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100 neue Arten vermutet Tauchroboter schießt faszinierende Fotos unbekannter Tiefseebewohner

Diesen Fisch, der wohl aus der Familie der Seekröten (Chaunacidae) stammt, entdeckte der Tauchroboter in einer Tiefe von 1388 Metern am Hang eines Unterwasserbergs im Nazca-Desventuradas Marine Park. Die Raubfische bewegen sich so langsam, dass ihre Beute sie nicht wahrnimmt
Diesen Fisch, der wohl aus der Familie der Seekröten (Chaunacidae) stammt, entdeckte der Tauchroboter in einer Tiefe von 1388 Metern am Hang eines Unterwasserbergs im Nazca-Desventuradas Marine Park. Die Raubfische bewegen sich so langsam, dass ihre Beute sie nicht wahrnimmt
© ROV SuBastian / Schmidt Ocean Institute
Mit einem Tauchroboter gleiten Forschende vor der Küste von Chile Tausende Meter tief in den Ozean hinab, entdecken unter Wasser Berge höher als die Zugspitze und faszinierende, bislang völlig unbekannte Ökosysteme, die sie umgeben. Die Forschenden glauben, dort mehr als Hundert neue – mitunter skurril anmutende – Ozeanbewohner entdeckt zu haben

Unser Planet ist voll von Lebewesen, die kein Mensch je gesehen hat, deren Existenz wir nicht einmal in unseren kühnsten Träumen erahnen. Und doch gibt es sie: Mehrere Millionen Tier-, Pflanzen-, Pilz- und Mikrobenarten, schätzen Forschende, wurden noch nicht entdeckt, beschrieben und katalogisiert. Viele dieser als Dark Taxa bezeichneten Arten tummeln sich dort, wo der Mensch kaum je hinkommt: im Boden – oder im Dunkel der Tiefsee, viele Hundert Meter unter der Wasseroberfläche.

Genau dort glauben Forschende nun, mehr als Hundert Arten entdeckt zu haben, die der Wissenschaft bislang fremd sind: Tiefseekorallen und Seeigel, Langusten und Glasschwämme, Flohkrebse und Fische. Sie haben Hunderte von Ärmchen, steife Beine oder spitze Stacheln. Und sehen mitunter so bizarr aus, dass man sie für die Ausgeburten einer besonders wilden Fantasie halten könnte. Wären da nicht die gestochen scharfen Fotos und Videos, die ein Tauchroboter von ihnen aufgenommen hat.

100 neue Arten vermutet: Tauchroboter schießt faszinierende Fotos unbekannter Tiefseebewohner
© Schmidt Ocean Institute

Videoaufnahmen zeigen bislang unbekannte Tiefseebewohner

01:48 min

Entdeckt wurden die Arten von einem internationalen Forschungsteam um den Meeresbiologen Javier Sellanes auf einer Expedition des Schmidt Ocean Institute im Südostpazifik vor der Küste Chiles. An Bord eines Forschungsschiffs kartierten die Wissenschaftler dort zwischen dem 8. Januar und dem 11. Februar 52.777 Quadratkilometer Meeresboden – und erforschten dabei insbesondere mehrere Unterwasserberge, sogenannte Seamounts.

Davon gibt es in der Region eine ganze Menge. Auf einer Fläche von 2900 Quadratkilometern erstrecken sich im rechten Winkel zur südamerikanischen Küste die Gebirgszüge von Nazca und Salas y Gómez: ein durch vulkanische Aktivität entstandenes Unterwassergebirge mit mehr als 200 Gipfeln, das sich von der chilenischen Küste bis zur Osterinsel Rapa Nui erstreckt – und von dem bislang nur wenige Gipfel erforscht sind.

In 1419 Metern Tiefe im bereits geschützten Gebiet Mar de Juan Fernández gedeiht diese spiralförmige Koralle   
In 1419 Metern Tiefe im bereits geschützten Gebiet Mar de Juan Fernández gedeiht diese spiralförmige Koralle
 
© ROV SuBastian / Schmidt Ocean Institute

Mitunter wissen wir nicht einmal, dass sie existieren. So haben die Forschenden mehrere bisher unbekannte Unterwasserberge entdeckt. Der größte von ihnen – inoffiziell Solito, der Einsame, genannt – reckt sich ganze 3530 Meter in die Höhe und würde damit selbst die Zugspitze um mehr als 500 Meter überragen.

Biodiversitäts-Hotspots: Jeder Berg beherbergt ein anderes Ökosystem

Die Gebirgskämme in der Tiefsee sind regelrechte Biodiversitäts-Hotspots: Die Seamounts beeinflussen die Strömungsmuster des Ozeans und bieten Tiefseebewohnern Schutz, Nahrung und eine Oberfläche, an der sie sich festhalten können. Weil die Region außerdem durch den Atacama-Graben, den Humboldtstrom und eine große Sauerstoffminimumzone vom Rest des Ozeans isoliert ist, ist fast die Hälfte der hier lebenden Arten nirgendwo sonst auf dem Planeten zu finden.

