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Arbeit an der Anderswelt

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Ein Hand größer als das Pferd? Real oder Unreal? Das weiß man bei André Heller nie so genau....
Ein Hand größer als das Pferd? Real oder Unreal? Das weiß man bei André Heller nie so genau.... © peterrigaud

Wie kommen André Hellers Fantasien aus seinem Kopf in die Manege? In seiner neuen Show widmet er sich zwar den Pferden - aber eine Pferdeshow ist es nicht. Es ist „eine Reise in eine Wirklichkeit jenseits des Alltäglichen". Ein Besuch bei den Proben zu seinem neuen Spektakel „Magnifico“.

Von Thomas Wolff

Wie bewegen sich Riesenquallen in einer Zirkusmanege? Man weiß es nicht. Auch André Heller weiß es nicht. Eins aber weiß er: so nicht. „Too static“ ruft er mit milder, aber deutlicher Stimme von seinem Regieplatz in die Manege. Zu statisch, wie die gigantischen Quallen-Puppen in der Unterwasser-Nummer umherstaksen, immer um die Seepferdchen und Mantarochen herum. Mechanisch heben und senken sich die aus Gaze gewirkten Körper der Quallen, „die schauen ja aus wie Großmutters Schlafkappe“, sagt Heller. Letzteres verstehen die Artisten zwar nicht. Junge Chinesen, US-Amerikaner, Spanier, die die schillernden Puppen an zwei Meter langen Stangen durchs Rund balancieren. Aber sie begreifen, dass der künstlerische Leiter mehr Action will.

„Vielleicht mehr zur Seite, oder mehr Drehungen“, Heller gestikuliert, bewegt beschwörend die Hände, steigt jetzt persönlich herab in den violett illuminierten Trockeneisnebel, der über den Boden wabert. Schon hat der Erste in der Manege den Dreh raus. Chef-Choreograph Matt Kent, ein athletischer Bursche um die 30, lässt seine Qualle herumwirbeln, dass es eine Art hat. Harfenklänge setzen ein, noch mehr Nebel quillt. Heller nickt und verlässt die Manege. Gut, damit käme auch das Unterwasser-Ballett allmählich voran, Nummer 12 von 25, die Hellers nächstes zirzensisches Spektakel bilden sollen: „Magnifico“. Am 8. Februar ist Premiere in München. Aber keine Eile. „Proben sind langsam“, murmelt Heller gelassen und zieht sich wieder ins Halbdunkel zurück. Es ist keine Klage, kein Vorwurf. „Magnifico“, das ist eine einzige Übung in Gelassenheit.

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Er hat erst einmal abgewartet, als das Angebot kam. Eine Show mit Pferden schlug ihm der Veranstalter Marcel Avram vor. Allein: Zu Pferden hatte Heller so gar keine Beziehung. So sagte er sich: „Lass dich nicht locken vom Geld oder von einem Veranstalter, sondern nur von deiner inneren Stimme, die dir eine Freigabe für das Thema geben muss. Wenn ich etwas mache, dann muss das ganz ich sein.“

André Heller sitzt halb, liegt halb in einem weinroten Sessel in einem Salon in seiner Wiener Wohnung und nippt an einem Becher Rooibos-Tee. Hier empfängt er, wenn er Presseleuten über „Magnifico“ Auskunft gibt. Süßlicher Duft wabert durch die barocken Raumfluchten, gedämpftes Licht fällt auf die Kunstschätze, die sich über alle Böden und Wände ergießen: ein großer Warhol (Motiv: André Heller), ein Sarkophag des Graffiti-Künstlers Keith Haring, Bilder von Basquiat – mit vielen von ihnen hat Heller schon zusammen an Projekten wie diesem gearbeitet. Aber nicht die großen Meister haben ihn diesmal inspiriert. Er erhebt sich, um ein kleines, schlicht gerahmtes Bild zu holen und herzuzeigen. Ein Holzschnitt wie aus einem Kinderbuch, er zeigt ein Einhorn: „Magnifico“, sagt Heller mit leiser Stimme.

