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Geheimdienstchef der Ukraine rechnet mit russischem Großangriff – schon in Kürze

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Die Anzeichen für eine große russische Offensive verdichten sich. Der ukrainische Geheimdienstchef rechnet Ende Mai damit. Er hofft auf Taurus-Unterstützung aus Deutschland.

Kiew – Mehr als zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion ist die Ukraine fast an allen Frontabschnitten in der Defensive. Angesichts der stockendenden Hilfe des Westens – besonders aus den USA – und den zunehmenden Raketen- und Drohnenangriffen Russlands, warnen hochrangige Offiziere in der ukrainischen Armee derzeit vor einem Zusammenbruch der Front.

„Es gibt nichts, was der Ukraine jetzt helfen kann“, malen die Militärs ein besorgniserregendes Bild der aktuellen Situation im Krieg. Laut neuesten Berichten könnte das EU-Bewerberland bald sogar noch stärker in Bedrängnis geraten. Denn eine russische Großoffensive steht wohl kurz bevor – Ende Mai sollen die Russen angreifen.

Ukrainischer Geheimdienstchef rechnet mit russischer Offensive Ende Mai 2024

Das sagte der Chef des ukrainischen Militärnachrichtendienstes (HUR), Kyrylo Budanow, im Gespräch mit der ARD. „Wir erwarten im späten Frühjahr, Anfang Sommer eine Intensivierung der russischen Offensivaktionen. Vor allem auf dem Gebiet des Donbass“, teilte er dem Sender in Kiew mit. Budanow erwartet, dass Putins Truppen etwas näher an die aktuell schwer umkämpfte Kleinstadt Tschassiw Jar heranrücken. Die auf einer Anhöhe gelegene Stadt gut 20 Kilometer westlich von Bachmut gilt als strategisch wichtig. „Sie werden sich in Richtung der Stadt Pokrowsk bewegen“, zitiert die ARD den Geheimdienstchef. Pokrowsk liegt 70 Kilometer südwestlich von Tschassiw Jar, im Oblast Donezk im Osten der Ukraine. Bis dahin soll sich die Front laut Budanow kaum verändern. Die Situation sei „ziemlich schwierig, aber sie ist unter Kontrolle“.

Kyrylo Budanow über einen Großangriff Russlands
Chef des Verteidigungsnachrichtendienstes der Ukraine Kyrylo Budanow befürchtet eine Großoffensive Russlands. © IMAGO/Volodymyr Tarasov

Ohne weitere Unterstützung aus den Vereinigten Staaten könnte sich das schnell ändern. „Wenn der Kongress der Ukraine nicht hilft, wird die Ukraine den Krieg verlieren“, sagte jüngst der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. Zwar waren die USA in den vergangenen beiden Jahren der größte Unterstützer der Regierung in Kiew, derzeit allerdings stocken weitere US-Hilfen für die Ukraine in Washington – die Republikaner blockieren neue Zahlungen. Und auch in Europa gibt es immer wieder Debatten, wie und mit welchen Waffen der Ukraine geholfen werden soll. Seit Monaten wird hierzulande darüber diskutiert, ob Deutschland dem ukrainischen Verbündeten Taurus-Marschflugkörper zukommen lassen soll. Bundeskanzler Scholz und die SPD sind dagegen, vorerst wird die Ukraine ohne die deutsch-schwedischen Raketen auskommen müssen.

Geheimdienstchef in Ukraine hofft auf Taurus-Lieferung aus Deutschland und mehr Munition

HUR-Chef Budanow hofft noch immer, dass die Marschflugkörper geliefert werden. Sie würden „unser Leben sicherlich einfacher machen“, erzählt er der ARD und bezeichnet den Taurus als „ausgezeichnete Waffe“. Derzeit brauche es aber vor allem mehr Artilleriesysteme und mehr Munition. Budanow glaubt, dass die EU die fehlende Unterstützung aus den USA ausgleichen kann. Sollte es keine weitere Hilfe geben, werde es für sein Land „katastrophal schwierig“.

Tatsächlich warnt die ukrainische Armee bereits seit einiger Zeit davor, dass die Munitions- und Waffenvorräte zur Neige gingen. Die US-Hilfen sind mittlerweile fast aufgebraucht. Mit dem Fall der Stadt Awdijiwka musste die Ukraine im Februar erst eine schwere Niederlage einstecken, während des chaotischen Rückzuges gerieten zahlreiche Soldaten in russische Gefangenschaft. Derzeit attackieren russische Kampfdrohnen im Norden und Süden des Landes, im Osten stehen Gebiete unter Artilleriebeschuss und gerade in Tschassiw Jar sind die ukrainischen Truppen stark bedrängt.

Dabei kann die Ukraine aber auch eigene Angriffe setzen: etwa in der Nacht zu Sonntag (7. April) mit Drohnen in der russischen Grenzregion Belgorod oder bei einem Luftangriff auf einen russischen Flugplatz in der Nacht zu Freitag (5. April). Mindestens sechs Flugzeuge sollen dabei zerstört worden sein.

Eigene Angriffe unwahrscheinlich? Ukraine-Geheimdienstchef will nichts ausschließen

Erst jüngst konnte die ukrainische Armee nahe dem Dorf Tonenke im Oblast Donezk einen der größten Panzerangriffe der Russen seit Beginn des Krieges abwehren, doch weitere russische Offensiven werden erwartet. „Der Feind sammelt Truppen“ meldeten ukrainische Soldaten vor einigen Wochen von der Front, Russland bereite einen Großangriff vor. Mit riesigen Verteidigungsanlagen will sich das Land vor den Attacken schützen.

Dass die Ukraine selbst eine Offensive starten kann, halten die meisten Experten angesichts der derzeitigen Kräfteverhältnisse für unwahrscheinlich. Der ARD gegenüber will Budanow das aber nicht ausschließen. Eine Offensive der Ukrainer noch in diesem Jahr sei möglich. Allerdings trage dafür der Generalstab die Verantwortung, will er laut Bericht nicht mehr dazu sagen.

Klare Positionen bezieht er derweil gegenüber der russischen Anschuldigungen, die Ukraine habe etwas mit dem Terroranschlag auf die Crocus City Hall bei Moskau zu tun. Das sei absurd. Und auch an der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines sei kein Offizieller in der Ukraine beteiligt gewesen, nicht einmal physisch. Solche Befehle seien mit Sicherheit nicht an irgendeinen Dienst gegeben worden. (flon)

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