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Angela Merkel erklärt ihre Corona-Politik: beruhigender Ton im Wortnebel ‒ Ein Kommentar

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Angela Merkel erklärt die verschärften Corona-Maßnahmen. Wieder einmal gelingt ihr dieser irgendwie beruhigende Ton. Aber wer sagt, dass ihr Handeln deshalb alternativlos ist?

Diesem Gefühl kann sich wohl kaum jemand entziehen: Die Frau kümmert sich. Mit Ernst und Umsicht arbeitet Angela Merkel an der Bewältigung dessen, was sie eine „Jahrhundert-Katastrophe“ nennt. So war sie bei ihrer Pressekonferenz am Donnerstagmittag (21.01.2021) zu erleben, und das ist die Bundeskanzlerin, die wir seit 15 Jahren kennen: Ob akute Krise oder nicht, die Wirklichkeit ist ein Werkstück, und „daran müssen wir arbeiten“, wie sie so gerne sagt.

Keine Frage: In einer politischen Welt, die ja mit Donald Trumps Abgang noch lange nicht befreit ist vom Imponiergehabe mächtiger Männer, tut dieser ruhige Ernst atmosphärisch ganz gut. Da wird zugehört, abgewogen und diskutiert, und nur ganz selten wird einigermaßen hörbar auf den Tisch gehauen und ein Punkt gesetzt. Zum Beispiel bei der Frage, ob nicht auf Ausbreitung des Virus und „Herdenimmunität“ gesetzt werden sollte statt auf Eindämmung und Senkung der Infektionszahlen. Ganz klar: Nein. „Diese politische Entscheidung habe ich getroffen.“

angela merkel
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich auf einer Pressekonferenz zu den verschärften Corona-Maßnahmen geäußert. © Michael Kappeler/dpa

Angela Merkel beharrt auf Senkung der Corona-Infektionszahlen

Was also soll an all dem noch zu kritisieren sein? Nun ja, es gibt da ein paar Dinge, die auch bei diesem Auftritt hinter dem sichtbehindernden Wortnebel („Gefahr sehr ernst nehmen“, „vieles abzuwägen“, „Vorsorge für unser Land“, „möglichst viel Gleichklang“) unsichtbar oder schwer erkennbar zu werden drohen. Was – so professionell, wie Angela Merkel ihre Worte zu wägen in der Lage ist –, wohl kaum ohne ihre Absicht geschieht. Drei Beispiele.

Da kam erstens die Frage, warum (anders als etwa für Wirtschaftshilfen) kein Geld da sei, um die relativ teuren FFP-2-Masken kostenlos an Menschen abzugeben, die zum Beispiel von Hartz IV abhängig sind. Merkels Antwort bestand zum einen in dem Hinweis, dass unter den kostenlos versorgten Risikogruppen sicher auch „viele Hartz-IV-Empfänger“ seien.

Impfstoff in ärmeren Ländern noch nicht angekommen ‒ Merkel: „logistisch nicht ganz einfach“

Und die anderen? „Wenn die Situation sehr lange anhält, müssen wir darüber nachdenken, ob wir da helfen müssen.“ Müsste sie nicht auffallen, die Diskrepanz zwischen der (berechtigten!) Eile bei Wirtschaftshilfen und dem mühsam verklausulierten Nichtstun bei Menschen, die keinen Euro übrig haben?

Zweites Beispiel: die Verteilung des Impfstoffs, der in vielen Ländern des globalen Südens praktisch noch nicht angekommen ist. Wie zynisch muss es auf Menschen in diesen Ländern wirken, wenn die deutsche Kanzlerin Verständnis für die „große Sehnsucht“ nach dem Vakzin äußert, die sie in Gesprächen mit „Kollegen in anderen Bereichen“ gespürt habe? Und, ach ja: Die Sache ist „logistisch nicht ganz einfach“, auf Deutsch: Der Stoff braucht Kühlung und in Afrika ist es halt warm. Pech. Merkt jemand, wie weit das entfernt ist von der Debatte über den Patentschutz, der einer weltweiten Produktion selbst jetzt, in der globalen Krise, weiter im Wege steht?

Merkel geht auf Zero-Covid-Strategie nicht wirklich ein

Drittens schließlich: Der Frage nach der von einigen Wissenschaftler:innen geforderten „No-Covid-„ oder „Zero-Covid-Strategie“, die einen zwischen Beschäftigten und Unternehmen auszuhandelnden Lockdown auch in der Industrie vorsehen würde, wich Merkel wortreich aus: Sie tat so, als beziehe sich diese Initiative auf eine Zukunft, in der die Infektionszahlen schon unter einen bestimmten Wert gesunken sein werden. Frei übersetzt: Was wir jetzt tun, ist alternativlos, und über den Rest reden wir später. Vielleicht.

Bei allem Verständnis für das gute Gefühl, das die ruhige Hand der Bundeskanzlerin bei vielen Menschen hierzulande auslöst: Die Pandemie ist zu groß, um es dabei zu belassen. Die Bundesregierung mag nach bestem Wissen und Gewissen „daran arbeiten“, Corona einzudämmen. Aber deshalb muss doch noch lange nicht alles alternativlos sein, was sie tut. Wo also bleibt die Debatte über das ganze Spektrum möglicher Alternativen? Sie zu unterlassen, können wir uns auf Dauer nicht leisten, ob mit Angela Merkel, Armin Laschet oder dem smarten Markus Söder. (Stephan Hebel)

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