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Bundestagsdebatte zu Bauernprotesten: Grünen-Politikerin nennt Redebeitrag von Merz „schäbig“

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Der Bundestag diskutiert über die Zukunft der Bauern. Ein Experte prognostiziert gute Zeiten und bezeichnet die deutschen Bauern sogar als internationale Friedensakteure.

Berlin – Die Tausenden protestierenden Landwirte der vergangenen Wochen zeichnen ein düsteres Bild der Lage deutscher Bauern. Auch Zahlen lassen wenig Gutes hoffen. So hat sich die Anzahl der Bauernhöfe in Deutschland 2023 abermals auf nun 255.000 verringert. Das geht aus aktuellen Daten des Statistischen Bundesamts hervor. Zum Vergleich: 2001 waren es noch knapp 450.000. Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat die globale Agrarindustrie durcheinander gebracht, gleichzeitig gibt die Politik hohe Auflagen vor.

Landwirt zum Bauern-Frust: „Zukunftsfähigkeit der Branche ist nicht gefährdet“

Über all die Probleme und Chancen der Bauern sollte die Bundespolitik am Donnerstag im Parlament sprechen. Eine Debatte über den agrarpolitischen Bericht des vergangenen Jahres und die Zukunftssicherheit der deutschen Landwirtschaft stand auf der Tagesordnung. Tatsächlich drehte sich die hitzige Debatte vieler Redner aber vor allem um die Ereignisse rund um die Bauernproteste. Oppositionsführer und Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) nutzte die Bühne für Kritik an der Migrationspolitik der Ampel und warf ihr vor, „gegen die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland“ zu regieren. Auf die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft ging er nicht ein. Dafür kritisierten die Ampel-Parteien Merz harsch. Renate Künast, Sprecherin der Grünen für Landwirtschaft und Ernährung, nannte Merz Migrationskritik während einer Agrardebatte „schäbig“.

Friedrich Merz nutzte seine Bundestagsrede während einer Debatte zur Landwirtschaft für eine grundlegende Kritik der Ampel und ihrer Migrationspolitik.
Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) nutzte seine Bundestagsrede während einer Debatte zur Landwirtschaft für eine grundlegende Kritik an der Ampel und ihrer Migrationspolitik. © IMAGO

Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) sprach mehr über die Proteste als die künftigen Herausforderungen der Landwirtschaft. Für eine krisensichere Landwirtschaft bekräftigte er seinen Vorschlag der Tierwohlabgabe, die teureres Fleisch für Kunden und damit mehr Geld für Investitionen der Bauern bedeuten soll. Damit wolle Özdemir den Bauern künftig mehr Planungssicherheit garantieren: „Die Bauern erwarten mit Fug und Recht, dass wir nicht nur Ziele vorgeben, sondern sie auch beim Weg dahin begleiten.“

Experte: „Agrardiesel nicht das, was die Landwirte derzeit beschäftigt“

Dass sich viele Bauern auf diesem Weg nicht begleitet fühlen, weiß Klaus John. Er ist selbst Landwirt und Agrarwissenschaftler, arbeitete in einer landwirtschaftlichen Unternehmensberatung sowie zwölf Jahre lang in Russland für den zweitgrößten Agrarbetrieb des Landes. „Der Agrardiesel ist nicht das, was die Landwirte derzeit beschäftigt und weshalb sie so unzufrieden sind“, sagt er zur aktuellen Situation. „Bei vielen herrscht einfach Unsicherheit: Nicht zu wissen, wohin sich das Land und die Lage für sich selbst entwickelt, bestimmt gerade die Stimmung der Bauern“, sagt John gegenüber unserer Redaktion.

John betont jedoch, dass die Zukunft der hiesigen Landwirtschaft gut aussehe. Deutschland habe die effizienteste Agrar- und Ernährungswirtschaft der Welt, sagt er. Zwar habe die Politik durch viele Auflagen zur Nachhaltigkeit für Verunsicherung gesorgt, doch dabei handle es sich „um einen normalen Strukturwandel, der die Zukunftsfähigkeit der Branche nicht gefährdet.“ Finanziell gehe es den Bauern unterm Strich nach wie vor gut, auch wenn nach einem Jahr mit Rekordgewinnen die Lebensmittelpreise derzeit wieder fallen.

Deutsche Agrartechnik ist weltweit spitze

Zwar gibt es in Deutschland immer weniger Bauern und Höfe, doch das hängt John zufolge mit dem technischen Fortschritt der Branche zusammen. Dieser Fortschritt ist für den Experten sogar der Garant für eine gute Zukunft der deutschen Landwirtschaft. „In der Agrartechnik sind wir Deutsche verdammt gut. Andere Länder fragen bei uns nach, wie wir das machen.“

Tausende deutsche Bauern gehen gegen die Politik auf die Barrikaden. Ihnen werde die Zukunft geraubt, so das Argument. Doch wie steht es um die Aussichten der Bauern?
Tausende deutsche Bauern gehen gegen die Politik auf die Barrikaden. Ihnen werde die Zukunft geraubt, so das Argument. Doch wie steht es um die Aussichten der Bauern? © IMAGO/Olaf Schuelke

John hat eine internationale Perspektive: Die Agrarindustrie und damit die Lebensmittelversorgung ist höchst globalisiert und anfällig für Ereignisse wie den Ukraine-Krieg. Russland und die Ukraine gehören zu den größten Getreidelieferanten der Welt, die Bombardierung ukrainischer Häfen macht Lieferungen über den Seeweg schwer. Das Getreide wird dann über den Landweg Richtung Deutschland gebracht, wodurch der heimische Markt geflutet wird.

Außerdem sorgt die Erderwärmung für steigende Unsicherheit bei Ernteerträgen. Hier kommt die hoch technologisierte, verlässliche deutsche Landwirtschaft zum Tragen: „Das Klima wird volatiler. 2023 hatten wir weltweit eines der besten Getreidejahre der Geschichte. Das wird sich aber ändern, die Lage wird irgendwann brenzliger. Deshalb sind deutsche Bauern wichtiger denn je.“

Experte: Deutsche Bauern wichtig für den Frieden

Der Landwirt und Agrarwissenschaftler schreibt den deutschen Bauern als Wissensexporteuren und durch ihre technische Vorbildfunktion sogar eine wichtige geopolitische Bedeutung zu: „Günstige Nahrungsmittel spielen für den sozialen Frieden eine große Rolle“, sagt John und ergänzt: „Die deutsche Agrarwirtschaft ist ein wichtiger Friedensakteur weltweit: durch unsere Technik, unsere Expertise, unsere Ausbildung. Bei diesen Themen ist die restliche Welt nicht auf unserem Niveau.“

In der Debatte um die Bauern plädiert John für eine Perspektive, die nicht nur die schlechten Seiten beleuchtet. Er kann den Frust der Bauern zwar verstehen, bürokratische Hürden, schlecht kommunizierte Auflagen und schwankende Lebensmittelpreise sind für ihn wichtige Themen. Eine rein schwarzmalerische Diskussion hält er angesichts des dadurch immer größer werdenden Frusts aller Beteiligten aber für „wahnsinnig gefährlich“.

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