Diese mit Fächerecholotdaten erstellte Karte zeigt den Solito Seamount: wärmere Farben wie rot und orange entsprechen flacheren Gebieten, kühlere Farben (gelb, grün und blau) den tieferen Gebieten
Diese mit Fächerecholotdaten erstellte Karte zeigt den Solito Seamount: wärmere Farben wie rot und orange entsprechen flacheren Gebieten, kühlere Farben (gelb, grün und blau) den tieferen Gebieten
© Schmidt Ocean Institute

Um zu überprüfen, welche bisher unbekannten Meeresbewohner hier zu Hause sind, und um ein vollständiges Bild der Artenvielfalt an den Bergen zu erhalten, wurden Echolote, Sensoren und Kameras ins Wasser gelassen. Der Tauchroboter "ROV SuBastian", der bis zu 4500 Meter in die Tiefsee vordringen kann, tauchte die Hänge von zehn Bergen von der Spitze bis zum Fuß ab.

Die Bilder, die er an die Oberfläche schickte, übertrafen die kühnsten Erwartungen der Forschenden: Jeder der Unterwasserberge beherbergt ein ganz eigenes Ökosystem, um ihn herum gedeihen etwa blühende Tiefseekorallenriffe oder Schwammgärten, tummeln sich unbekannte Krebse und Seeigel. Mehr als 100 potenzielle neue Arten haben die Forschenden entdeckt. Jetzt analysieren sie deren Physiologie und Genetik, um herauszufinden, ob es sich tatsächlich um völlig unbekannte Arten handelt. Angesichts der überwältigenden Anzahl kann dies jedoch Jahre dauern.

Diese Languste lebt in einer Koralle in 669 Metern Tiefe am Hang eines Unterwasserbergs  
Diese Languste lebt in einer Koralle in 669 Metern Tiefe am Hang eines Unterwasserbergs  
© ROV SuBastian / Schmidt Ocean Institute

"Diese Expedition hat unsere Hoffnungen bei Weitem übertroffen. Man erwartet immer, dass man in diesen abgelegenen und wenig erforschten Gebieten neue Arten findet, aber die Menge, die wir gefunden haben, vor allem bei einigen Gruppen wie den Schwämmen, ist überwältigend", sagte Javier Sellanes in einer Mitteilung des privaten Meeresforschungsinstituts. 

Daten könnten helfen, ein Schutzgebiet zu schaffen

Die Tauchfahrt liefert nicht nur Bilder zum Staunen, sondern könnte auch zum Schutz des Meeres beitragen. Chile möchte ein Schutzgebiet entlang des Nazca- und des Salas y Gómez-Rückens einrichten – allerdings liegt ein Großteil des Gebirgskamms außerhalb des chilenischen Hoheitsgebiets in internationalen Gewässern. Die neuen Daten sollen helfen, das Gebiet als internationales Meeresschutzgebiet auszuweisen – denn viele der Arten leben den Forschenden zufolge in empfindlichen Lebensräumen, die durch Tiefseebergbau oder Schleppnetzfischerei bedroht sind.

Wie gut die neu entdeckten Arten in bereits geschützten Gebieten gedeihen, zeigen die Aufnahmen aus den ebenfalls untersuchten benachbarten Schutzgebieten Juan Fernández und Nazca-Desventuradas. "Diese blühenden und gesunden Ökosysteme zeigen, dass die Meeresparks Nazca-Desventuradas und Juan Fernández empfindliche marine Lebensräume effektiv schützen", so Sellanes.

Der Tauchroboter ROV SuBastian kann bis zu 4500 Meter tief tauchen. Hier wird er zurück an Bord des Forschungsschiffs "Falkor" gebracht
Der Tauchroboter ROV SuBastian kann bis zu 4500 Meter tief tauchen. Hier wird er zurück an Bord des Forschungsschiffs "Falkor" gebracht
© Alex Ingle / Schmidt Ocean Institute Alex Ingle / Schmidt Ocean Institute

Welche unbekannten Lebewesen an den Hängen der noch unerforschten Unterwasserberge warten, lässt sich bislang kaum erahnen. Doch schon am morgigen Samstag sticht das Forschungsschiff "Falkor" erneut in See, um den Salas y Gómez-Rücken in einer zweiten Expedition zu erkunden. Die Tauchgänge können über einen Livestream auf der Youtube-Seite des Schmidt Ocean Institute in Echtzeit mitverfolgt werden. 

Das vom US-Milliardär Eric Schmidt finanzierte Institut, das regelmäßig mit modernster Technologie ausgestattete Forschungsschiffe auf Erkundungstour schickt, ist Teil einer Initiative, die es sich zum Ziel gesetzt hat, in den nächsten Jahren 100.000 neue Arten im Ozean zu entdecken. Die Tiefseekorallen, Knochenfische und Langusten dürfen also nicht die einzigen unbekannten Tiefseebewohner bleiben, deren Bekanntschaft wir in den kommenden Jahren machen.

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