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Den Gentleman-Verbrecher gibt's nicht mehr

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Ashs (O. T. Fagbenle) Traum wird wahr: Er wird in die UNIT-Abteilung (Undercover Narcotics Intelligence Team) berufen, einer strenggeheimen Einheit, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die großen Bosse der Unterwelt zu fassen.
Ashs (O. T. Fagbenle) Traum wird wahr: Er wird in die UNIT-Abteilung (Undercover Narcotics Intelligence Team) berufen, einer strenggeheimen Einheit, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die großen Bosse der Unterwelt zu fassen. © ZDF und Des Willie

Der gewöhnliche Fernsehkrimi verdichtet, komprimiert, verkürzt. Doch in 60 oder 90 Minuten lassen sich komplexe Verbrechen nicht klären. Die britische Serie „The Interceptor“ verteilt eine Ermittlung auf acht Episoden. Realistisch. Und ausgesprochen spannend.

Es ist nicht der junge Schwarze im Trainingsanzug, der gerade eine SMS entgegennimmt. Vielleicht die beiden wuchtigen Glatzenträger mit der Rausschmeißer-Statur? Falsch. Ebenso wenig der abgehärmte Bursche mit der Stoppelfrisur und suchendem Blick, der eine verdächtig erscheinende, weil kaum gefüllte Reisetasche einher trägt.

Die Zollfahnder Marcus, genannt Ash, (O. T. Fagbenle) und Tommy (Robert Lonsdale) picken sich aus dem Gedränge in der Londoner Waterloo Station einen unscheinbaren Trenchcoat- und Krawattenträger heraus. Auch andere haben ihr Augenmerk auf den Mann gerichtet, aber davon wissen Ash und Tommy noch nichts. Tommy lächelt siegessicher, als sich der dralle Biedermann der Überprüfung zu entziehen versucht und davonrennt. Der durchtrainierte Tommy folgt ihm, gerät aber einer jungen Mutter mit Zwillingskinderwagen ins Gehege und stürzt. Weiter geht die Hatz, jetzt im Duo, durch die Menge der Wartenden in der Bahnhofshalle. Gerade noch entdecken sie den Trenchcoat-Mann. Ash bringt ihn zu Fall. Der kleine Koffer des Mannes birgt mehrere Päckchen Kokain.

Eine einfach erscheinende, dann doch sehr mühselige Festnahme und damit tonangebend für die achtteilige britische Serie „The Interceptor“. „Intercept“ bedeutet abfangen, aber auch abhören und unterbrechen und all das trifft zu auf die Arbeit der Sonderabteilung Undercover Narcotics Investigation Team, kurz U.N.I.T., in die Ash und Tommy wenig später berufen werden. U.N.I.T. hat den Auftrag, im Geheimen gegen den organisierten Drogenhandel vorzugehen. Selbst die Kollegen vom Kriminaldienst sollen nicht mehr als nötig über die Arbeit der U.N.I.T. erfahren. Was dort auf wenig Gegenliebe stößt, Konkurrenzneid weckt und eine auch persönlich motivierte Intrige wider den U.N.I.T.-Abteilungsleiter Cartwright (Ewan Stewart) auslöst.

Die Drahtzieher bleiben anonym

Die Büroausstattung in den U.N.I.T.-Räumen ist eher schäbig, die Abhörtechnik dagegen auf dem neuesten Stand. Natürlich werten die Späher auch die Aufnahmen der Videokameras aus, die in London beinahe flächendeckend installiert sind.

Die zu Beginn gezeigte Festnahme des dicklichen Drogenkuriers erweist sich als Einstieg in eine lange, umfängliche Operation. Der Mann war das kleinste Licht einer verzweigten, sehr clever vorgehenden Drogenbande, deren Hintermänner in höchsten gesellschaftlichen Kreisen zu suchen sind. Davon wissen die Ermittler vorerst nichts. Sie arbeiten sich langsam voran, beobachten Käufer und Händler, spähen Strukturen aus. Das Problem der Gesetzeshüter: Die Gangster vermeiden tunlichst jeden persönlichen Kontakt. Vernehmungen bringen meist wenig, weil die Laufburschen der unteren Ebene ihre Auftraggeber nicht kennen. In der Etappe verzeichnen die Ermittler regelmäßig kleinere Erfolge. Aber für die Jagd auf die Hintermänner an der Spitze der Pyramide, den Strolchen mit den weißen Kragen, der Golfclub-Mitgliedschaft und den großen Limousinen, braucht es einen langen Atem. Für den impulsiven, tatendurstigen Ash, der schon als Kind Erfahrungen mit dem Verbrechen sammeln musste, nicht immer leicht zu ertragen.

Vor realem Hintergrund

Creator Tony Saint und seine Autoren schicken die U.N.I.T.-Ermittler und deren kooperierende Kollegen von der Kripo durch die unterschiedlichsten Londoner Milieus. Das ist, wie so häufig in britischen Serien, in der Ausstattung und der Wahl der Schauplätze lebensnah und stimmig, vor allem auch in der schauspielerischen Umsetzung. Während in deutschen Produktionen oft eine gekünstelte, theatralische Manier vorherrscht und Distanz bewirkt – ein Stil, der unter Rezensenten und Fernsehpreisjuroren durchaus Befürworter findet –, überzeugen britische Mehrteiler wie „Broadchurch“, „Glue“ und auch „The Interceptor“ durch Authentizität. Die Schauspieler gehen regelrecht auf in ihren Rollen, verwandeln erdachte Gestalten in lebendige Charaktere. London-Fans könnten gar auf den Gedanken kommen, der einen oder anderen Figur schon begegnet zu sein.

Als Inspiration für das Serienkonzept diente das Buch „The Interceptor: The Inside Story of the UK’s Elite Drug Squad“, gemeinsam verfasst von dem früheren Zollfahnder Cameron Addicott und dem thematisch erfahrenen Sachbuchautor Kris Hollington. Die Serie ist sicherlich aktionsreicher als der gewöhnliche Ermittleralltag, aber die bisweilen spektakulären Verfolgungsszenen werden plausibel eingebunden in eine Erzählung, die vor allem gekonnt die fatalen individuellen und auch gesellschaftlichen Auswirkungen der Drogenkriminalität bis hin zum Privatleben der Ermittler aufgreift.

Gentleman-Verbrecher sucht man hier vergebens.

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