprochen. Andererseits darf man 100 Nächte auf ihr probeschlafen und sie dann zurückgeben. Das ist bei Matratzen heute Standard. Daran sollten sich die Hersteller von Bergsteigermüsli und Joggingschuhen mal ein Beispiel nehmen, aber auch die Steigbügelhalterinnen britischer Regierungen.

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