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Syphilis & Co. öffnen die Pforten

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Der Weltaidstag am 1. Dezember soll helfen, dass die Immunschwächekrankheit nicht in Vergessenheit gerät.
Der Weltaidstag am 1. Dezember soll helfen, dass die Immunschwächekrankheit nicht in Vergessenheit gerät. © ap

In Deutschland infizieren sich wieder mehr Menschen mit dem Aids-Erreger - die HIV-Therapie hat langfristig oft schwere Nebenwirkungen. Von Nicola Siegmund-Schultze

Von NICOLA SIEGMUND-SCHULTZE

Los Angeles 1981. Bei fünf homosexuellen Männern diagnostizieren Ärzte eine bislang unbekannte Kombination von Krankheitszeichen: eine seltene Form der Lungenentzündung, einen ebenfalls seltenen Tumor, das Kaposi-Sarkom, und Pilzinfektionen. Die Mediziner rätseln. Die Symptome sind ihnen nur im Zusammenhang mit angeborener oder durch Medikamente hervorgerufene Immunschwächen bekannt. Aber darauf gibt es keinen Hinweis bei den Patienten.

Das merkwürdige Krankheitsbild, das kurz darauf auch bei heterosexuellen Menschen auftritt, erhält den Namen "acquired immune deficiency", zu Deutsch: erworbene Immunschwäche, in der Kurzform Aids.

Gut ein viertel Jahrhundert später stecken sich täglich rund 7000 Menschen neu mit dem Erreger von Aids an, dem HI-Virus. Auf 33 Millionen wird die Zahl der Infizierten weltweit geschätzt, davon 2,5 Millionen Kinder unter 15 Jahren. Die meisten Betroffenen leben in afrikanischen Ländern südlich der Sahara. "HIV ist zu einem Symbol für eine globalisierte Welt geworden - allerdings für eine abwehrgeschwächte", sagt Christoph Benn von der Sonderabteilung Aids der Vereinten Nationen (Unaids).

Ein Virus erobert die Welt

Den Sprung über die Artgrenze vom Tier zum Menschen hat das Virus neuesten Erkenntnissen zufolge vermutlich früher geschafft als bisher angenommen, nämlich zwischen 1884 und 1924 im westlichen Zentralafrika (Nature, Band 455). In diesen Zeitraum fällt die Urbanisierung der Region, von der die Verbreitung des Virus vermutlich ihren Ausgang nahm.

Dass heute immerhin circa jeder dritte Patient in Entwicklungsländern eine HIV-Therapie erhalten kann, ist auf eine in diesem Umfang neue Solidarisierung von Betroffenen in westlichen Ländern mit infizierten oder gefährdeten Menschen in aller Welt zurückzuführen, sagt Benn.

Die Lobbyarbeit begann mit Hauptbetroffenen in den USA: gebildeten, untereinander gut vernetzten Homosexuellen mit Erfahrung in politischer Arbeit. Sie habe, so Benn, zu einer internationalen und politisch wirksamen Mobilisierung für Chancengleichheit und ein stärkeres Bewusstsein für Gerechtigkeit und Fairness bei der Gesundheitsversorgung geführt. In der Folge seien Versorgungsstrukturen verbessert und die Preise für Aidsmedikamente in Entwicklungsländern um bis zu 95 Prozent gesenkt worden. Die internationalen Organisationen stellten insgesamt mehr Mittel für die Grundversorgung in armen Regionen zur Verfügung, und auch die einzelnen Nationen hätten ihre Gesundheitsetats erhöht.

Im vergangenen Jahr hat die UN-Vollversammlung als Ziel formuliert, bis 2010 sollten mindestens 80 Prozent der Infektionsgefährdeten und Infizierten Unterstützung zur Prävention, Therapie und zum Leben mit der Krankheit erhalten, so der UN-Experte. Ebenfalls 2007 wurde beim G8-Gipfel in Heiligendamm beschlossen, 60 Milliarden US-Dollar für die kommenden fünf Jahre zur Bekämpfung der HIV-Infektion, von Malaria und Tuberkulose bereit zu stellen, allein 50 Milliarden Dollar sollten aus den USA kommen. Dennoch seien Prävention und Therapie von HIV unterfinanziert.

So sieht es auch das Europäische Parlament. Die Zahl der Neuinfektionen steige in einigen Ländern der Europäischen Union wie Großbritannien und östlichen EU-Nationen "erschreckend an", heißt es in einer Entschließung des Parlaments vor wenigen Tagen. Elf Prozent der neu infizierten Menschen seien unter 25 Jahren.

