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Einfühlungsvermögen Wie sich Empathie erlernen lässt und weshalb die Fähigkeit so wichtig ist

Empathie lernen - zwei Frauen umarmen sich
Die Fähgkeit, sich in andere einfühlen zu können, ist nicht selbstverständlich. Doch es lässt sich Empathie lernen
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Empathie gilt als Schlüssel zum Erfolg in vielen Lebensbereichen. Aber kann man Empathie lernen? Und wann wird ein zu großes Einfühlungsvermögen zum Problem?

Die Empathie birgt einige Rätsel. Als menschliche Eigenschaft ist sie erwiesenermaßen vorhanden - wird aber fälschlicherweise oft als Mitgefühl bezeichnet. Und woher die Bezeichnung ursprünglich kommt, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Die Fähigkeit, anderen Menschen gut zuhören zu können und sich in deren Gefühle hineinzuversetzen, bringt aber auf jeden Fall mehr Vorteile als Nachteile – und wer Empathie lernt, kann davon im Beruf und Privatleben profitieren.

Auf dem Markt der Begrifflichkeiten ist die Empathie in der Mitte des 19. Jahrhunderts aufgetaucht. Im Jahr 1848 verwendete der deutsche Philosoph Hermann Lotze das Wort. Ursprünglich gebildet aus dem griechischen Substantiv "pathos" für Unglück, Leiden oder Leidenschaft und der Vorsilbe "em" sinngemäß für "in, an, oder auf" findet sich das Wort dann in weiteren deutschen Abhandlungen als "Einfühlung" wieder.

Empathie nicht gleich Mitgefühl oder Mitleid

Unter anderem benutzte Sigmund Freud den Begriff der "Empathie" – das im Englischen prompt in welchen Begriff umgewandelt wird: Richtig – "empathy". Vermutlich kam diese Wortschöpfung dann nach Deutschland zurück und wurde dadurch als das Substantiv "Empathie" endgültig in den allgemeinen Sprachschatz integriert. Tatsächlich aber ist das Einfühlungsvermögen nicht zu verwechseln mit Mitgefühl oder Mitleid.

Psychologisch gesehen bedeutet Empathie, sich emotional in einen Mitmenschen hineinversetzen zu können. Mitgefühl hingegen bedeutet, sich um jemanden zu sorgen und sich um ihn zu kümmern. Woher aber nun kommt die Empathie? Werden Menschen damit geboren und wie sieht es bei anderen Lebewesen aus?

Und falls Menschen nicht damit geboren werden: Kann man Empathie lernen? Und die vielleicht wichtigste Frage: Wozu brauche ich das überhaupt? Ist Empathie wichtig und was nützt sie mir? Oder ist das nur eine vorübergehende Gesellschaftsströmung, die wieder verschwindet?

Verschiedene Formen der Empathie

Festzuhalten ist schon mal, dass Empathie nicht gleich Empathie ist.Es gibt nicht nur eine Art von Empathie, sondern drei davon:

  • Emotionale Empathie: das Gleiche empfinden, wie andere Menschen – auch emotionale Sensitivität genannt
  • Kognitive Empathie: Hier werden nicht nur die Gefühle anderer Menschen, sondern auch die Gedanken und Absichten verstanden. Daraus können wiederum Schlussfolgerungen auf ihr Verhalten abgeleitet werden
  • Soziale Empathie: als Begriff erst sei den 2010er Jahren auf dem Markt, geprägt von der Soziologin und US-Professorin Elizabeth Segal. Beschreibt die Fähigkeit, in komplexen sozialen Systemen das Verhalten zu verstehen – wie zum Beispiel in Mannschaften, Vereinen, Firmen, Projektteams oder Familien

Sozialkompetenz als erlernte Fähigkeit

Geforscht wurde schon viel an der Empathie – ganz besonders bei Kindern. Denn eine grundlegende Frage ist, woher diese Sozialkompetenz eigentlich kommt. Eine angeborene Empathie wird von vielen Psychologinnen und Psychologen angenommen – so wie in der Mutter-Kind-Beziehung. Generell wird in der Kinderpsychologie davon ausgegangen,dass sich eine bewusste Empathie jedoch erst gegen Ende des zweiten Lebensjahres entwickelt. Die Basis für diese Fähigkeit sind verschiedene Verhaltensabläufe, Grenzerfahrungen, aktives Zuhören und der Austausch mit anderen Menschen, eigene Erfahrungen und vieles mehr.

