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Größtes gemeinsames Vielfaches

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So sehr sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Amazonas-Gipgels auch zu freuen scheinen, so ernüchternd sind die Ergebnisse des Treffens.
So sehr sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Amazonas-Gipgels auch zu freuen scheinen, so ernüchternd sind die Ergebnisse des Treffens. © dpa

In der Mathematik gibt es das nicht, doch beim Amazoniengipfel wäre es bitter nötig gewesen. Aber Lula kann ja schon mal loslegen, wenn es ihm Ernst ist.

Neu ist das nicht, dass die acht Amazonasstaaten sich an einen Tisch setzen, so wie diese Woche. Schließlich gibt es den Amazonaspakt, auf Spanisch mit TCA (Tratado de Cooperación Amazónica) abgekürzt, schon seit 1978.

Geografisch gesehen fehlt dort ein Staatsgebiet, nämlich Französisch Guyana. Das war von Anfang an nicht dabei. Es gehört, der Name besagt es, zu Frankreich, damit zur Europäischen Union und ein Telefonat von dort nach Paris kostet auch nicht mehr als von Marseille.

Wäre Französisch dabei, wäre das Sprachgewirr beim TCA noch größer. Mit Portugiesisch (Brasilien), Englisch (Guyana), Niederländisch (Surinam) und Spanisch, der Amtssprache der übrigen fünf Anrainerstaaten, gibt es schon eine bemerkenswerte linguistische Vielfalt.

Und dann sind da noch die vielen Sprachen der indigenen Völker, die in Amazonien leben und deren Stimmen noch viel mehr Gewicht bekommen müssten. Doch es lag sicher nicht an sprachlichen Problemen, dass das zweitägige Amazonas-Gipfeltreffen mit einem solch mickrigen, enttäuschenden Ergebnis endete.

Ja, es gab einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Alle wollen, sollen, können, dürfen die Abholzung der Wälder reduzieren, auf jeweils ihrem Staatsgebiet. Aber wie, wann, wo, wieviel, das bleibt jedem selbst überlassen. Nicht einmal das „ob“ ist sicher.

Gebraucht hätte es statt dessen (Verzeihung an die Logik der Mathematik!) ein größtes gemeinsames Vielfaches. Zu einem weiteren Hauptproblem, der Förderung fossiler Energieträger, vor allem Erdöl, gab es gar keine Einigung. Da stand Gustavo Preto, der Präsident Kolumbiens, allein da mit seiner Forderung nach einem Stopp.

Das finanzielle Interesse der Regierungen ist eben nach wie vor stärker als konsequente Politik zum Tropenwaldschutz. Da darf man gespannt sein, wie das aussehen soll, wenn der Präsident des Landes mit dem größten Waldanteil und Gastgeber des Gipfeltreffens, Luiz Inácio Lula da Silva, in die Welt posaunt, es gebe ein „vor“ und ein „nach“ der Konferenz.

Es könnte sehr enttäuschend werden für all jene, die gehofft hatten, nun würde sich etwas ändern zum Wohle des Planeten. Und das sind keineswegs nur besorgte Naturschutzbewegte. Den indigenen Völkern Amazoniens verleihen insbesondere die Kayapo mit ihrem Kaziken Raoni Metuktire eine gewichtige Stimme.

Dabei gibt es noch zahlreiche Kleingruppen von Völkern, die bis heute weder Kontakt mit der Außenwelt haben noch ihn wollen, die im Gegenteil jeden Kontakt vermeiden. Es ist fast ein Hohn – wieso eigentlich fast? – nein, es ist ein Hohn, dass Lula die Erdölförderung nicht sofort stoppt.

Obsiegen da wieder einmal sogenannte wirtschaftliche Interessen? Sie retten nichts, schaden dem weltweiten Klima. Sie bedrohen insbesondere die traditionelle Bevölkerung Amazoniens und besiegeln das Ende ihrer Kulturen und letztendlich ihres Überlebens, allen politischen Lippenbekenntnissen zum Trotz.

Immerhin hat Lula versprochen, bis zum Jahr 2030 die Abholzung in seinem Land zu stoppen. Reduziert hat er sie schon. In sieben Jahren kann allerdings noch viel passieren. Da bleibt nicht viel Spielraum. Er muss sich beeilen. Egal, ob die anderen sieben Staaten mitziehen oder nicht.

Manfred Niekisch ist Biologe und ehemaliger Zoodirektor.

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