Im Juli 1982 wurde Aids erstmals in Deutschland diagnostiziert, nämlich an der Universitätsklinik Frankfurt. Seither haben sich circa 86 000 Menschen angesteckt, 35 200 sind an Aids erkrankt und etwa 27 500 daran gestorben (Epidemiologisches Bulletin Nr. 47, 2008 vom Robert-Koch-Institut Berlin). Deutschland nimmt zwar mit circa 33 Neudiagnosen pro Jahr und Million (Mio.) Einwohner einen hinteren Rang in Europa ein (aktuellste Zahlen von 2006: www.eurohiv.org). In Portugal sind es rund sechs Mal so viele (205 Neuninfektionen pro Mio Einwohner und Jahr) und in Großbritannien gut vier Mal so viele wie in Deutschland (149 pro Mio.). Im gesamten Bereich der EU infizierten sich 2006 jährlich 111 Menschen pro Million Einwohner.

Trotz der vergleichsweise niedrigen Zahlen in Deutschland: Die Neudiagnosen haben sich seit 2001 etwa verdoppelt, von damals 1443 auf 2750 im Jahr 2007, 2008 werden es circa 3000 Neuinfizierte sein. Nach Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) ist der steigende Trend nicht nur auf mehr Tests, verzögerte Diagnosen und Meldungen zurückzuführen, sondern auch darauf, dass sich wieder mehr Menschen anstecken.

Beschleuniger Internet

Von den Neuinfektionen sind zu circa 70 Prozent Männer, die Sex mit Männern haben, betroffen, circa 20 Prozent sind auf heterosexuelle Kontakte zurückzuführen. Die übrigen infizieren sich durch das gemeinsame Nutzen von Spritzen beim Drogenkonsum; jährlich stecken sich zudem 15 bis 20 Kinder vor oder während der Geburt bei ihren Müttern an.

Homosexuelle Männer waren hierzulande schon immer stärker betroffen von HIV als heterosexuelle Menschen, weil für Männer, die Sex mit Männern haben, das Risiko beim ungeschützten Verkehr größer ist. Aber auch die neuen Medien könnten eine Rolle spielen, so das RKI: In Internetforen suchen homosexuelle Männer zunehmend nach Partnern, die - wie sie selbst - entweder HIV-positiv oder -negativ sind. Für Nichtinfizierte sei das Risiko, sich anzustecken, besonders hoch, weil die Angabe "HIV-negativ" sehr unsicher sei, warnen die RKI-Experten.

Außerdem erleichtern andere sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis, Gonorrhö und Infektionen mit Chlamydien es dem Aids-Virus, sich in neue Zellen einzuschleusen und erhöhen das Übertragungsrisiko. Allein die Zahl der gemeldeten Syphilis-Fälle hat sich seit 2001 in Deutschland verdoppelt.

Ob die HIV-Infektion ihren Schrecken verloren hat und die Menschen wieder höhere Risiken durch weniger Kondomgebrauch eingehen, wird kontrovers diskutiert. Möglicherweise schützen sich besonders gefährdete Risikogruppen weniger als zuvor.

Beitragen zur neuen Sorglosigkeit könnten auch die neuen Medikamente. Bei der Weltaidskonferenz in Mexico-City im August wurde deutlich: Mit einer intensiven HIV-Therapie lässt sich die Vermehrung der Viren vollständig stoppen.

Aber eben nur dies. Aus dem Körper eliminieren lassen sich die Viren nicht. Denn sie bauen ihre Erbsubstanz in Zellen ein, die das immunologische Gedächtnis bilden: Monate und manchmal Jahre liegen diese in einer Art Dornröschenschlaf, bis sie durch erneuten Kontakt mit einem Krankheitserreger erwachen und sich die Viren in ihnen vermehren.

Eine jahrzehntelange HIV-Therapie aber hat schwere Nebenwirkungen. Sie macht viele Betroffenen vorzeitig krank, arbeitsunfähig und pflegebedürftig. Die Deutsche Aidshilfe setzt sich daher zunehmend mit der Frage auseinander, wo und wie die Pflegebedürftigen angemessen versorgt werden können.

Internet: www.aidsberatung.de

www.machs-mit.de

www.gib-aids-keine-chance.de

www.check-dein-risiko.de

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