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Nordseeinsel 10 Geschichten über Helgoland

Die lange Anna vor Helgoland
Das Wahrzeichen der Insel: Die lange Anna vor Helgoland
© rpeters86 / Fotolia
Mehr als ein Fels in der Brandung: zehn Geschichten über ein bewegtes Fleckchen Land, das sich gerade neu erfindet

Eine Insel mit zwei Teilen

Nach zweieinhalb Stunden Fahrt über die kabbelige Nordsee taucht sie aus dem Meer auf wie ein steinernes Bollwerk gegen die Elemente: Helgoland, Deutschlands einzige Felsinsel. Rotweiß geäderter Buntsandstein, grüne Wiesen, bunte Häuschen. Nur rund einen Quadratkilometer misst die Hauptinsel, gestuft in Unter-, Mittel- und das gut 60 Meter hohe Oberland. Etwas weiter östlich liegt Helgolands Sidekick: die Düne, eine 0,7 Quadratkilometer kleine Badeinsel, flach wie ein Spiegelei und mit schneeweißen Stränden.

Insgesamt ist die Landfläche nur wenig größer als der Hamburger Stadtpark. Das reicht – für fünf Häfen, einen Flugplatz, zwei Naturschutzgebiete, eine Inselbahn, eine Schule, ein Krankenhaus, zwei Friedhöfe, einen Pony-Club (ohne Ponys), mehrere Gesangvereine, einen Kleingartenverein mit etwa 75 Gärten, einen Campingplatz, eine Jugendherberge und mehr als 2000 Gästebetten. Und für offiziell etwa 1400 Einwohner.

Anna macht sich dünne

Die Helgoländer nennen sie nur »Nathurn Stak«, Nordhorn-Felssäule. Alle anderen kennen das 47 Meter hohe Insel-Wahrzeichen im Nordwesten als Lange Anna. Einst war die Felsnadel über einen natürlichen Steinbogen mit der Hauptinsel verbunden, doch der stürzte vor fast 160 Jahren ein. Seitdem steht Anna allein da, dient als Hochhaus für Seevögel – und bröckelt vor sich hin.

Rund eine Tonne Gestein verliert sie pro Jahr, Regen wäscht den weichen Stein aus, Frost sprengt Felsritzen, das Meer unterspült ihren Sockel. Niemand darf in ihre Nähe. Manche Experten vermuten, dass die Lange Anna irgendwann abbricht, an ihrer dünnsten Stelle in 16 Meter Höhe. Dann also »Kurze Anna«? Geht nicht: Die gibt es schon, eine Felsnase etwa 50 Meter von der Langen Anna entfernt.

Welkoam Iip Lunn - Willkommen auf Helgoland

Halunder heißt der friesische Dialekt, der einzig auf Helgoland gesprochen wird, und das nur noch von vielleicht 150 Insulanern. Trotzdem ist es Amtssprache – und Ausdruck des sehr speziellen Insellebens. Ein Wort für "Fluss" etwa existiert nicht, weil es auf Helgoland keinen gibt. "Wald" heißt einfach "fel Booamen", viele Bäume.

Dafür kennt Halunder Begriffe für Dinge, die anderswo gar nicht existieren: "Drahtzaun am Klippenrandweg" heißt "Remmen"; wer auf dem Oberland seinen Abfall loswerden wollte, warf ihn die "Schmutzbrücke", eine Müllrutsche, hinab – die "Skitsled".

Auch für ihre Besucher hatten die alten Helgoländer eigenes Vokabular parat: Ein Badegast, der sein letztes Geld zusammenkratzen musste, war ein "Skramten", ein "Gekratzter". Und ein alter Tourist am Saisonende hieß schlicht "Augustbrumster", dicker August-Brummer.

