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Dem Wachstum die Grenzen aufzeigen

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Alles andere als ein Fachidiot: Dennis L. Meadows.
Dennis L. Meadows’ Bestseller veränderte die Sicht auf Welt. © picture-alliance / dpa

1972: Der Ökonom und Systemanalytiker Dennis Meadows setzt mit einem Wissenschafts-Thriller den Startpunkt der modernen Umweltbewegung.

Dennis Meadows ist ein junger Wissenschaftler, und alles andere als ein Fachidiot. Chemie hat er studiert, und dann, als er merkt, dass ihn das nicht ausfüllt, noch Betriebswirtschaft. An der US-Elite-Hochschule Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge macht er seinen Doktor. Thema der Arbeit: Anwendung des Modells der Systemdynamik auf die Entwicklung des Schweinefleischpreises. Doch er will die Welt kennenlernen. Er nimmt sich ein Jahr Auszeit. In einem Landrover bereist er mit Freunden Europa und Asien – von London nach Sri Lanka und zurück. In vielen Ländern erlebt der junge Mann, der im US-Bundesstaat Minnesota eine unbeschwerte Kindheit und Jugend genießen konnte, extreme Armut und Umweltzerstörung. Diese Erfahrung erschüttert ihn. Sie führt ihn aber auch zu seinem Lebensthema.

Nicht lange, nachdem Meadows von der Reise zurückgekehrt ist, bekommt der 28-Jährige die Chance seines Lebens. Einen Auftrag, der ihn weltberühmt macht. Der ein paar Jahre vorher gegründete, damals noch kaum bekannte Thinktank „Club of Rome“ überträgt ihm die Leitung eines Forscherteams am MIT. Ziel: mit einem Großrechner die Folgen des rasanten Wirtschafts- und Bevölkerungswachstums für die Welt zu analysieren. Die 17-köpfige Gruppe, darunter auch Meadows damalige Ehefrau Donella, legte 15 Monate später ein 180 Seiten umfassendes Büchlein mit vielen Grafiken und Schaubildern vor, das neben Rachel Carsons Schrift „Der stumme Frühling“ über die Folgen der Pestizidanwendung in der Landwirtschaft zum Startpunkt der modernen Umweltbewegung werden soll: „The Limits to Growth“ (deutsch „Die Grenzen des Wachstums“), erschienen 1972.

„Die Grenzen des Wachstums“ werden ein Super-Bestseller

Die „Grenzen“ werden zu einem Super-Besteller. Die Studie zur Zukunft der Menschheit erscheint in insgesamt über 30 Sprachen und wird rund 30 Millionen Mal verkauft. Kein anderes wissenschaftliches Werk schafft das, weder vorher noch nachher.

Meadows betritt wissenschaftliches Neuland. Der „Club“ aus Wissenschaftlern, Industriellen und anderen Personen des öffentlichen Lebens hat sein Mitglied, den MIT-Professor und Begründer der Systemdynamik, Jay Wright Forrester, beauftragt, das Verhalten des gesamten Erdsystems angesichts des exponentiellen Wachstums zu analysieren. Sein Mitarbeiter Meadows empfiehlt, die Simulation in der Computersprache Dynamo durchzuführen und bekommt den Zuschlag. Die Volkswagen-Stiftung wird gewonnen, das Projekt zu finanzieren, obwohl noch unklar war, ob Dynamo für das extrem komplexe Gebilde namens Erde überhaupt taugen würde. So entsteht das „World 3“-Modell, das hinter der „Grenzen“-Studie steht.

