Eine seltsame Revolution. Sie braucht kaum Platz, keine Parolen, kein einziges Wort. Ihr genügt ein sparsam beleuchteter Raum mit einem Tisch, verhängt mit einer schwarzen Decke. Darauf steht, altargleich, ein Ölgemälde. Eine ungekannte, eigentümliche Magie geht von dem Bild aus. „Es ergriff alle, die ins Zimmer traten, als beträten sie einen Tempel“, berichtet später eine Besucherin. „Die größten Schreihälse sprachen leise und ernsthaft wie in einer Kirche.“
Caspar David Friedrich spaltet die Kunstwelt
Sorgfältig hat der Maler des Gemäldes seine Inszenierung geplant, die ihre Wirkung an diesen Weihnachtstagen des Jahres 1808 in Dresden nicht verfehlt. Dabei wollte er sein für eine Hauskapelle vorgesehenes Werk zunächst nur Freunden zeigen. Doch die drängten ihn zu dieser sonderbaren Ausstellung in seinem Atelier, in der nur ein einziges Bild zu sehen ist.
Es heißt „Kreuz im Gebirge“ und stellt einen silhouettenhaften, von Tannen umwachsenen Felsgipfel dar. Auf diesem steht ein Kreuz, daran ein Heiland aus Metall, der im Licht unnatürlicher Strahlenbündel leuchtet. Eingefasst ist das Bild in einem eigens geschnitzten, vergoldeten Rahmen, mit gotischen Säulen, Engelsköpfen und dem allsehenden Auge Gottes. Binnen weniger Tage wird das Gemälde zum beherrschenden Thema in den intellektuellen Zirkeln Dresdens.
Schon bald spaltet es die Kunstwelt der Stadt, dann die des ganzen Landes. Der Auslöser dieser Kontroverse, ein menschenscheuer Blondschopf namens Caspar David Friedrich, erfährt davon anfangs nichts. Während Kunstinteressierte und Neugierige über Tage seine Arbeitsstätte an der Elbe aufsuchen, ist er verreist. Erst nach seiner Rückkehr erfährt er von den Reaktionen, die sein Bild ausgelöst hat: Lob, Begeisterung – und harte Kritik.