Lied der Deutschen

Als der Dichter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben im August 1841 einige Zeit auf Helgoland verbrachte, fühlte er sich beflügelt. Einsamkeit, Himmel, Meer: "Ich musste dichten!" Und so schrieb er "Das Lied der Deutschen"« – dessen dritte Strophe heute als deutsche Nationalhymne gesungen wird: "Einigkeit und Recht und Freiheit..."

Dass sein Text zur offiziellen Hymne wurde, hat Hoffmann von Fallersleben zwar nicht mehr mitbekommen, die Zeit auf Helgoland aber hat ihn nachhaltig beeindruckt. Nein, nicht nur wegen Einsamkeit, Himmel, Meer. "Im Entstöpseln des Champagners", notierte er, "entwickelte ich eine bewundernswerthe Fertigkeit."

Der Big Bang

Am 18. April 1947, um 13 Uhr, drückt ein britischer Offizier den Knopf für die Fernzündung: Helgoland explodiert. Mit Getöse fliegen rund 7000 Tonnen Sprengstoff, Tausende Torpedos, Wasserbomben, Granaten, in die Luft, Aschewolken schießen kilometerweit in den Himmel. Der "Big Bang" ist eine der größten Explosionen der Weltgeschichte. Die Briten wollen alle unterirdischen Nazi-Bunker und Militäranlagen zerstören – von Helgoland bleibt eine Marslandschaft übrig.

Die rund 2500 Insulaner sind zuvor evakuiert worden, ihre Rückkehr scheint aussichtslos: Noch bis Ende der 1940er-Jahre nutzen die Briten die Insel als Bombenabwurfplatz. Erst als im Dezember 1950 zwei deutsche Studenten Helgoland in einer Nacht- und Nebelaktion besetzen, kommt Bewegung in die Sache. Am 1. März 1952 geben die Briten die Insel an Deutschland zurück. Bis heute wird der Jahrestag auf Helgoland gefeiert.

Tipp: Besucher können Helgolands Unterwelt bei Bunkerführungen erkunden, Infos unter Tel. 04725-808 13, www.museum-helgoland.de

Zurück in die Zukunft

Hübsch sieht zwar anders aus, ungewöhnlich ist es trotzdem: Helgoland ist Deutsch-lands einzige vollständig erhaltene 50er-Jahre-Gemeinde. Nach seiner Komplettzerstörung im Zweiten Weltkrieg folgte der Komplettaufbau, ein fester Architekturplan gab das Bild vor: Schlicht, kubisch, skandinavisch wurden die Gebäude zwischen 1953 und 1966 aus dem Boden gestampft.

Heute stehen Dutzende Häuser, Kirche, Rathaus und Pavillon unter Denkmalschutz, auch die rund 40 legobunten Hummerbuden am Südhafen, die den Fischern früher als Unterkunft und Lager dienten. Für Helgolands Hauswände gilt außerdem ein "Farbplan" mit 14 aufeinander abgestimmten Farbtönen, darunter viel Gelb, Rot, Blau und Grün.

Aufschlussreich: die Architekturführung von Max Mailänder, Tel. 0172-419 75 43, www.helgolandtours.de

Hummerbuden auf der Insel Helgoland
Hummerbuden auf der Insel Helgoland
© animaflora / Fotolia

Wo Lummen einen springen lassen

Dreizehenmöwen, Eissturmvögel, Basstölpel: Helgoland ist mit seinen etwa 430 Vogelarten eine Drehscheibe des internationalen Flugverkehrs. Und Schauplatz einer spektakulären Mutprobe: des Lummensprungs. An den Steilfelsen der Insel brüten im Frühjahr rund 2500 Trottellummen-Paare. Auf jedem noch so schmalen Felssims hocken die an Pinguine erinnernden Vögel, ein einziges Gekreische, Geflatter und Gestinke.

