Der traditionelle Hahnenkampf in Indien findet begeisterten Zulauf
Verbot Bereits 1960 wurden Hahnenkämpfe für illegal und zu strafbaren Handlungen erklärt. Dass sie doch – unter Auflagen – weiter stattfinden, ist eine Konzession an tribalistisch geprägte Gewohnheiten in zentralen Bundesstaaten wie Chhattisgarh
Um Wut und Aggressivität der Hähne zu steigern, werden sie am Tag eines Kampfes nicht gefüttert
Foto: Oscar Espinosa
Willst du diesen Hahn haben, musst du 15.000 Rupien dafür bezahlen! Mach nicht dieses Gesicht! Es ist mein letztes Angebot!“ Vijay hockt mit ernster Miene, barfuß und aufgeregt vor seinem Hahn und streitet mit einem potenziellen Käufer über den Preis. Bis zu 50.000 Rupien (umgerechnet 600 Euro) werden auf diesem Markt im Bundesstaat Chhattisgarh für ein Tier gezahlt. Als Vijay am Morgen sein Haus in einem kleinen Dorf verließ und ein 20 Kilometer langer Fußmarsch vor ihm lag, brach er mit seinem besten Hahn in der Einkaufstasche zum Wochenmarkt in Pamela auf, einer kleinen Stadt in der Nähe von Jagdalpur in Zentralindien.
Woche für Woche kommen dort Männer zusammen, die von Hahnenkämpfen unwiderstehlich angezogen werden, hohe Eins
hohe Einsätze nicht scheuen und auf ihr Glück hoffen. Allerdings ist das nur zu haben, wenn es Männer wie Vijay gibt, die in Pamela ihre Tiere verkaufen. Unter Schatten spendenden Bäumen versammeln sich dort rings um den Markt die Interessenten, um Anschaffungen auszuhandeln und Kämpfe zu vereinbaren. Dabei orientiert man sich an der Größe und dem Gewicht der Hähne, damit die Ansetzungen halbwegs fair sind. Während hier und da noch gefeilscht wird, beginnt schon das „Aufwärmen“, indem die Tiere zwischen dichten Staubwolken zum Kampf angestachelt werden. Alle warten auf das Ende des Marktes und den Beginn des Spektakels.Klingen und SporneHahnenkämpfe oder „Murga Ladai“ bedienen auf charakteristische Weise die Stammesidentität im Distrikt Bastar, der zum Staat Chhattisgarh gehört. Obwohl dort wie auch in anderen Regionen Indiens weiterhin Hahnenkämpfe durchgeführt werden und die Gemüter erregen, verstoßen sie doch gegen ein landesweites Verbot, das seit 1960 besteht. Nach dem Erlass eines Gesetzes gegen Tierquälerei wurden Hahnenkämpfe seinerzeit für illegal und zur strafbaren Handlungen erklärt. Dieses Verdikt wurde danach mehrmals von der Justiz bekräftigt, nicht zuletzt vom Obersten Gerichtshof des Landes, der 2015 die Ächtung von Hahnenkämpfen bestätigte. Ein Jahr später trafen die höchsten Richter des Staates Andhra Pradesh ebenfalls eine Entscheidung, die sich klar an die geltende Rechtslage hielt. Dann jedoch rang sich die höchste Rechtsprechung in Delhi 2018 zu einem Zugeständnis an tribalistisch geprägte Gewohnheiten durch, indem sie eine Rückkehr zu „traditionellen Hahnenkämpfen“ erlaubte, freilich einschränkend erklärte, die Austragung müsse ohne den Gebrauch von Klingen und Spornen stattfinden. Glücksspiele, vor allem das Wetten, hätten zu unterbleiben.Für eine Stadt wie Pamela wurden daraus keine bindenden Regularien. Es fand sich schlichtweg niemand, der sie durchsetzen wollte. Wenn dort die Mittagshitze brütet, der Markt an Zuspruch verliert, Stände abgebaut werden, die Händler einpacken und zum Aufbruch rüsten, versammeln sich Dutzende von Männern und bilden einen improvisierten Kreis von etwa fünf Meter Durchmesser. Umgeben von ein paar Schaulustigen warten sie auf den Beginn der Show. Die meisten haben Geldscheine zum Wetten in der Hand, auch steht die Reihenfolge der Kämpfe bereits fest. Bevor sie aufeinander losgehen, werden die Hähne mit einer gut geschärften, sieben bis acht Zentimeter langen Klinge gereizt und in die gewünschte Stimmung versetzt. Wenn zwei Männer mit den Hähnen in der Hand in die Mitte des Kreises treten, fangen die Umstehenden an, mit den Geldscheinen zu wedeln und die Wetteinsätze für ihren Favoriten zu rufen. Hektische, verzehrende, brodelnde zehn bis fünfzehn Minuten folgen. So lange dauert ein Kampf, in dessen Verlauf die Männer nie darin nachlassen, „ihren Hahn“ anzufeuern. Die Kampftechniken können sich unterscheiden. Es gibt Hähne, die durchweg am Boden bleiben, andere erheben sich um wenige Zentimeter und attackieren den Gegner mit wildem Flügelschlag. Durch die Zucht kann beeinflusst werden, wie sich die Tiere verhalten – allein das Gewicht kann den Ausschlag über Sieg oder Niederlage geben.Alles ist schlagartig vorbei, wenn zur Enttäuschung der einen und zur Freude der anderen ein schwer verwundeter weißer oder rotbrauner Hahn in seinem Blut und im Sand liegt. Es folgen Sekunden der Stille, in denen alle den Ausgang des Kampfes annehmen und das Geld, begleitet von langen oder lächelnden Gesichtern, den Eigentümer wechselt, während man sich zugleich auf die nächste Runde freut. „Es war ein guter Hahn, auf den ich gesetzt habe. Ich dachte, er würde mir mehr Glück bringen“, seufzt Rudra. „Aber so ist das, manchmal gewinnt man, manchmal verliert man.