Hinreichend bekannt ist zum Beispiel – vielleicht auch aus der eigenen elterlichen Erfahrung – die beharrliche Weigerung von Kleinkindern, sich anziehen zu lassen. Eigentliches Ziel das Manövers ist, eine Reaktion bei der erwachsenen Person auszulösen und in den eigenen Erfahrungsschatz der Empathie einzubauen.

Andere Bereiche machen das Ausprobieren und damit Erleben von Empathie in der Gruppe noch offensichtlicher: die so genannte Affekt-Ansteckung, um sich dadurch in den anderen Menschen hineinzufühlen. Das Paradebeispiel ist die Säuglingsstation im Krankenhaus. Fängt dort ein Kind an zu weinen, fangen alle an zu weinen. Was die Frage aufwirft, ob derselbe Effekt nicht auch bei Tieren vorhanden ist: Fängt ein Wolf an zu heulen…

Einfühlungsvermögen keine Frage der Intelligenz

Tatsächlich gehen Forschende davon aus, dass empathisch motiviertes Verhalten bei bestimmten Tieren ebenfalls vorhanden ist. Verschiedene Studien legen nah, dass das auf Affen und Menschenaffen, Raben, Mäuse, Ratten und vor allem auch auf Hunde zutrifft. Sie verhalten sich nicht nur Artgenossen gegenüber empathisch, sondern auch bei Menschen – oft bei extremen Gefühlssituationen wie Trauer, Todesfällen oder ähnlichem, wo Hunde praktisch mit ihren Besitzern bis zur Futterverweigerung mitleiden.

So konnte beispielsweise eine Studie der schwedischen Universität Linköping im Jahr 2019 anhand von Haar- und Fellproben nachweisen, dass sich chronischer Stress vom Menschen auf den Hund übertragen kann.

Einfühlsamkeit unterschiedlich ausgeprägt

Wenn aber der Aufbau von Einfühlsamkeit so stark von den persönlichen Erfahrungen abhängt, muss es dann nicht auch verschiedene Arten von empathischen Menschen geben? Eben auch Menschen, denen Empathie gänzlich fehlt?

Ganz unbedingt: Es sind die egozentrischen Menschen. Wie das Wort schon sagt, stellen diese ihr Selbst ins Zentrum, kreisen um sich selbst und sind ausschließlich mit der eigenen Person beschäftigt. Für die Gefühle und Bedürfnisse anderer Menschen ist dort kein Platz und auch nicht für selbstloses Handeln zum Wohl anderer.

Narzissten fehlt Sozialkompetenz

Der "Narzisst" ist ein aktuell oft und gern genutzter Begriff, der eine Persönlichkeitsstörung bezeichnet. Jeden empathielosen Menschen gleich als Narzissten zu bezeichnen, könnte deshalb leicht inflationär sein. Bezeichnend für solche Menschen ist, dass sie kein Interesse an ihren Mitmenschen haben, gefühlskalt sind und meist keine freundschaftlichen Beziehungen oder auch Partnerschaften aufbauen. Sie geben nur dann etwas, wenn eine Gegenleistung gesichert ist und versuchen oft, über Manipulation von Menschen ihr Ziel zu erreichen, statt mit einer gemeinsamen Leistung.

Einfühlungsvermögen kommt durch Technisierung abhanden

Wer nun meint, dass eben diese empathielosen Menschen durch den Verlauf ihres Lebens und selbstverschuldet auf dieses Solo-Gleis geraten sind, sollte vorsichtig sein. Empathie ist kein Naturgesetz und kann verloren gehen. Bestes Beispiel ist der Verlust von Empathie in Sozialen Netzwerken.

Mobbing, Sozial-Neid und emotionsloses Verhalten wird Forscherinnen und Forschern zufolge unter anderem durch fehlende direkte Kommunikation ausgelöst – ein Punkt, der in der kindlichen Entwicklung den Aufbau von Empathie erst möglich macht.

Soziale Medien: Schaulustige blenden Gefühle und Emotionen aus

Nicht von ungefähr filmen Schaulustige die verletzten Opfer einer Unfallstelle mit ihren Mobiltelefonen und stellen die Bilder online. Ihnen fehlt die Empathie, sich in diese Menschen hineinzuversetzen. Der im Jahr 2015 verstorbene Psychoanalytiker Arno Gruen ging sogar noch weiter. Er sieht im Verlust individueller Kommunikation verbunden mit mangelnder Anerkennung den Auslöser für die zunehmende individuelle Aggression in der Gesellschaft – vor allem unter Jugendlichen.

Empathie lernen für die persönliche Entwicklung

Wenn schon Empathie in bestimmten Bereichen auf dem Rückmarsch ist oder gar nicht erst vorhanden – ist diese menschliche Fähigkeit erlernbar und hat das einen Nutzen? Die Antwort ist einfach und kurz: Ja und ja.

