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Friedenspreis aberkennen

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Äthiopiens Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed Ali posiert nach der Verleihung des Friedensnobelpreises während einer Zeremonie im Rathaus in Oslo am 10. Dezember 2019.
Äthiopiens Premierminister und Friedensnobelpreisträger Abiy Ahmed Ali posiert nach der Verleihung des Friedensnobelpreises während einer Zeremonie im Rathaus in Oslo am 10. Dezember 2019. © FREDRIK VARFJELL/AFP

Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali hat die Erwartungen nicht erfüllt. Der Gastbeitrag.

Mit Preisen ist das so eine Sache. Die einen empfinden das als Ansporn für die Zukunft, die anderen ausschließlich als Dank für bereits Geleistetes. Bei Friedenspreisen ist das nicht anders. Spätestens seitdem der frisch gewählte US-Präsident Barack Obama im Jahr 2009 den Friedensnobelpreis erhielt und damit Hoffnungen auf eine neue Außenpolitik verbunden waren, ist es üblich geworden, Friedenspreise an Hoffnungsträger zu verleihen.

So war es auch bei dem äthiopischen Ministerpräsidenten Abiy Ahmed Ali. Nur ein Jahr nach seinem Amtsantritt erhielt er im Jahr 2019 nicht nur den Friedensnobelpreis, sondern auch den Hessischen Friedenspreis des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Mit der Strategie des Ansporns geht allerdings auch das Risiko einher, dass sich der Preisträger nicht wie erhofft entwickelt. Im Fall von Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali ist dies der Fall und deshalb wäre es konsequent, ihm den Hessischen Friedenspreis wieder abzuerkennen.

Während sich der Westen fest im Griff der Corona-Pandemie befand, brach Anfang November 2020 im Norden Äthiopiens, im Regionalstaat Tigray, ein bewaffneter Konflikt aus. Infolgedessen wurden Hunderttausende Menschen aus der Region vertrieben. Immer wieder gibt es Berichte über Gräueltaten durch äthiopische Regierungstruppen und ihre Verbündeten. Unabhängige Beobachter, NGOs und Nachrichtenagenturen berichten übereinstimmend über gezielte Massaker gegen Zivilisten und systematische Massenvergewaltigungen an Frauen und Mädchen.

Verlässliche Berichte über Todesopfer gibt es nur wenige. Schätzungen gehen bisher von über 10 000 zivilen Toten und vielen Tausenden gefallenen Soldaten auf beiden Seiten aus. Gemessen an diesen Opferzahlen, gehört der Konflikt in Tigray ohne Zweifel zu den blutigsten bewaffneten Konflikten der letzten Jahre – weltweit. Ein Ende des Konfliktes ist nicht in Sicht. Die Türkei hat kürzlich bewaffnete Drohnen an die äthiopische Regierung verkauft.

Zur Autorin

Lucia Puttrich (CDU) ist Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten in Hessen.

Für die Eskalation des Konfliktes ist der Friedenspreisträger Abiy Ahmed Ali vielfach persönlich verantwortlich. Es ist nicht nur seine abstoßende Kriegsrhetorik, die den Konflikt immer stärker anheizt, es sind auch viele Einzelmaßnahmen gegen Zivilisten. So wurde humanitären Hilfsorganisationen, einschließlich UN-Organisationen, der Zugang zum Krisengebiet untersagt.

Äthiopierinnen und Äthiopier bestimmter regionaler Herkunft wurden in der Hauptstadt Addis Abeba interniert, und selbst Kraftfahrer, die für die Vereinten Nationen (UN) arbeiten, wurden verhaftet. Derzeit wird eine ganze Volksgruppe in Geiselhaft genommen und humanitäre Katastrophenlagen erzeugt, um sie als Mittel der Kriegsführung einzusetzen. Es scheint so, als wolle Abiy Ahmed Ali einen ethnischen Feldzug durchführen. Der frühere britische Außenminister, Jeremy Hunt, warnte gar vor einem Völkermord in der Region.

Die Situation ist ernst, und deshalb sollte man auch deutliche Zeichen setzen. Am 23. September 2019 erhielt der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed Ali für seinen Einsatz beim historischen Friedensschluss mit Eritrea den Hessischen Friedenspreis. Der Preis wird an Menschen vergeben, die sich um die Völkerverständigung und um den Frieden verdient gemacht haben. Aus heutiger Perspektive müssen wir uns aber eingestehen, dass sich die großen Erwartungen an den Preisträger nicht erfüllt haben. Im Gegenteil.

Bei einer Aberkennung des Hessischen Friedenspreises ginge es nicht nur um die Figur des Preisträgers. Es ginge auch um die vielen herausragenden Persönlichkeiten vom Dalai Lama über die frühere Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, Carla Del Ponte, bis hin zur türkischen Friedensaktivistin Sebnem Korur Fincanci, die in der Vergangenheit den Hessischen Friedenspreis erhielten und jetzt in einer Reihe mit einem blutigen Autokraten stehen.

Es geht aber auch um unser Selbstverständnis und unsere Selbstachtung. Ja, mit der Preisverleihung waren die Hoffnungen verbunden, den Frieden, die Demokratie und Achtung der Menschenrechte in der Region zu stärken. Das war weder verwerflich noch unklug. Doch angesichts der blutigen Bilanz des Preisträgers können wir jetzt nicht einfach wegschauen, sondern sollten die Einsicht haben, uns zu korrigieren.

Das sind wir unserer Glaubwürdigkeit, vor allem aber den vielen Opfern dieses Konfliktes schuldig. Abiy Ahmed Ali hat sich des Hessischen Friedenspreises nicht würdig erwiesen. Die Aberkennung dieses Preises wäre ein klares Statement und auch ein Zeichen an künftige Preisträger des Hessischen Friedenspreises. Ein Zeichen an all jene, die sich überall in der Welt für den Frieden und die Menschenrechte einsetzen.

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