“ Nachdem er kurz die Wunden des unterlegenen Tiers in Augenschein genommen hat, wirft er es in eine Ecke, in der alle sterbenden Hähne auf einem Haufen liegen. Ein Duell gilt dann als beendet, wenn ein Hahn wegen der ihm zugefügten Verletzungen erschöpft zu Boden sinkt, liegen bleibt und ausblutet. Wobei meist auch der Konkurrent erhebliche Blessuren davonträgt. „Der Wochenmarkt wäre nicht mehr das, was er ist, gäbe es keine Hahnenkämpfe. Die Leute warten jede Woche darauf, um Geld zu setzen und zu verdienen“, meint Rudra. „Pamela ist als Arena bekannt und geschätzt, auch wenn es hier in der Gegend andere Orte dafür gibt. Manche bestreiten das, aber es ist so.“Die Straße, die Jagdalpur mit Raipur, der Hauptstadt von Chhattisgarh, verbindet, verläuft durch die Gemeinde Bastar und hat den Vorzug, eine asphaltierte Piste zu sein. Auch in Bastar gibt es einen Wochenmarkt, größer und um einiges belebter als der von Pamela. Natürlich weiß niemand etwas über Hahnenkämpfe, sobald man sich danach erkundigt – bis der Besucher förmlich darauf gestoßen wird. Im Schatten von Akazien, umgeben von einem verwitterten Holzzaun, steht eine Gruppe von Männern, die wie zur Tarnung Einkaufstüten mit sich herumtragen. Die üblichen Rituale schälen sich auch hier aus dem Marktalltag heraus, wenn über den Kaufpreis eines Hahns verhandelt wird, zugleich andere Hähne unter den aufmerksamen Blicken der Wettgemeinde kreischend und sich aufbäumend ihre Kampfeslust unter Beweis stellen.Es ist kurz nach ein Uhr mittags. Als der Markt nebenan langsam einschläft, werden alle Hähne plötzlich wieder eingesammelt und in Einkaufstüten verpackt. Der Schauplatz wird noch einmal gewechselt, es geht einen kleinen, ausgetretenen Pfad entlang, vorbei an halb eingestürzten Häusern, in Richtung eines von Draht umzäunten Terrains, dem für heute auserkorenen Austragungsort der Kämpfe. Er liegt in praller Sonne und wird nur durch ein paar Bäume beschirmt, die bei Temperaturen von über 35 Grad zwar Schatten spenden, aber nichts und niemanden abkühlen. Der Vorteil dieses Areals besteht offenbar darin, dass es in einer verwahrlosten Gegend liegt und Menschen abstößt, die sich die Kämpfe gern als Zaungäste ansehen, aber keinen Einsatz riskieren.Einige Männer besprechen den Ablauf und denkbare Ansetzungen. Um die Hähne widerstandsfähiger zu machen, werden sie vor einem Kampf besonders mit Nüssen und Fleisch gefüttert, am Tag selbst bekommen sie nichts, weil der Hunger Wut und Aggressivität steigert. Ein ähnlicher Effekt tritt ein, wenn Hähne bis zu eine Woche lang im Dunkel großer geflochtener Körbe eingesperrt bleiben, um sie so in einen Stresszustand zu versetzen, der einen erbitterten Kampf garantiert. Manche Züchter schneiden ihren Tieren die Kämme und das Fleisch unterhalb des Schnabels ab, um zu verhindern, dass andere Hähne diese Körperpartien abreißen. Üblich sind zuweilen auch schmerzlindernde Mittel, um die Ausdauer zu verlängern. Wenn die Intensität eines Kampfes jäh nachlässt, nehmen die Halter ihre Hähne hoch und ziehen an ihren Schnäbeln oder schlagen ihnen auf den Rücken, damit sie reagieren und weiterkämpfen. „Man muss das tun, sonst fangen die Leute an, sich lauthals zu beschweren“, erklärt jemand, der gerade einen Wettkampf mit einem Hahn unter dem Arm beobachtet.In Bastar sind auch ein paar Kinder zum Zuschauen geeilt und sehen, was besser verborgen bliebe. Sporne oder Klingen aus Schildpatt oder Metall werden jeweils an den Läufen der Hähne befestigt, die als nächste kämpfen sollen. Dadurch kann ein Aufeinandertreffen in weniger als einer Minute vorbei sein. Dies geschieht, wenn ein Hahn mit einem gezielten Tritt seine Klinge in die Seite des Gegners treibt, der nach kurzem Taumeln blutend in den Sand fällt. Sterbend wird das Tier hier neben einen Eimer mit Wasser geworfen, das dazu dient, die Wunden der überlebenden Hähne zu befeuchten und sie nach dem Kampf trinken zu lassen.Placeholder authorbio-1
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