Die Großmutter war es, die den kleinen André mit dem Einhorn-Bild beruhigte, immer vor dem Einschlafen. Magnifico, erzählt Heller, sollte ihm helfen, half ihm tatsächlich „gegen meine Verstörung und meine Einschlafängste und meine wiederkehrende Todesfurcht“. Die größte Angst des Buben: „Wenn ich im Schlaf übersiedelt bin in diese Anderswelten, dann werd’ ich sterben, dann bin ich irgendwelchen Spielmächten da drüben hilflos ausgeliefert.“ Dann flog das Einhorn in sein angsterfülltes Leben. Es wurde sein „mächtigster Verbündeter, jemand, der meine Angst auflösen konnte“.

Heller traumwandelt lächelnd zwischen Trojanischem Pferd und chinesischen Akrobaten

Heller lächelt heute wie befreit, wenn er davon erzählt. Als ihm die Erinnerung an Magnifico wiederkam, da hatte er seine „Freigabe für das Thema“. Mehr noch: Das Sinnbild stand „für Fantasie und Zauberei“. Etwas, das der junge André lange Zeit qualvoll vermisst hatte.

Im Jesuiten-Internat, in das ihn sein ungeliebter Vater verfrachtet hatte, träumte er sich beim Blick aus dem Fenster in die Felder, Wälder, Wolken hinein. So beschreibt er es in seiner autobiografischen Fantasie „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“. Als ihm die Großmutter Magnifico gab, stürmte er auf dem Rücken des Einhorns in seine Fantasiewelten. Immer neue schuf Heller sich und seinem Publikum. Jetzt arbeiten wieder rund 100 Menschen daran, sie sichtbar zu machen. Es ist eine ziemliche Plackerei.

Ein viel ungastlicheres Fleckchen Erde als das Messegelände von Tulln lässt sich kaum vorstellen. Baumärkte, Traktorenhändler, Kreisverkehre säumen das zugige Areal. Und doch werkeln Techniker, Artisten, Ausstatter unter dem Wellblechdach der Probenhalle wie beseelt an Hellers Traum. Während die Manege für die nächste Nummer vorbereitet wird, die Quallen sich hinter schwarze Vorhänge verdrücken, ist rundherum Baustelle.

Die amerikanischen Puppenbauer biegen Fiberglas-Stäbe zu Seepferd-Skeletten. Die chinesischen Artisten dehnen sich, strecken sich, wärmen sich auf dem kalten Betonboden auf. Die spanischen Pferdepflegerinnen schaufeln Mist aus dem benachbarten Stall. Die Pferde selbst scharren mit den Hufen; heute Nachmittag müssen sie sich in ihren Boxen gedulden, erst am Abend ist der nächste Durchlauf mit allen Menschen, Tieren, Sensationen. André Heller traumwandelt, alleweil lächelnd, durch die Fantasie-Werkstatt, zwischen Hebekran und Trojanischem Pferd, zwischen Mantarochen und einem Haufen Kisten, auf denen ein weißes Paar Flügel liegt: jene Apparatur, die in der Show dem Pegasus umgeschnallt wird. Maßgefertigt. Motorbetrieben. Ganz zufrieden ist Heller nicht.

„Wenn ich nichts erfahren hätte als wie man ein glaubwürdiges Paar Flügel herstellt“, sagt er, „das wäre schon genug lohnende Erkenntnis für mich gewesen.“ Erkenntnis? Aber das ist doch nur Technik? „Nein, nein, das ist Zauber. Das ist Täuschungsmeisterschaft. Derlei lockt die Fantasie aus der Reserve.“ Auch seine eigene? „Ja, ich erfinde dann die Biografie des Wesens. Was für einen Charakter hat es? Welche Erfahrungen? Hat es einen Freund? Vielleicht einen Engel? Und sie lehren einander das Schweben!“ Ein bunter Schwarm Akrobaten zieht vorbei, nimmt Aufstellung in der Manege: Die Flugnummer wird geprobt.