Die Küken, alles Einzelkinder, werden rund 20 Tage gefüttert, dann ist Schluss – zu anstrengend. Die Eltern rufen vom Meer aus, bis das flugunfähige Kleine, kaum mehr als eine Handvoll Daunen und weicher Knochen, es wagt: Flatternd und strampelnd stürzt es sich 40, 50 Meter in die Tiefe. Die allermeisten überleben, wachsen auf offener See auf – und kehren irgendwann vielleicht nach Helgoland zurück, um hier selbst die mutigsten Küken der Welt aufzuziehen.

Räuber-Rekord

2016 war ein gutes Jahr für Deutschlands größte Raubtiere: Mehr als 350 Kegelrobben wurden bis Januar 2017 auf Helgoland geboren – Rekord! Die Robbe, als Feind der Fischer verschrien, war in der Nordsee fast ausgerottet; auf der Helgoländer Düne wurde erst 1996 wieder ein Jungtier geboren.

Spaziergänger sollten 30 Meter Abstand von den Tieren halten – Schwimmer schaffen das nicht immer: Wer vor der Düne badet, kann von einer Robbe angeknabbert oder gekratzt werden. Geschieht selten. Falls doch: Raus aus dem Wasser. Dann zieht der Räuber schnell ab.

Spar-Maßnahme

Helgoland gehört nicht zum Zollgebiet der EU, sprich: Es gibt keine Mehrwertsteuer. Rund 16 Prozent weniger zahlt man für Parfum, Schmuck, Süßigkeiten, Zigaretten oder Alkohol, jeder Erwachsene darf für 430 Euro zollfrei einkaufen. Sparfüchse können sich im Urlaub Waren wie Elektroartikel sogar übers Internet an ihre Unterkunft schicken lassen – bei einer Helgoländer Adresse reduzieren Versender wie Amazon den Preis um die Mehrwertsteuer.

Allerdings: Wer die Höchstgrenze überschreitet und sich etwa mit mehr als 16 Liter Bier oder 200 Zigaretten eindecken will, muss dies vor der Abreise beim Zoll anmelden (Tel. 04725-304). Falls nicht: Auf dem Festland dürfen Zollbeamte jeden kontrollieren, der gerade aus Helgoland kommt.

Vorwärts in die Zukunft

Helgoland hat sich viel vorgenommen, und das muss es auch: Noch vor 40 Jahren kamen rund 800.000 Touristen jährlich, heute nur rund 320-000. Der Ruf als "Fuselfelsen", wo sich Tagestouristen mit billigem Schnaps eindecken, lastet schwer. Erst allmählich vertraut die Insel ihren Trümpfen: frische, fast pollenfreie Luft! Kein Straßenverkehr (außer ein paar Elektromobilen)! Seltene Tiere (zumindest saisonweise)! Meer, Strand, Ruhe! Das marode Aquarium wird für 11,5 Millionen Euro modernisiert (wohl bis 2019).

Bis 2020 will Helgoland zur Null-Emissions-Insel werden und hat sich als Stützpunkt mehrerer Windparkbetreiber etabliert. Ein neuer Katamaran soll Gäste auf die Insel transportieren. Das Inselradio "The Rock" ist seit 1. März 2017 auf Sendung, Helgoland wird Kulisse für Thriller ("Abgeschnitten", Kinostart 2018) und Dramen. Fusel war gestern. Es tut sich was. Für 2020 wünscht sich Helgoland 400.000 Besucher im Jahr.

Ausflug nach Helgoland

Per Schiff

  • Der Katamaran "Halunder Jet" fährt ab Hamburg über Wedel und Cuxhaven, täglich vom 1. April bis 5. November. Hin- und Rückfahrt ab/bis Hamburg 71,20 €
  • Mehrere Schiffe der Reederei Cassen Eils fahren ganzjährig ab Cuxhaven, Bremerhaven, Büsum und neuerdings Hooksiel nach Helgoland. Tagesticket ab 39,90 €
  • Die Reederei Rahder fährt Helgoland vom 1. April bis 5. November ab Büsum an. Tagesticket ab 38,90 €

Per Flugzeug

GEO SPECIAL Nr. 02/2017 - Nordsee

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