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Hilfe aus Hessen für Gaza: Wie Hans Eichel für Frieden in Nahost warb

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Als Ministerpräsident setzte sich Hans Eichel für Frieden zwischen Israelis und Palästinensern ein. Hessen richtete sogar ein Kontaktbüro in Gaza ein. Hier erzählt der SPD-Politiker, wie es dazu kam.

Kassel – Im September 1996 dachte Hans Eichel, der Nahostkonflikt könnte bald Geschichte sein. Der Kasseler SPD-Politiker war damals hessischer Ministerpräsident und hatte Prominenz aus Israel und Palästina zu einem Essen auf Schloss Biebrich geladen. Neben ihm am Runden Tisch saßen der Vorsitzende der palästinensischen Autonomiebehörde, Jassir Arafat, der israelische Botschafter in Deutschland, Avi Primor, und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis.

Arafat hielt eine Rede, in der er die Israelis als Cousins bezeichnete. Dessen Botschaft fasst Eichel heute so zusammen: „Beide Völker haben gemeinsame Wurzeln. Avi Primor antwortete im selben Geiste.“ Das Osloer Friedensabkommen lag noch nicht lange zurück. Trotz der Ermordung von Ministerpräsident Jitzchak Rabin im November 1995 durch einen rechtsradikalen israelischen Studenten schien eine Zweistaatenlösung möglich. Auf die wird auch heute noch verwiesen, um Frieden in Nahost zu schaffen, der nach dem Terrorangriff der Hamas vom 7. Oktober und der Militäroffensive Israels in Gaza in weite Ferne gerückt zu sein scheint.

Als erster deutscher Ministerpräsident besuchte Eichel Arafat in Gaza

Als Ministerpräsident setzte sich auch Eichel für Entspannung ein. Hessen war das einzige Bundesland, das ein Kontaktbüro in Gaza einrichtete. Es gab Pläne für eine Sonderwirtschaftszone, die die ökonomische Entwicklung vorantreiben sollte. Schulen und Blindenschulen in den Autonomiegebieten erhielten Investitionen.

Zudem waren Städtepartnerschaften zu dritt angedacht. Israelische und palästinensische Kommunen waren laut Eichel damals noch nicht so weit, dass sie untereinander Partnerschaften hätten abschließen können: „Darum sollten deutsche Städte als Dritte im Bunde fungieren.“

Treffen in Gaza: 1998 besuchte Hessens Ministerpräsident Hans Eichel PLO-Führer Jassir Arafat, wie die HNA damals auf der ersten Seite berichtete. Repro: HNA-Grafik
Treffen in Gaza: 1998 besuchte Hessens Ministerpräsident Hans Eichel PLO-Führer Jassir Arafat, wie die HNA damals auf der ersten Seite berichtete. © HNA-Grafik

Im November 1998 druckte die HNA ein Bild auf Seite 1, das den Sozialdemokraten und Arafat bei Gesprächen in Gaza zeigte. Es ging um den Bau einer Eisenbahn von Gaza nach Hebron, die von der Firma Adtranz in Kassel und Mannheim entwickelt werden sollte. Parallel zur Bahnstrecke sollte auch eine Autobahn gebaut werden, um die beiden palästinensischen Gebiete miteinander zu verbinden, wie der damalige Regierungssprecher Klaus-Peter Schmidt-Deguelle sagt. Aus alldem wurde nichts.

Die Bemühungen in Nahost waren für Eichel eine Pflicht, die sich aus der Shoah ergab. Als Oberbürgermeister setzte er sich etwa dafür ein, dass Kassel als eine der ersten deutschen Städte das Schicksal der Juden erforschte. Und er sagt: „Angesichts der Tatsache, dass wir ein ganzes Volk vernichten wollten, ist es unsere Pflicht, dass wir alles dafür tun, damit Juden in Israel in Frieden leben können. Voraussetzung dafür ist auch, dass sich die Lebenssituation der Palästinenser verbessert.“ Als erster deutscher Ministerpräsident besuchte er Arafat in Gaza. Daraus habe sich ein besonderes Verhältnis entwickelt.

Eichel glaubt weiter, dass Frieden in Gaza möglich ist

Sehr eng war auch sein Kontakt zu Schimon Peres, der erst Außenminister war und dann Rabins Nachfolger als Ministerpräsident: „Alles, was wir damals gemacht haben, war mit ihm abgesprochen.“ Wenn Eichel nach Israel und Gaza reiste, waren nicht nur Kabinettskollegen wie Wirtschaftsminister Lothar Klemm dabei, sondern auch Ignatz Bubis und Moritz Neumann vom Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen.

Auch der damalige Finanzminister Karl Starzacher reiste nach Gaza. Dort zeigte ihm Jassir Arafats Frau Suha at-Tawil ein Flüchtlingslager. Noch heute findet Starzacher die Bedingungen, die damals herrschten, erschreckend: „Die Mitglieder einer Familie mussten in Schichten schlafen, weil nicht genügend Platz für alle war. Bis heute wird die Trinkwasserversorgung von Israel gesteuert.“

Der SPD-Politiker ist überzeugt: Wenn die Lage in Gaza und anderswo nicht besser werde, werde sich an dem Migrationsproblem nichts ändern.

Eichel, der sich immer wieder in die Antisemitismus-Debatte um die documenta einmischt und dafür von vielen als „Stimme der Vernunft“ wahrgenommen wird, wie es Schmidt-Deguelle sagt, glaubt weiter daran, dass Frieden möglich ist – mit einer Zweistaatenlösung.

Existenzrecht Israels für Deutschland nicht verhandelbar

Wenn der 82-jährige Eichel in Berlin ist, besucht er regelmäßig einen Marokkaner am Rosenthaler Platz, um eine Currywurst zu essen. Einmal klagte der Gastronom, dass die deutsche Außenpolitik im Nahostkonflikt zu einseitig auf israelischer Seite sei. Eichel antwortete ihm, dass das Existenzrecht Israels für Deutschland nicht verhandelbar sei. Das habe der Marokkaner verstanden.

Zugleich fordert Eichel von Israel, dass es das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat anerkennt: „Eine dem Völkerrecht in jeglicher Hinsicht genügende Politik Deutschlands würde auch helfen, dass die Muslime in Deutschland unsere Position verstehen und nicht in die innere Migration gehen.“ (Matthias Lohr)

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