Schulträger in Hessen: Der Pakt für den Nachmittag : Datum: Autor: Autor/in: Ralf Augsburg

In Frankfurt am Main und im Landkreis Offenbach besteht eine enorme Nachfrage nach Ganztagsschulen. Wie die Kommunen mit dieser Herausforderung umgehen und welche Rolle der „Pakt für den Nachmittag“ des Landes Hessen spielen könnte, erörterte die Tagung "Schulträger gestalten Ganztagsschule".

Es braucht nicht lange auf der Tagung „Schulträger gestalten Ganztagsschule“, bis sich einer der Teilnehmenden erstaunt vernehmen lässt: „Ich weiß ja, dass jede Schule sich von der anderen unterscheidet. Dass aber auch Schulträger so unterschiedliche Ansätze haben, hätte ich nicht gedacht.“

Wie wichtig die Schulträger für die Qualität der Ganztagschule sind, hat die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ Hessen erkannt: Bereits zum zweiten Mal lud sie am 15. Juli 2014 Vertreterinnen und Vertreter hessischer Verwaltungen nach Frankfurt am Main ein, um sich zu informieren und gegenseitig auszutauschen, wie in den Kommunen der Ganztagsschulausbau und -betrieb organisiert wird.

„Die Rückmeldungen auf unsere erste Tagung waren so positiv, dass wir uns entschlossen haben, dieses Format fortzusetzen“, erklärt Michael Schmitt von der Serviceagentur. Seine Kollegin Stephanie Welke ergänzt: „Jeder Schulträger hat einen anderen Zugang. Wir wollen den Schulträgern den Blick über den Tellerrand ermöglichen.“ Und schließlich hält Cornelia Lehr vom Referat für ganztägige Angebote im Hessischen Kultusministerium die Veranstaltung im Hotel Spenerhaus auch aus dem Grund für wichtig, dass „nicht überall immer wieder von neuem Ideen gefunden werden müssen und Fehler wiederholt werden“.

Frankfurt am Main ist sicherlich ein Sonderfall. Die Main-Metropole sieht sich von stark steigenden Schülerzahlen gefordert – in einer Grundschule wird beispielsweise gerade ein siebenzügiger Jahrgang eingerichtet. Dazu kommt die enorme Nachfrage nach ganztägiger Bildung und Betreuung durch die Eltern. „In manchen Stadtgebieten sind alle Kinder im Ganztag angemeldet, die Nachfrage liegt dort bei 100 Prozent“, berichtete Jutta Andes vom Stadtschulamt, Abteilung „Pädagogische Schulentwicklung“.

68 außerschulische Träger engagieren sich in Frankfurt am Main

Mit den Landesressourcen kann Frankfurt den Bedarf nicht decken. Die Stadt organisiert daher die „Erweiterte Schulische Betreuung“ (ESB). Im Schuljahr 2013/2014 hat es rund 3.150 ESB-Plätze in rund 50 Grundschulen gegeben. Die Zahl dieser Betreuungsplätze steigt seit dem Schuljahr 2005/2006 mit jährlich 600 Plätzen. Pro 60 Schülerinnen und Schüler erhält die Schule eine zusätzlich freigestellte, von der Kommune finanzierte Leitungsstelle. Insgesamt investiert die Stadt 140.000 Euro jährlich in jede Schule. ESB ist ein Element der Ganztagsschulentwicklung in der Main-Metropole. Sie umfasst eine Frühbetreuung und zudem eine tägliche Betreuungszeit von 11.30 Uhr bis 15.00 Uhr beziehungsweise bis 17.00 Uhr. Dazu gibt es eine Ferienbetreuung. Die Elternentgelte werden analog der Entgeltregelung für Frankfurter Kindertageseinrichtungen geregelt.

Das ESB-Angebot soll Kinder ganzheitlich fördern, Bildungs- und Entwicklungsprozesse anregen, altersgerechte Freizeitbeschäftigung ermöglichen. Die Umsetzung erfolgt über Träger der Jugendhilfe oder andere Träger wie zum Beispiel Fördervereine. Momentan engagieren sich 68 Träger in den Ganztagsgrundschulen. Die Kooperation mit der Grundschule, gerade im Hinblick auf eine gemeinsame Ganztagsschulentwicklung, und mit den Einrichtungen im umliegenden Schulbezirk, ist fester Bestandteil der Konzeption.

Förderprogramme und Strukturen zusammenführen

„Unser Ziel ist es, die bestehenden Förderprogramme und vorhandenen Strukturen im jeweiligen Stadtteil so zusammenzuführen, dass für alle Schülerinnen und Schüler ein verlässliches Angebot der ganztägig arbeitenden Schule vorhanden ist“, erläuterte Jutta Andes. „Dies soll unter zwei Prämissen geschehen: Entwicklung einer lokalen Bildungslandschaft und Verzahnung von Bildungs- und Betreuungsangeboten mit sozialem Lernen.“

Die ESB-Plätze sind in den Jahrgangsstufen 1 und 2 eingerichtet, während in den Klassen 3 und 4 die vom Land finanzierten Ganztagsangebote greifen, wobei an zwei bis drei Tagen ein rhythmisierter Unterricht stattfindet. „Perspektivisch streben wir die Aufhebung der Trennung von Erweiterter Schulischer Betreuung und Ganztagsangeboten an, sodass die Gestaltung des Schultages bis 14.30 Uhr in den Händen der Schule liegen wird“, berichtete Jutta Andes. „Es wird dann keine platzbezogene, sondern eine schulbezogene Förderung geben. Wir erhoffen uns einen verbesserten Einsatz der Finanzen, ein sinkendes Elternentgelt und mehr Transparenz über die unterschiedlichen Angebote.“

