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Repression gegen Homosexuelle ist Standard

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LGBT-Aktivistinnen küssen sich bei der Parade 2016.
LGBT-Aktivistinnen küssen sich bei der Parade 2016. © rtr

Staatliche Diskriminierung gegen gleichgeschlechtliche Liebe ist Standard in Nahost. Ausnahme ist nur Israel. Die einst liberale Türkei hat eine Kehrtwende unternommen.

Es war ein historisches Ereignis von großer Signalwirkung, als im Mai letzten Jahres in der libanesischen Hauptstadt Beirut eine „Pride“-Woche von Homosexuellen stattfinden konnte – die erste derartige Aktion der schwul-lesbischen Community in der arabischen Welt. In diesem Jahr war eine Wiederholung geplant, doch die Organisatoren wurden vergangene Woche von den Behörden zum Abbruch gezwungen. Trotz solcher Rückschläge werden sexuelle Minderheiten in den patriarchalischen Gesellschaften der Levante zwischen Türkei, Zypern und Ägypten immer sichtbarer und setzen sich immer offener gegen Diskriminierungen und Angriffe religiöser und staatlicher Autoritäten zur Wehr.

Für die Entkriminalisierung von Homosexualität 

Im Libanon haben Aktivisten der LGBT-Community – die englische Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle – in den vergangenen Jahren Vereine gegründet, Veranstaltungen abgehalten und riefen bei den Parlamentswahlen vor zwei Wochen auch offen zur Unterstützung eines populären Kandidaten auf, der für die Entkriminalisierung von Homosexualität eintrat. Aber sie bewegen sich entlang einer sehr schmalen roten Linie, die von den Behörden immer wieder neu definiert wird.

Zu Beginn der diesjährigen „Pride Week“ in Beirut intervenierte die Polizei schon bei einer der ersten Veranstaltungen, einer Theaterlesung, weil diese nicht von der Zensurbehörde genehmigt gewesen sei. Der Organisator Hadi Damien wurde am vorvergangenen Montag wegen eines angeblichen Aufrufs zu „Ausschweifungen und Dekadenz“ kurzzeitig festgenommen und zur Unterzeichnung eines Papiers genötigt, mit dem er die gesamte Pride-Woche absagte.

Auch vergangenes Jahr mussten einige geplante Veranstaltungen der Beiruter Pride Week, unter anderem eine Straßenparade, gestrichen werden, nachdem Islamisten mit Attacken gedroht hatten. Um niemanden zu provozieren, war dieses Jahr schon gar kein Umzug vorgesehen. Doch die schiere Existenz einer homosexuellen Community wird von konservativ-religiösen Kreisen im Libanon bereits als Provokation angesehen. „Der Sieg der islamistischen Hisbollah bei den Parlamentswahlen hat sofort zu den Repressionen geführt“, bemerkt Barbaros Sansal, der bekannteste türkische Modeschöpfer und eine Ikone der LGBT-Bewegung im Nahen Osten. „Homophobie ist die dunkle Seite des Islam.“

In vielen der konservativen Staaten des Nahen Ostens steht Homosexualität unter Strafe und wird wie im Libanon im Rahmen vage formulierter Gesetze gegen „öffentliche Unmoral“ verfolgt. Die schwul-lesbischen und transgeschlechtlichen Gemeinschaften werden ausgegrenzt und teils entwürdigenden Razzien ausgesetzt. In Ägypten verhaftete die Polizei vergangenen Herbst mindestens 75 mutmaßliche Schwule, nachdem Besucher eines Rockkonzerts es gewagt hatten, eine Regenbogenfahne zu schwenken. Tagelang erregten sich die Medien über die „Abartigen“, die so gefährlich seien wie „Terroristen“.

Trotz aller Repression hat sich der Libanon als eine Art Schwellenland für Homosexuellenrechte behauptet. Drei Nachbarstaaten aber sind seit den 90er Jahren noch deutlich weiter aus der patriarchalischen Phalanx ausgeschert: Israel, die Türkei und Zypern. In der liberalen israelischen Metropole Tel Aviv finden seit 1998 jeden Juni Pride-Paraden statt, die sich zu den größten Homosexuellen-Demonstrationen ganz Vorderasiens entwickelt haben. Im vergangenen Jahr nahmen rund 200 000 Menschen daran teil. Die israelische Botschaft in Berlin warb für Tel Aviv in einer Broschüre offen als „Schwulenhauptstadt des Nahen Ostens“.

Obwohl benachteiligende Gesetze bereits 1993 abgeschafft wurden und Israel 2001 ein Antidiskriminierungsgesetz zum Schutz Homosexueller erließ, laufen ultraorthodoxe Juden ebenso wie konservative Christen und Muslime noch immer Sturm gegen die „Pride“-Wochen in Tel Aviv und Jerusalem. In den palästinensischen Autonomiegebieten sind Homosexuelle nach wie vor vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt.