Streichermusik hebt an. Vier Akrobaten klinken sich in Gestänge ein, die von oben herabgelassen werden, und beginnen, sich zu wiegen, zu springen, dann heben sie ab. Mit fließenden Bewegungen bilden sie immer neue Figuren in und über der Manege, schließen sich zu einem langsam, langsam kreiselnden Stern zusammen. Auf der Leinwand im Hintergrund läuft ein Film: Erst malt Picasso groteske Masken, dann geht ein riesenhafter Mond auf und wieder unter. Damit nicht genug. Zwei Reiter ohne Pferd umhoppeln das Ganze, die Tiere haben ja Pause. Flamencotänzer tanzen, Rasseln rasseln, und, und, und ... Es ist wie Spielberg und Philip Glass und Mary Poppins zum Quadrat. Ein bisschen viel auf einmal vielleicht?

Lesen Sie auf der nächsten Seite über sinnliche Erlebnisse.

Nein, finden die Kreativen. Sie wollen noch dicker auftragen. „Sollten wir nicht lieber einen blutroten Mond nehmen?“, fragt der Mann von der Bildregie. „Auf jeden Fall sollte der Mond schneller untergehen“, schlägt Choreograph Matt vor, „dann wirkt der Aufstieg der schwebenden Tänzer noch dramatischer.“ Heller scheint auch nicht genug davon kriegen zu können. Er legt väterlich seinen Arm um Matts Schultern. „Versuchen wir’s gleich noch mal.“ Schon fliegen sie wieder, schöner noch als beim ersten Mal. Und der rote Mond kommt wirklich gut.

Für das scheinbare Durcheinander von Tanz, Ton und Film, von Mensch und Tier hat der Regisseur eine einfache Begründung. „Es muss ein Sturz durch Träume sein“, sagt er. Ein ständiges Ineinandergreifen von Bildern, Szenen, Sinneseindrücken, „wie in einem surrealen Film. Bloß keine Rahmenhandlung! Keine von diesen bemühten Dramaturgien.“ Um die schillernden Nummern zusammenzuhalten, „da brauchst du keine Logik, sondern fundierte Unlogik“.

Vielleicht ist das der Punkt, an dem sich die Kritiker reiben, wenn sie Hellers Shows als gehaltlose Fantasterei verlachen. Einen Gehalt im Sinne einer Botschaft gibt es nirgends. Hinter all den Bildern, Sphärenklängen, Traumszenen ist tatsächlich: nichts. Kein Raum für Interpretation, für tiefere Bedeutung. Nur ein Raum fürs Staunen. Dem Heller genügt das. „Ich bin kein Künstler“, sagt er. Nur ein kreativer „Expeditionsmensch“.

Hinter all den Bildern ist nichts, kein Raum für tiefere Bedeutung – nur ein Raum fürs Staunen

Den Künstlerkreisen, der berüchtigten Café-Hawelka-Clique ist er in luftigere Gefilde entflohen, mit Freuden, wie er sagt. „Dieses melancholisch Aggressive, witzig getarnte Gnadenlose, Überhebliche, Verletzende“ hat er hinter sich gelassen, „diesen Kult der schlechten Laune“. Nettigkeit ist Programm bei „Magnifico“. Wer das harmlos findet, der dürfte die Zustimmung des Regisseurs bekommen. Hingegen streitet Heller ab, gezielt den Markt der fantastischen Spektakel zu bedienen. Ein „Trüffelschwein“ hat ihn die Frankfurter Rundschau einmal genannt. Einen, der den Zeitgeist gekonnt bedient, der zielgruppengenau produziert. „Ohne Koketterie“, sagt Heller: „Ich denk’ zunächst nicht an den Geschmack des Publikums. Meine Zielgruppe bin anfangs immer ich. Aber mit der Zeit, die einem Zuschauer zur Verfügung steht, muss man genau wie mit der eigenen behutsam umgehen.“

