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„Der NSU 2.0 war nicht allein“: Böhmermann entlockt Behörden ein Bekenntnis

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Jan Böhmermann legt im ZDF Magazin Royale gegen die Frankfurter Polizei nach und thematisiert den „NSU 2.0“. Den Behörden entlockt er ein neues Bekenntnis. Die TV-Kritik.

„Was zur Hölle hat das alles noch mit Satire zu tun?“, fragt ein augenscheinlich verzweifelter Jan Böhmermann am Ende des ZDF Magazin Royale. Kurz zuvor präsentiert er seine große Pointe der „ersten Doppelfolge“ seiner Satiresendung, die in diesem Fall eher den Anspruch eines Investigativmagazins hatte: Der „NSU 2.0“ war nicht allein. Das titelt auch das Portal FragDenStaat, mit dem Böhmermanns Team zusammengearbeitet hat.

Mit „NSU 2.0“ wurden zahlreiche Drohschreiben verschickt. Im Fall hat das Landgericht Frankfurt den 54-jährigen Alexander M. im November 2022 zu einer Haftstrafe verurteilt. Betroffene und Beobachter:innen des Prozesses zweifelten aber, dass es sich bei M. um einen Einzeltäter handele. Sie verdächtigten die Polizei, von deren Computern die Daten für die Drohschreiben stammten. Insofern ist für sie Böhmermanns Erkenntnis keine wirkliche Überraschung. Das Frankfurter Landgericht und die Ermittlungsbehörden betrachteten den Berliner jedoch als Einzeltäter. Das war zumindest die offizielle Linie.

Jan Böhmermann sitzt in Lederjacke gekleidet an seinem Moderationstisch und liest in einer Akte.
Jan Böhmermanns Team vom ZDF Magazin Royale und das Portal FragDenStaat konnten Ermittlungsakten zum„NSU 2.0“ auswerten. (Screenshot) © ZDF

Jan Böhmermann präsentiert im ZDF Magazin Royale neue Erkenntnis bei „NSU 2.0“-Ermittlungen der Staatsanwaltschaft

Böhmermanns Team hat gemeinsam mit FragDenStaat bei der Staatsanwaltschaft nachgehakt. Zuerst habe die Staatsanwaltschaft nicht geantwortet, erklärt Böhmermann. Erst durch Androhung rechtlicher Schritte seien die Fragen beantwortet worden. „Wer hätte das gedacht: Drohmails zeigen Wirkung“, spottet Böhmermann.

Wichtiger, als der kleine Seitenhieb, ist diese Erkenntnis: „Die Staatsanwaltschaft Frankfurt will da zwar nicht so gerne öffentlich drüber reden, aber obwohl sie offiziell davon überzeugt ist, dass Einzeltäter Alexander M. auch das erste ‚NSU 2.0‘-Droh-Fax verschickt hat, ermittelt sie im Stellen wegen genau derselben Tat auch gegen […] Johannes S.“

SendungZDF Magazin Royale
ModeratorJan Böhmermann
TitelWas die Polizei mit dem NSU 2.0 zu tun hat
Hashtag der Woche#Einzeltätergruppe
Termin6. Oktober 2023
Online verfügbar bis5. Oktober 2024

Polizeikommissar Johannes S. ist dem Stammpublikum des ZDF Magazin Royale kein Unbekannter. Er war bereits einer der Protagonist:innen der vorherigen Episode, als Böhmermann rechtsextreme Chats Frankfurter Polizisten veröffentlicht hat. Als am 2. August 2018 ein Droh-Fax an die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz verschickt wurde, rückte das Revier auf der Zeil in den Fokus. Dort wurden die geschützte Daten abgerufen. Zum Zeitpunkt der Abfrage waren die Beamt:innen aus der Chatgruppe im Dienst. Erst durch die „NSU 2.0“-Ermittlung war die Chatgruppe erst aufgeflogen.

Böhmermann macht ZDF Magazin Royale zum Krimi und ermittelt wegen des „NSU 2.0“ gegen die Polizei

Jan Böhmermann setzt also im ZDF Magazin Royale seine Ermittlung innerhalb der Polizei fort. Diesmal jedoch nicht als uniformierter Polizist verkleidet, sondern als ziviler Ermittler. Böhmermann schlüpft dazu in das Erkennungsmerkmal von allen kultigen „Tatort“-Kommissar:innen: eine Lederjacke. Die „doppelt so viel gekostet hat, wie der Intendant verdient“, sagt Böhmermann, der sich damit eine Anspielung auf die Debatten rund um sein Gehalt nicht verkneifen kann. Es bleibt einer der wenigen Witze der Sendung. Viel mehr gibt das Thema einfach nicht her.

