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Urchiges Fürzen

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Der Internetanbieter AOL hält rätselhafte Worte für eine korrekte Schreibweise.
Der Internetanbieter AOL hält rätselhafte Worte für eine korrekte Schreibweise. © dpa

Wie die AOL-Rechtschreibkorrektur korrekt geschriebene E-Mails verhunzt: Aus dem Schwiegervater wird "Schweinebraten" oder auch "Schweißgerät". Von Eckhard Stengel

"Eigentlich ist die se Formulierung Anz urchig." Merkwürdig, oder? Nicht für AOL. Der Internetanbieter hält die rätselhaften Worte für eine korrekte Schreibweise des Satzes: "Eigentlich ist diese Formulierung ganz richtig."

Wer seine E-Mails über AOL verschickt, ist nur noch am Staunen und Lachen, wenn er vor dem Versenden seiner Texte die Rechtschreibkorrektur nutzt. Die AOL-Programmierer sind groß im Anstreichen vermeintlicher Fehler und noch größer beim Erfinden von Korrekturvorschlägen. Statt zu "denken", möchten sie lieber "renken", statt "kürzen" doch besser "Fürzen" oder "Würzen". Ein schlichtes "darüber" mutiert zu "da rüber" oder gar zu "Daubel".

Ein Wunder? Nein: ein "Wund er". Offenbar glaubt AOL, seit der Rechtschreibreform werde all es aus ein an der geschrieben.

Wäre vielleicht "gestern Abend" genehm? Nein, es sollte doch lieber "geister Absende" heißen. Aber das Programm akzeptiert doch wohl "einzelne Deutsche"? Fehlanzeige! Einer seiner Korrekturvorschläge lautet "leinene Deutschtet".

Okay, ein in den USA gegründeter Onlinedienst braucht nicht unbedingt "Streuselkuchen" buchstabieren zu können. Aber müssen die einschlägigen Korrekturvorschläge unbedingt "Treuebruche" oder "Stempeluhren" heißen?

Dass als Ersatz für "Schwiegervater" unter anderem "Schweißgerät" und "Schweinebraten" angeboten wird, könnte auf Vorurteile der jungen Programmschöpfer gegenüber älteren Männern hinweisen. Und wirkt ein Rockfan wirklich wie ein "Dreckfink"? Sind manche Jungen in Wirklichkeit "Jungfern"? Fragen über Fragen.

Klar ist, dass das Programm aus Zeiten von US-Präsident George W. Bush stammt, dem ja ein gewisser Hang zum Kriegerischen nachgesagt wurde. Für "Kreisverwaltung" bietet die Rechtschreibkorrektur konsequenterweise "Kriegsverwüstung" an. Statt "Freitagnachmittag" präferiert AOL neben "Freitag nachmittag" auch "Frontabschnitt" oder "Fertigmachst". Ob die Rechtschreiber wohl an das Gefangenenlager von Guantánamo Bay dachten, als sie für das Wörtchen "folgender" nicht nur "folgend er", sondern auch "folternder" als Korrekturvorschlag eingaben?

Eine Bildunterschrift kannten sie auch nicht, aber "Blutrache" und "Blutverschmiertere". Solchen Verwundeten könnte kein Medizinprofessor helfen, denn das System würde ihn in einen "Theologieprofessor" verwandeln oder gar in "Einzusparendes".

Noch nicht genug gelacht? Also weitere Vorher-Nachher-Paarungen: Genesungswünsche - Geltungswahn; Hühnersuppe - Neunergruppe; möglich - Molch; Moin - Moli; Realschulabschluss - Kassenabschluß.

Der Duden war für die AOL-Listenschreiber jedenfalls keine Richtschnur. Ihnen sind nur "Dutten" oder "Luden" geläufig. Auch die Pressestelle von AOL Deutschland kann nicht helfen. Sie braucht wochenlang, um wiederholte Anfragen der FR zu beantworten - und hat dann doch keine Erklärung für die kreative Rechtschreibverhunzung. Immerhin kündigt Sprecher Johannes Winter an, dass noch in diesem Jahr eine völlig neue AOL-Software erscheinen soll - mit einer "verbesserten Rechtschreibprüfung".

Diese Mail habe er mit seiner Firmenzentrale abgestimmt, schreibt Winter. Firmenzentrale? Mal sehen, was das Korrekturprogramm sagt. Kleine Auswahl der Verschlimmbesserungs-Vorschläge: "Firmen zentrale", "Firmament", Grenzkontrollen", "Ornamentale" und: "Freudentränen".

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