Inhaltlich erwartet man von den Schulen mehr rhythmisierte Schultage, mehr Unterricht und einen verstärkten Lehrereinsatz am Nachmittag. „Die neue Richtlinie ermöglicht uns, von den Schulen Nachweise über ihren Lehrereinsatz einzufordern“, so Jutta Andes. Nachgelegt werden müsse auch im Bereich Mittagessen, denn immer mehr Mensen stoßen an ihre Kapazitätsgrenzen. Am Gymnasium Riedberg in Frankfurt zum Beispiel nutzen 800 von 1.600 Schülerinnen und Schülern die Schulverpflegung. Zu Beginn sei die Resonanz allerorten noch gering gewesen, inzwischen aber steige der Bedarf nach Mittagessen ständig.

Fördervereine können Ganztagsschulen nicht mehr stemmen

Für den Landkreis Offenbach konstatierte die Diplom-Pädagogin Elke Tomala-Brümmer eine „völlig andere Tradition als in Frankfurt“. Hier gründeten sich bereits Ende der 1980er Jahre Elterninitiativen für die Schulkindbetreuung, oftmals als Fördervereine. „Geregelt war nirgends was“, erinnert sich die Erzieherin und Sozialarbeiterin. Das änderte sich schlagartig mit der Novellierung des Hessischen Schulgesetzes 2002: „Plötzlich galten solche Initiativen als schulische Veranstaltungen.“

Offenbach begann mit dem konzeptionellen Ganztagsschulausbau in den Grundschulen. Aktuell arbeiten 33 der 49 Grundschulen als Ganztagsschulen. „Die Fördervereinsstruktur bröckelt“, berichtet Elke Tomala-Brümmer. „Bei Ganztagsschulen, in denen 260 Kinder die Ganztagsschule besuchen, liegt der Etat bei einer halben Million Euro. Das ist eine Verantwortung wie in einem mittelständischen Unternehmen.“

Der Versorgungsgrad in der Grundschule liege bei 80 Prozent der Kita-Plätze. So bestehe ein immenser Druck, weitere Ganztagsschulplätze in der Primarstufe und der Sekundarstufe I zu schaffen. Auch die Ferienbetreuung habe einen großen Zulauf. „Um die Qualifikation der in den Ganztagsschulen beschäftigten nicht-pädagogischen Fachkräfte zu verbessern, organisieren wir Zertifikatskurse , in denen die Teilnehmenden mit Grundlagen der Pädagogik, Kommunikation, gesetzlichen Grundlagen und Kinderschutz vertraut gemacht werden“, führte Elke Tomala-Brümmer aus. „Wir erhalten darauf positive Rückmeldungen aus den Schulen, und es ist beeindruckend, wie die Fachkräfte sich freuen, wenn sie das Zertifikat erhalten.“

Pakt für den Nachmittag steht bevor

Nicht verschwiegen wurden die noch immer bestehenden Reibungsverluste zwischen Schule und außerschulischen Partnern. „Den Alltag in einer additiven Ganztagsschule zu organisieren, ist aufwendig, und ich erlebe immer wieder Schulleitungen am Limit“, berichtete die Diplom-Pädagogin. „Ich erhoffe mir, dass wir von den additiven zu rhythmisierten Modellen kommen, in denen sich Unterrichts-, Bewegungs-, Förder- und Kreativangebote abwechseln. Das, was die Landesregierung mit ihrem ‚Pakt für den Nachmittag’ in der Koalitionsvereinbarung formuliert hat, scheint in diese Richtung zu gehen.“

Dieser „Pakt für den Nachmittag“ war auf der Tagung allgegenwärtig. Grundschulen, die an dem Pakt teilnehmen, werden an fünf statt bisher an drei Wochentagen ein Ganztagsprogramm bis jeweils 14.30 Uhr bieten können, entsprechend steigen die Landeszuschüsse. Die Finanzierung ab 14.30 Uhr soll durch die Kommunen und Eltern sichergestellt werden. Cornelia Lehr aus dem Kultusministerium sieht „den Zeitpunkt gekommen, die unterschiedlichen Systeme Schule und Jugendhilfe in den Blick zu nehmen und zusammenzuführen“.

14 Schulträger, hauptsächlich aus Mittelhessen, wo wie in Frankfurt am Main der Bedarf an weiteren Ganztagsplätzen offenkundig am höchsten ist, haben sich beworben, als Pilotregionen im Schuljahr 2015/16 zu starten. Sechs von ihnen sind ausgewählt worden, im kommenden Schuljahr durch Steuergruppen aus Vertreterinnen und Vertretern des Kultus- und des Sozialministeriums, der Kommunalaufsicht und der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ begleitet zu werden und 145 zusätzliche Stellen zur Umsetzung eines passgenauen und freiwilligen Ganztagsangebots für Bildung und Betreuung zu erhalten. Es handelt sich um die die Stadt Kassel, die Stadt Frankfurt, den Landkreis Bergstraße, den Landkreis Gießen, den Landkreis Darmstadt-Dieburg sowie die Stadt Darmstadt.

Im Schuljahr 2016/2017 sollen dann die restlichen Schulträger des Landes aufgenommen werden. Eine Botschaft war deutlich: „Mit Angeboten bis 14.30 Uhr locken Sie heute niemand mehr hinter dem Ofen hervor.“

 

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