Stattdessen liefert Böhmermann dem öffentlich-rechtlichen Publikum das, was sie aus ARD und ZDF normalerweise kennen: einen Krimi. Nur verbindet er das mit etwas, das dem Publikum dann doch unbekannt ist, wenn es nicht um Blitzer geht: Polizeikritik und einen Einblick in die braunen Stellen der Behörde.

Böhmermann nimmt also das 1. Polizeirevier auf der Zeil in Frankfurt erneut ins Visier. Grundlage sind Ermittlungsakten zum „NSU 2.0“, die das ZDF Magazin Royale gemeinsam mit FragDenStaat ausgewertet hat. Letztendlich ist das meiste bereits durch Zeugenaussagen und Angaben von Antonia von Behrens, der Anwältin von Basay-Yildiz, bekannt.

ZDF Magazin Royale fasst Erkenntnisse zur Rolle der Polizei beim „NSU 2.0“ zusammen

Letztendlich fasst Böhmermann die Indizien, die auf die Mitglieder der Polizei-Chatgrzppe hinedeuten gut zusammen: Miriam D. war am Computer eingeloggt, von dem die Daten abgerufen wurden. Johannes S., der von Kollegen in Naziuniform gezeichnet wurde, hat laut den Ermittlungsakten vor der Tat nach Seda Basay-Yildiz und ihrer Adresse gesucht, sich über einen Fall informiert, bei dem sie als Anwältin tätig war und auf den im Drohschreiben angespielt wurde, hatte die nötigen Fähigkeiten und Mittel, das Fax über einen Tor-Browser zu verschicken und sich verdächtig verhalten, in dem er sein iPad, auf dem gleich zwei solche Browser waren, wenige Tage nach dem Fax verkauft hat.

ZDF Magazin Royale in der Mediathek

Das ZDF Magazin Royale mit Jan Böhmermann vom Freitag, 6. Oktober 2023, ist in der ZDF-Mediathek abrufbar.

Was Böhmermann nicht erwähnt und ebenfalls ein belastendes Indiz sein könnte: Auf der gezeichneten Uniform von Johannes S. stand „Obersturmbannführer“ als Dienstgrad. Der Absender der „NSU 2.0“-Drohnachrichten nannte sich wiederholt „Obersturmbannführer“.

Böhmermann wirft Fragen bei den Ermittlungen zum „NSU 2.0“ und dem Vorgehen der Polizei auf

Wie bekannt ist, wurde nicht der Polizist verurteilt, Johannes S. war lediglich Zeuge, hat die Aussage jedoch verweigert, sondern Alexander M. Das sorgte für Erleichterung bei der hessischen Politik. „Wer Einzelfälle mag, wird Einzeltäter lieben“, sagt Böhmermann dazu. „Endlich können wir alle wieder der Frankfurter Polizei vertrauen, wie eh und je.“

Dass das nicht ganz stimmt, zeigt Böhmermann in mehrfacher Hinsicht. Einerseits zitiert er die FR, wonach die Polizei im Fall „NSU 2.0“ Beweise manipuliert haben soll, und schildert irritierende Schritte im Prozess: Die lange Pause, bis das LKA die Ermittlungen übernahm, sowie der Sonderermittler mit Vergangenheit in Frankfurt. Der zweite Punkt ist, dass sogar die Richterin Zweifel hat, ob Alexander M. das erste Drohschreiben verschickt hat. Und obwohl Alexander M. in Haft ist, gibt es weiterhin Drohschreiben vom „NSU 2.0“.

Durch ZDF Magazin-Recherche erfahren „NSU 2.0“-Betroffene neuen Ermittlungsstand

Und an dieser Stelle präsentiert Böhmermann die Antwort der Staatsanwaltschaft, die weiterhin gegen Johannes S. wegen Bedrohung ermittelt. Eine Tatsache, die auch die Betroffenen selbst offenbar bis zu diesem ZDF Magazin Royale nicht wussten, wie etwa Basay-Yildiz und Janine Wissler auf X (früher Twitter) erklären. Der Satiriker schafft also erneut Transparenz.

Trotz der Indizien, die in Richtung der Frankfurter „Itioten“ deuten, gilt, was Böhmermann zum Schluss sagt: „Wir wissen nicht, ob und, wenn ja, was Johannes S. mit dem ‚NSU 2.0‘ zu tun hat. Wir wissen auch nicht, wer am 2. August 2018 um 15.41 Uhr das erste Drohschreiben des NSU 2.0 verschickt hat.“ Im Gegensatz zu den üblichen Krimis in ARD und ZDF kann Ermittler Böhmermann – trotz schicker Lederjacke – keine:n Täter:in präsentieren. Aber das ist sowieso die Aufgabe von anderen. (Max Schäfer)

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