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Die FDP beschließt die „Wirtschaftswende“

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Bei ihrem Parteitag versichern sich die Liberalen, dass sie auf dem richtigen Weg sind. Doch es gibt auch Kritik. Noch ist sie leise.

Berlin – Diesen einen Gänsehautmoment gönnt sich die FDP beim Bundesparteitag in Kreuzberg. Nach der Rede von Marie-Agnes Strack-Zimmermann, der Spitzenkandidatin für die Europawahl, ertönt die Europahymne: „Freude schöner Götterfunken“ aus dem Lautsprecher und wehende Europafahnen auf dem Bildschirm hinter der Abgeordneten – fast scheint es, als habe sie die Wahl schon furios gewonnen. Den Moment lässt sich das auch das freidemokratische Präsidium nicht entgehen und drängt sich um die Kandidatin. Jeder will mit aufs Bild. Wer weiß, ob es in diesem Jahr noch mal etwas zu feiern gibt.

Die Renten-Wippe im Hof der „Station“ in Kreuzberg. Dort tagt die Bundes-FDP am Wochenende.
Die Renten-Wippe im Hof der „Station“ in Kreuzberg. Dort tagt die Bundes-FDP am Wochenende. © dpa

Ihr Rede zu Europa hatte die 66-Jährige für ihre Verhältnisse fast schon verhalten angelegt. Auch bei ihr ging es – wie zuvor bei der Rede von Parteichef Christian Lindner – um die Wirtschaft. Bei der IHK-Unternehmensumfrage zu Europa hätten nur fünf Prozent aller Befragten gesagt, die EU sei in den vergangenen fünf Jahren als Standort attraktiver geworden, sagt die FDP-Politikerin.

Strack-Zimmermann wettert gegen von der Leyen

„Wie kann man sich da mit dem Schwerpunkt Wirtschaft zur Wiederwahl stellen?“ Gemeint ist die erneute Kandidatur von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Strack-Zimmermann vorwirft, vieles falsch gemacht und anderes gar nicht erst angepackt zu haben. Zur ersten Kategorie zählt Strack-Zimmermann die Regelungswut, mit der Brüssel Europa knechte. Die zweite Kategorie betrifft den Ukraine-Krieg, den der Staatenbund unter von der Leyens Führung längst mit einer eigenen Verteidigungsstrategie hätte beantworten müssen. Von der Leyen vermeide Diskussionen und sogar im Wahlkampf den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern. „Mir kommen viele Blumen entgegen, wo hinten noch der Topf dranhängt“, ruft Strack-Zimmermann zum Vergnügen der Delegierten. Doch das sei nun mal der Wahlkampf.

Lindner doziert...
Lindner doziert... © dpa

Das von der FDP heftig bekämpfte EU-Lieferkettengesetz veranschaulichte Strack-Zimmermann mit einer Kaffeebohne zwischen Daumen und Zeigefinger. Mit der neuen EU-Regelung werde es schwieriger für die äthiopischen Kaffeebauern, nach Europa zu liefern. „Aber das kümmert die Kommissionspräsidentin nicht die Bohne“, rief die Kandidatin und erntete viel Applaus. Mehr Kalauer gab es diesmal zwar nicht, doch selbst eine Strack-Zimmermann mit angezogener Handbremse rockte den Saal mehr als Parteichef Christian Lindner. Vielleicht, weil dieser seine Rede zum Leitantrag wie im Hörsaal mit zwei Grafiken untermalt hatte.

Lindner verkneift sich Seitenhieb auf Koalitionspartner

Die Schaubilder waren auch in der letzten Reihe noch gut zu erkennen: Das erste zeigt die mittelfristige Wachstumsperspektive des Landes – eine rote Kurve, die steil nach unten abbiegt. Die zweite Grafik zeichnet ebenfalls einen Abwärtstrend. Deutschland ist im Ranking der bevorzugten Wirtschaftsstandorte zurückgefallen. Mit den Schaubildern wollte Lindner gleich noch etwas anderes klarmachen: Der FDP geht es um die Sache, nicht um den Krawall.

Der Bundesfinanzminister verkniff sich auch jeden Seitenhieb auf die Koalitionspartner und versicherte: „Er hat einen tiefen Sinn, unser Einsatz für eine Wirtschaftswende.“ Im Hinblick auf den Ukraine-Krieg sei wirtschaftliche Stärke ein Faktor der Geopolitik. Wirtschaftliches Wachstum sei aber auch ein Gebot sozialer Gerechtigkeit.

...Strack-Zimmermann rockt.
...Strack-Zimmermann rockt. © dpa

Nicht jedem in Deutschland gehe es gut. „Viele sind unzufrieden mit ihrer Lebenssituation und wollen sie verbessern“, sagt Lindner. „Wie schafft man das in einer stagnierenden Gesellschaft?“ Soziale Umverteilung bedeute dann, „dass jemand anderem etwas weggenommen wird“, sagte Lindner. Das Wort Bürgergeld kam in seiner Rede nicht vor, stattdessen postulierte er, wirtschaftliche Stagnation führe im Sozialen zu einer „Ellbogengesellschaft“.

FDP mit Leitantrag zur Wirtschaftswende

Deshalb der Leitantrag zur Wirtschaftswende, mit der auch die eigene Wende hin zum Wahlerfolg gelingen soll. Das Zwölf-Punkte-Papier, das seit Tagen diskutiert wird. Harte Sanktionen für Menschen, die Bürgergeld bekommen, wenn sie einen Job verweigern. Raus aus der Rente mit 63, deutsches Lieferkettengesetz abschaffen, Förderung der Erneuerbaren Energien aussetzen. Dafür Steuererleichterungen für Menschen mit Spitzeneinkommen und höhere Freibeträge bei der Einkommenssteuer. Der Leitantrag ging mit großer Mehrheit durch, aber in Gesprächen mit den Delegierten zeigte sich, dass viele an der FDP-Basis mit den eigenen Spitzen-Leuten nicht zufrieden sind.

Bei einzelnen Anträgen war zu spüren, dass die Freidemokraten gespalten sind. Der Antrag, der die weitere Nutzung von Atomkraft fordert, wurde nur knapp abgelehnt. Auch das Quorum für Mitgliederbefragungen wurde nicht angehoben – eine Niederlage für die Führung. Die anstehenden Wahlen sorgen für Einigkeit, wenigstens nach außen hin. Im Herbst kann das schon wieder anders aussehen. (Christine Dankbar)

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