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Ausgepeitscht und angegafft

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Im Jahr 2014 war den religiösen Eiferern in Aceh nach sechs Monaten bereits das Geld für die Strafaktionen ausgegangen.
Im Jahr 2014 war den religiösen Eiferern in Aceh nach sechs Monaten bereits das Geld für die Strafaktionen ausgegangen. © rtr

In der indonesischen Provinz Aceh regiert die Scharia - und mit ihr eine barbarische Bestrafungspraxis. Gegen die Scharia-Hüter regt sich Unmut in der Bevölkerung.

Die Chefin der Scharia-Polizei in dem kleinen Ort Aceh Besar Rahma Daniati steht seelenruhig auf einer Plattform unter einem Dach aus grünem Stoff. Mit lautem Pfeifen lässt der Algojo – der Henker – neun Mal seinen langen Rohrstock auf den Rücken der 18-jährigen Kiranti in ihrem weißen Büßergewand sausen. Die junge Frau zuckt bei jedem Schlag und kneift die Augen zusammen. Am Ende der öffentlichen Auspeitschung muss die tränenüberströmte Kiranti gestützt werden. Rahma Daniati dagegen ist ungerührt. „Wir haben das nicht gemacht, um sie zu demütigen“, sagt die Religionspolizistin, „die Strafe dient als Abschreckung für andere.“

Kiranti war in ihrem Zimmer allein mit einem 16-jährigen Jungen gefunden worden. In der indonesischen Aceh-Provinz reicht dies, um im Rahmen der dort angewendeten Scharia-Gesetze wegen Khalwat (Unzucht) vor den Algojo mit seinem nassen Rohrstock gezerrt zu werden. Der Junge kam wegen seines Alters ungeschoren davon.

108 Fälle von öffentlichen Auspeitschungen registrierte die Menschenrechtsgruppe Amnesty International im Jahr 2015 und verzeichnete damit einen starken Anstieg der demütigenden öffentlichen Bestrafung. Vor ein paar Jahren gab es in der ganzen Provinz gerade mal 40 öffentliche Bestrafungen. Im Jahr 2014 war den religiösen Eiferern nach sechs Monaten bereits das Geld für die Strafaktionen ausgegangen.

Inzwischen kennt die Scharia-Polizei offenbar keine Grenzen mehr. Die Auspeitschungen haben System. „Zuerst hatten wir die Phase der Eingewöhnung“, erklärt die Scharia-Polizistin Rahma Daniati in Aceh Besar, „dann kam die Erziehungsphase. Jetzt sind wir in der Phase der Bestrafung. Wer gegen die Regeln verstößt, muss bestraft werden.“

Das gilt mittlerweile auch für die Christen und Chinesen, die auf der „Terrasse Mekkas“ leben. Im April erhielt eine 60-jährige Christin 28 Stockhiebe, weil sie trotz Verbots in Aceh Alkohol verkauft hatte. Stolz meldete ein Behördensprecher: „Das war die erste Nicht-Muslimin, die laut Scharia bestraft wurde.“

Ein paar Touristinnen aus Deutschland kamen im April mit ein paar strengen Ermahnungen durch die Scharia-Polizei davon. Die jungen Frauen hatten sich in knappen Bikinis an einem der malerischen Strände in der Sonne geaalt, die im Jahr 2004 von einem verheerenden Tsunami überschwemmt worden waren. Der Auftritt wäre den konservativen Bewohnern auch ohne die Religionswächter schwer aufgestoßen.

In Aceh regt sich der Unmut

Die Einführung der Scharia-Gesetzgebung in Aceh kam weder auf Betrieben radikaler Islamisten zustande, noch war sie eine gottesfürchtige Reaktion auf die „Strafe Gottes“, wie manche Bewohner der Region den Tsunami, der mehr als 200 000 Todesopfer forderte, im Jahr 2004 interpretierten. Bereits drei Jahre zuvor hatte Megawati Sukarnoputri, die damalige indonesische Präsidentin, der Region die Einführung der islamischen Gesetzgebung erlaubt. Sie versuchte mit der Entscheidung den Einfluss der Untergrundbewegung GAM zu unterminieren, die für die Unabhängigkeit der Region von Jakarta kämpfte.

Nach dem Tsunami gab es ein Friedensabkommen. Aceh erhielt autonomen Status und das Recht, die Scharia zu behalten. Seither verschärfen die Parlamentarier der Provinz nahezu jährlich die Gesetze. Mittlerweile dürfen Frauen nur noch seitwärts auf den Rücksitzen von Mopeds Platz nehmen, falls sie sich überhaupt trauen, die Zweiräder zu besteigen. Denn die Scharia-Polizei achtet streng auf die Einhaltung der Regel, wonach Frauen nur in Begleitung männlicher Verwandtschaft als Beifahrerinnen unterwegs sein dürfen.

Aceh ist bislang die einzige Region Indonesien, in der die Scharia gilt. „Aber es gibt inzwischen im Land mehr als 300 Regeln, mit denen die Rechte und die Freiheit von Frauen eingeschränkt werden“, sagt die Rechtsanwältin Azriana Rambe Manalu von Indonesiens Nationaler Frauenkommission in der Stadt Banda Aceh.

Indonesien, weltweit das Land mit den meisten islamischen Einwohnern, gilt bislang als vergleichsweise liberaler Staat. Der wachsende Einfluss des saudiarabischen Wahabismus stärkt aber konservative Strömungen. Und die Polizei des Landes nutzt beispielsweise das Verbot des Bierverkaufs in kleinen Läden, um in der Provinz Kalimantan auf der Borneo-Insel ein absolutes Alkoholverbot durchzusetzen.

In Aceh regt sich langsam der Unmut gegen die Scharia-Hüter. „Scheinbar sind es immer wir, die Armen, die Leute aus den unteren Schichten, die bestraft werden“, moserte der 56-jährige Rajuddin, nachdem er wegen Kartenspielens ausgepeitscht wurde, „dabei wir haben nur zum Spaß Karten gespielt. Aber bei schlimmen Verbrechen der großen Leute wird weggeschaut.“

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