Der Mega-Erfolg des Meadows-Projekts hat auch mit einem Missverständnis zu tun. Die Untersuchung dekliniert die Entwicklung der Welt mit den zentralen Einflussgrößen Bevölkerung, Industrie- und Nahrungsmittelproduktion, Umweltbelastung und Rohstoffvorkommen durch – und zwar in einer ganzen Reihe von Szenarien. Doch beherrscht wird die dadurch ausgelöste Debatte praktisch nur von den pessimistischen Varianten. Sie zeigen: Irgendwann im Laufe des 21. Jahrhunderts erfolgt ein wirtschaftlicher und ökologischer Kollaps, und die Weltbevölkerung geht drastisch zurück. Dass im Jahr nach dem Erscheinen der Studie die erste Ölkrise die Weltwirtschaft in die Rezession schickt, scheint diese Sichtweise nur zu bestätigen. Doch Meadows und Co. haben ja auch die Vision eines „Zustands weltweiten Gleichgewichts“ und mögliche Wege dorthin beschrieben. Das allerdings geht fast unter.

Dennis Meadows‘ Studie: „Bombe im Taschenbuchformat“

Meadows hat das befremdet, natürlich. Vier Jahrzehnte später sagt er einmal zu den weltweiten Diskussionen, die die „Grenzen“ und zwei spätere „Updates“ dazu auslösten: „Die öffentliche Debatte fand weitestgehend ohne mich statt, denn die Leute wollten nicht meine Meinung hören, sondern hatten ihre eigene.“ Kein Wunder, dass die Reaktionen auf den Wissenschafts-Thriller unterschiedlicher nicht hätten sein können. „Die Zeit“ zum Beispiel nennt die Studie „eine Bombe im Taschenbuchformat“, für die „New York-Times-Book-Review“ ist sie ein „hohles und irreführendes Werk“. Besonders in den USA und Großbritannien attackieren Wissenschaftler und Politiker die Schwächen des Meadows-Ansatzes, etwa, dass das „Weltmodell“ die Wirklichkeit zu sehr vereinfache. Doch die „Grenzen“ sind offenbar genau das Instrument, das nötig ist, um die Aufmerksamkeit der Welt zu erregen. Und die Einsicht zu befördern, dass es grenzenloses Wachstum in einer begrenzten Welt nicht geben kann.

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Nach dem sensationellen Club-of-Rome-Erfolg wird Meadows Professor und Institutsdirektor. Er lehrt Studierende unter anderem, wie mathematische Modelle helfen können, Fragen der Energie- und Ressourcenwirtschaft zu lösen. Und er entwickelt Brettspiele für den Unterricht, die vermitteln, wie nachhaltiges Wirtschaften funktioniert. Emeritiert ist Meadows seit 2004. Er reist durch die Welt, hält Vorträge, sitzt in Aufsichtsräten, berät NGOs.

Dennis Meadows verbreitet keinen Optimismus

Viel Optimismus, dass die Weltgemeinschaft angesichts von Klimawandel und übernutzten Ökosystemen noch schnell genug umsteuert, verbreitet der heute 78-Jährige nicht. „Der Klimawandel, die Zerstörung des Ozeans, das Artensterben und andere existenzielle Probleme kommen vor allem von den Reichen – von uns. Und wir haben nicht mehr viel Zeit, das zu ändern und die Probleme zu lösen“, sagte er 2019 in München bei der Verleihung des Deutschen Kulturpreises an ihn. Nötig sei eine „Umlenkung der Gesellschaft – weg von ihren bisherigen Zielen“. Er analysiert: „Diejenigen, die die zerstörerischen Veränderungen der Welt weiter vorantreiben, setzen ihren eigenen Erfolg mit immer mehr gleich – mehr Geld, mehr Macht, mehr Energie, mehr Geschwindigkeit, mehr materiellem Reichtum. Sie haben uns gezwungen, sie zwingen uns, in einer Fantasiewelt zu leben, die auf einem globalen Betrugssystem basiert.“

Einen Wandel werde es in jedem Fall geben, glaubt Meadows. Die Frage sei nur, ob dieser vom Menschen angestoßen werde, etwa durch Geburtenkontrolle und eine schnelle Energiewende, oder ob der Planet Erde ihn erzwinge. Verbittert allerdings ist der Ökonom auch fast 50 Jahre nach den „Grenzen“ nicht. „Ich habe festgestellt, dass es niemanden interessiert, ob ich traurig bin oder nicht. Also habe ich mich entschieden, glücklich zu sein.“

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