Nur wenige Jahre nach den Erfolgen in Israel gelang es auch der LGBT-Community in der Türkei, jährliche „Pride“-Paraden abzuhalten. In Istanbul hatte sich in den 90ern ein erster LGBT-Verein gegründet, der sich offen für die sexuellen Minderheiten einsetzte. Zu dieser Gründergeneration gehört der offen schwule Modedesigner Barbaros Sansal, der mit einer Handvoll anderer Aktivisten 2003 die erste „Istanbul Pride“ organisierte. Im Lauf der Zeit wurde der Ende Juni abgehaltene „Marsch des Stolzes“ zur farbenfrohen, aber immer auch politischen Demonstration einer „ganz anderen Türkei“, an der auf ihrem Höhepunkt 2014 mehr als 100 000 Menschen teilnahmen.

Ironischerweise war es die islamistische AKP des jetzigen Staatschefs Recep Tayyip Erdogan, die in ihrer „liberalen Phase“ diese Entwicklung in der mehrheitlich muslimischen Türkei duldete. Zwar hatte das Osmanische Reich Homosexualität bereits 1852 entkriminalisiert, aber de facto ist die Bevölkerung bis heute überwiegend homophob; immer wieder werden staatliche Diskriminierungen und sogar Morde an Homo- und Transsexuellen gemeldet. „Die Türkei ist ein schizophrenes Land, das Transvestiten wie den Sänger Zeki Müren vergöttert, aber normale Schwule verachtet“, sagt Sansal.

Anschlagsdrohungen islamistischer Gruppen 

Seit 2015 hat der Istanbuler Gouverneur die „Istanbul Pride“ nicht mehr genehmigt, weil er aufgrund von Anschlagsdrohungen islamistischer Gruppen gegen den „unmoralischen“ Umzug nicht für dessen Sicherheit garantieren könne. Außerdem könnten sich Gläubige gestört fühlen, da der Marsch immer während des Fastenmonats Ramadan stattfand. „Aber früher haben wir auch im Ramadan demonstriert und Drohungen von Extremisten gab es ebenfalls, ohne dass die Pride-Parade deshalb verboten wurde“, wendet Sansal ein.

Demonstranten, die sich trotzdem in der zentralen Einkaufsstraße Istiklal Caddesi versammelten, wurden seit dem ersten „Pride“-Verbot von der Polizei mit Tränengas und Gummigeschossen auseinandergejagt. Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 hat sich das Klima weiter verschärft. Fast alle LGBT-Vereine wurden inzwischen verboten; in Ankara untersagte der Gouverneur Ende 2017 jegliche Aktivitäten von LGBT-Gruppen, um die „Sicherung der öffentlichen Ordnung“ zu gewährleisten.

Dennoch trotzten mehrere Hundert Studenten der als rebellisch geltenden Technischen Universität in Ankara vor anderthalb Wochen dem Verbot des Uni-Präsidenten und hielten eine „Pride“-Versammlung und einen Marsch mit Regenbogenfahnen auf dem Campus ab. „Das war sehr mutig“, sagt Barbaros Sansal, der damit rechnet, dass die „Istanbul Pride“ auch dieses Jahr verboten wird. „Die meisten LGBT-Menschen in der Türkei leben derzeit in größerer Angst als je zuvor. Aber auf Dauer lässt sich unsere Bewegung nicht unterdrücken.“

Gleichgeschlechtliche Liebe ist Tabuthema

Für seinen trotzigen Optimismus sprechen die Fortschritte, die Aktivisten im türkisch besetzten Nordzypern erzielt haben, dessen Parlament die „unnatürliche“ Homosexualität als letztes europäisches Territorium erst 2014 entkriminalisierte. Obwohl die türkische Regierung das öffentliche Leben in ihrem De-facto-Protektorat kontrolliert, haben LGBT-Aktivisten Anfang Mai bereits zum zweiten Mal eine „Pride“-Woche abhalten können – inklusive Parade. „Daran haben mehr als 1000 Menschen in Nord-Nikosia teilgenommen“, sagt Sansal. „Ein gewaltiger Erfolg.“

Die Nordzyprer wurden dabei unterstützt von der LGBT-Gemeinde im griechischen Süden der geteilten Insel, vor der der antiken Mythologie nach die Liebesgöttin Aphrodite im Meer „schaumgeboren“ wurde. Dort hatte Druck aus der EU kurz vor der Jahrtausendwende dafür gesorgt, dass Homosexualität trotz massiven Widerstands der einflussreichen orthodoxen Kirche nicht mehr als Straftat gilt. Gleichgeschlechtliche Liebe ist aber auch in Südzypern nach wie vor ein Tabuthema. Erst 2014 konnte gegen den Protest orthodoxer Mönche und Priester eine „Pride Week“ mit Parade stattfinden. 2017 waren rund 5000 Menschen dabei und forderten mehr Rechte für LGBT. Für die „Cyprus Pride“ in Nikosia am kommenden Samstag rechnen die Organisatoren mit noch deutlich mehr Teilnehmern.

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