Empathie gilt als Schlüssel zum Erfolg in fast allen Lebensbereichen – vom Management bis hin zur Familie. Empathische Menschen haben intensivere Beziehungen, lösen Probleme, motivieren ihr Umfeld, lernen viel und schnell von anderen und genießen ein großes Vertrauen. Doch wie funktioniert das?

Selbstreflexion als Facette der Empathiefähigkeit

Grundlegend wichtig ist die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Was tue ich warum? Was macht das mit anderen Menschen? Wie beeinflusst mein Tun die Gefühle anderer Menschen und damit ihre Entscheidungen? Was sollte ich besser nicht oder anders tun, um bestimmte Entwicklungen zu vermeiden oder zu verhindern? Die wesentlichen Punkte für das Training der persönlichen Empathie sind:

  • Das Beobachten der eigenen Gefühle: Was löst in bestimmten Situationen welche Gefühle bei einem selber aus? Was ist der Grund dafür? Erst wer sich selbst hinterfragt und versteht, kann auch die Reaktionen anderer Menschen verstehen und akzeptieren.
  • Andere Menschen bewusst beobachten: Ein Platz im Lieblings-Café ohne Blick ins Smartphone macht das Umfeld bewusst. Welche Menschen reagieren wie in welcher Situation? Wie ist die Körpersprache? Wie die Mimik und Körperhaltung? Wie sind die Stimmlage und Stimmung?
  • Bei Stress: neutrale Haltung einnehmen. Wer in emotional angespannten Situationen "durchbrennt", nimmt die Meinung anderer Menschen nicht mehr wahr und neigt zu verbalen Verletzungen. Alternative Sichtweisen der Dinge existieren nicht und werden kategorisch abgewehrt. Der Lerneffekt durch einen sachlichen Austausch findet nicht statt. Seine Meinung zu vertreten bedeutet nicht, das Umfeld in einer verbalen Brandrodung auszulöschen.
  • Nach einem Streit:Suchen Sie den Rat des Streitpartners – auch in der Beziehung oder Ehe. Reden Sie darüber, wer wann wie warum reagiert hat. Geben Sie Fehler zu und lernen Sie aus den eigenen Fehlern – aber auch aus den Fehlern des Anderen, der bestimmt auch "Abzüge in der B-Note" hat.
  • Vorurteile abbauen: Wer mit Vorurteilen in eine Situation geht, kann sein Gegenüber nicht angemessen und störungsfrei wahrnehmen
  • Andere Rollen einnehmen: Wer in einen anderen Charakter schlüpft, sieht die Welt plötzlich mit anderen Augen. Das kann in einem Schauspiel-Seminar sein oder als Komparse in einem Theater.
  • Verständnis zeigen:Jeder Mensch ist anders. Was einem selbst gefällt, muss für den anderen nicht zutreffen. Läuft irgendwas nicht so, wie man es selber gern hätte, steckt meist etwas viel Harmloseres dahinter, als man es sich selbst in seiner selbstinszenierten Wut ausgemalt hat. Nachfragen hilft!
  • Sich selbst nicht vergessen: Bei aller Empathie dürfen die eigenen Bedürfnisse, Gedanken und Meinungen nicht auf der Strecke bleiben. Nicht jeder Mensch auf der Welt passt ins eigene Gefühlsleben. Wenn die Gefühle anderer Menschen die eigenen Gefühle negativ beeinflussen, sind eindeutige Grenzen notwendig. Das eigene Wohlergehen steht an erster Stelle. Übermäßige Empathie kann krank machen.

Die Empathiefähigkeit zu verbessern ist möglich

Wie deutlich erkennbar ist: Empathie ist erlernbar – aber wie bei allen Dingen, die erarbeitet werden wollen, braucht das Zeit und Geduld. Evolutionsforscher gehen davon aus, dass uns erst die Empathie dahin gebracht hat, wo wir heute sind.Als noch niemand sprechen konnte, aber trotzdem eine gemeinsame Strategie zum Überleben notwendig war, hat nichts besser geholfen als das Verstehen der Anderen ohne Worte.

Dass Empathie einen wesentlichen Unterschied in der Evolution und einen Meilenstein im Menschsein ausmacht, hat der verstorbene britische Physiker Stephen Hawking (1942 -2018) auf den Punkt gebracht – mit dem Blick auf Roboter und künstliche Intelligenz: "Das Überleben der Menschheit wird davon abhängen, ob sie die Empathie retten kann. Alles andere können Roboter machen – nur natürliche Empathie fehlt ihnen." In diesem Sinne: Menschlich bleiben!

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