Tatsächlich kennt er sich auf dem boomenden Markt des Fantastischen nicht wirklich gut aus. Harry Potter? „Nie gelesen.“ Herr der Ringe? „Da war ich mit meinem Sohn im Kino, das konnte mich nicht berühren.“ Apassionata, die große Pferde-Oper? Ja, er weiß, dass es derlei gibt, mehr nicht.

Dass heute jede Pralinenpackung sinnliche Erlebnisse verspricht, jeder Reiseprospekt magische Momente – Heller nimmt es gelassen hin. Mögen Worte wie Magie und Fantasie zu Floskeln verkommen sein, er lässt nicht davon ab, nur weil der Rest der Welt damit Schindluder treibt. Schließlich geht es ja erst mal nur um ihn. Also treibt er wieder allerlei Wortgeklingel, um seine Show zu verkaufen. „Ein inspirierendes Vergnügen für Menschen aller Altersstufen und Bildungsschichten“ verspricht er, „eine Reise in eine Wirklichkeit jenseits des Alltäglichen, worin die Gesetze der Logik dem Wundersamen und Poetischen gewichen sind.“ Das muss man aushalten. Und dann – dann kann man ins Staunen geraten.

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Ein Herr im Hosenrock betritt die Manege. Letzte Nummer für heute Nachmittag. Muskulös der blanke Oberkörper, ein scheues Lächeln im Gesicht. Ein Dutzend stangenartiger Gebilde schleppt er mit ins Rund, legt sie vorsichtig vor sich ab; die harten Rippen von Palmblättern, wie er hernach erklären wird. Was gibt denn das für eine Nummer? Und wo sind die Pferde? „Ich mache keine reine Pferdeshow“, sagt Heller geduldig. „Und was der Rigolo da macht, ist eine schamanistische Übung.“ Drunter macht er’s nicht.

Kein Geflimmer und Gedröhne diesmal, kein Mond und kein Einhorn. Alles hält scheinbar die Luft an. Nur Rigolos Atemzüge, über ein Kopfmikrofon abgenommen und über Lautsprecher verstärkt, schnaufen durch die Halle. Eine einsame Akkordeonspielerin, ganz am Rand platziert, begleitet die Nummer mit beschwörenden Klängen und Gesängen.

Rigolo greift sich das kleinste Stängelchen, legt ein anderes darüber. Dann ein längeres. Und noch eins. In Zeitlupen-Bewegungen balanciert er einen Stängel nach dem anderen auf der Hand. Wie, weiß kein Mensch. Die Frau mit dem Akkordeon ist offenbar ganz hingerissen, haut in die Tasten, singt aus vollen Hals. „Viel zu früh, viel zu früh, ruft ihr Heller zu. „Fang mit dem Singen erst nach drei, vier Minuten an. Du musst jeden Ton, jede Steigerung so lange wie möglich halten.“ Rigolo ist jetzt bei Palmblatt Nummer sieben, ein Zwei-Meter-Stachel, spannt Bizeps und Bauchmuskeln an, verlagert tänzelnd sein Gewicht, und es fällt immer noch nichts herunter von dem fragilen Gebilde. Zehn, elf, zwölf; der Gesang schwillt an, Rigolo setzt das Riesen-Mobile auf seinen Kopf, lässt es kreiseln. Hält die Balance bis zum Schluss.

Der wird nicht verraten. Nur so viel: Alle Kollegen, Techniker, Helfer applaudieren – das passiert gar nicht oft bei den Proben. André Heller verschränkt die Arme und lächelt inniglich. Man ahnt: Jetzt ist er ganz bei sich. Jetzt ist die Show ganz ich.

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